Europas Raumfahrt in Aufbruchstimmung
Auf der zweitägigen internationalen Strategiekonferenz ISEC 2007 in Berlin diskutierten hochrangige Vertreter aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens über den weiteren Weg Europas ins All. Ziel ist ein anspruchsvolles europäisches Explorationsprogramm, das die Kräfte in Europa bündelt und seinen Bürgern breiten Nutzen bringt.
Die Veranstalter der „International Space Exploration Conference“ (ISEC 2007), die Europäische Weltraumorganisation ESA sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wählten einen geschichtsträchtigen Ort. Nur wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt, das vier Jahrzehnte Ost und West voneinander trennte, trafen sich die Teilnehmer der Weltraumexplorationskonferenz. Die Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft repräsentierten die bedeutendsten Institute, Organisationen, Unternehmen sowie Ausbildungseinrichtungen Europas, in denen Raumfahrt eine gewichtige Rolle spielt.
Auch das Datum der Konferenz – 8./9. November – ist symbolträchtig: Vor 18 Jahren, am 9. November 1989, fiel die Mauer. Sie trennte zwei Gesellschaftssysteme. Seitdem liegt das Brandenburger Tor wieder im Zentrum von Europa. Und das multikulturelle Berlin verbindet wie kaum eine andere Stadt West- und Osteuropa miteinander, aber auch Nord- und Südeuropa. Ein Ort also, der geradezu prädestiniert ist, sich über den weiteren Weg Europas ins All zu verständigen.
Zauberwort Exploration
Ein Wort dominierte die zweitägige Tagung und faszinierte deren Teilnehmer: Exploration, die Erforschung unseres Sonnensystems. ESA-Chef Jean-Jacques Dordain fasste auf der ISEC-Pressekonferenz den Begriff jedoch weiter: „Die Erde ist ein Bestandteil des Weltraums. Daher ist jeder Fortschritt, der bei der Erforschung des Sonnensystems gemacht wird, auch ein Fortschritt bei der Erforschung der Erde. So entdeckten wir beispielsweise den Treibhauseffekt, einer der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel auf der Erde, weil wir die Venus erforscht haben."
Der temperament- und humorvolle Franzose wurde nicht müde, die Erfolge „seiner“ ESA herauszustellen: „Wir sind erfolgreiche Eroberer. Wir erkunden die Erde mit Fernerkundungssatelliten wie Envisat, erforschen mit Raumsonden den Mond, Mars, Venus und bald auch den Merkur. Wir landeten als Erste auf dem Saturnmond Titan. In einigen Jahren wird unsere Rosetta-Sonde einen Kometen erreichen und einen unter der Verantwortung des DLR gebauten Lander absetzen. Und wir dringen mit phantastischen astronomischen Missionen, wie den im kommenden Jahr startenden Teleskopen Planck und Herschel, in die Tiefen des Universums vor.“
Unbestritten sei, so Dordain, dass Europa eine Raumfahrtmacht ist. Aber die meisten Europäer sind sich gar nicht bewusst, dass sie als Bürger eines europäischen Landes Teil dieser großen europäischen Raumfahrtmacht sind. Dieses müsste ihnen von Seiten der Wissenschaft und der Raumfahrtagenturen besser vermittelt werden.
Exploration ist aber auch mit kulturellen Aspekten verbunden und fördert die Bildung. Gerade auf die junge Generation übt Raumfahrt eine große Faszination aus. Exploration bietet die Chance, über den Horizont zu blicken und neue Wege zu gehen.
Die Kräfte bündeln
Dordains Podiumskollege, DLR-Vorstandsvorsitzender Johann-Dietrich Wörner, sah das genauso. Wörner legte einen Schwerpunkt seiner Ausführungen auf das Verhältnis zwischen nationalen und europäischen Programmen und ging dabei auf den Mond ein.
Die Erkundung und Erschließung des Mondes sei in der Einschätzung zahlreicher Raumfahrtorganisationen, die sich in Berlin trafen, der nächste logische Schritt in der Erforschung des Sonnensystems und der Erweiterung der Reichweite bemannter Raumflüge. Auch in Deutschland gibt es einen Vorschlag für eine 2012 startende Mission zum Erdtrabanten. LEO soll die Mondsonde heißen, das Kürzel steht für Lunar Exploration Orbiter. Im Mittelpunkt der vierjährigen Erkundung würde dabei die hochgenaue globale geologische, mineralogische und topographische Kartierung des Mondes aus einer äußerst niedrigen Umlaufbahn von 50 Kilometern stehen.
Klar ist, dass eine nachhaltige Exploration des Alls eine einzige Nation überfordern würde. Daher müssen die europäischen Kräfte gebündelt werden. Ziel sei, so DLR-Chef Wörner, „ein gemeinsames, abgestimmtes Rahmenwerk für die Exploration zu entwickeln. Darin enthalten sind unter anderem Visionen für Robotik und für bemannte Missionen sowie ein Aktionsplan, wie die nationalen Raumfahrtstrategien bestmöglich untereinander genutzt werden können.“
Erfolgreiche europäische Exploration erfordert daher eine echte Partnerschaft von ESA, nationalen Raumfahrtagenturen, Wissenschaft, Industrie, Politik und internationaler Kooperationen.
Eine europäische Explorationsstrategie muss signifikante soziale, intellektuelle und wirtschaftliche Nutzanwendungen für den Menschen und die Erde mit sich bringen. Dordain wies darauf hin, dass die ESA im Juni 2008 Vorschläge für neue Missionen unterbreiten werde, darunter auch zum Mond. „Wir haben drei Entscheidungsgrößen bei der Auswahl neuer Missionen“, erläutert Dordain das ESA-Vorgehen. „Das erste Kriterium ist die Frage: Wo wollen wir forschen? Dabei werden drei Ebenen berücksichtigt: Erdorbit, Mond und Mars. Die zweite Frage ist, wie können wir die Erfahrungen früherer Missionen nutzen? Das dritte Kriterium ist die Frage nach dem Level der Kooperation. Ist es ein nationales Projekt mit ESA-Beteiligung, ein ESA-Projekt oder ein internationales Projekt, an dem sich die ESA beteiligt?“
Was kommt nach der ISS?
Auf bemanntem Gebiet ist die Internationale Raumstation ISS von zentraler Bedeutung in der europäischen Planung. Das unter deutscher Führung entwickelte europäische Columbus-Labor soll am 6. Dezember 2007 zur ISS gebracht werden. Neben der Grundlagenforschung dient die ISS auch der Erprobung von Explorationstechnologien.
„Die entscheidende Frage aber ist, was kommt nach der ISS? Diese nächsten Schritte müssen wir jetzt definieren. Hier ist noch alles unklar, außer dass die USA 2015 aus dem Unternehmen ISS aussteigen wollen“, gab Dordain zu bedenken.
Sein Podiumskollege Wörner wies darauf hin, dass es sehr wichtig sei, den europäischen Astronauten auch künftig den Zugang zum Weltraum zu ermöglichen. Bekanntlich sollen die US-Raumfähren 2010 außer Dienst gestellt werden. Dann gäbe es für einige Jahre kein amerikanisches Trägersystem, so dass die gesamte Last der bemannten Versorgung bei Russland liegen würde. „Wir sehen“, so Wörner, „dass die Abhängigkeit von einem System offensichtlich etwas Kritisches ist. Ich denke, es ist richtig, dass man einen klaren Entschluss fasst, ob man in Zukunft auch einen europäischen autonomen bemannten Zugang haben will. Ich persönlich würde mich natürlich freuen, wenn Europa hier ein positives Signal gibt."
Raumschiffpläne: Das Crew Space Transportation System
Für Europa besteht die Chance – und entsprechend der Wirtschaftskraft Europas besteht hier eine Notwendigkeit dem politischen Gewicht Rechnung zu tragen – von der ungeliebten Funktion des Juniorpartners einer Supermacht zu einem gleichberechtigten Partner der Raumfahrtmächte aufsteigen zu können. Die bereits existierenden Bausteine Columbus, ATV und Sojus könnten als Basis für ein zukünftiges Transportsystem CSTS dienen. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das Crew Space Transportation System, eine Studie für ein möglicherweise gemeinsam von Russland und Europa zu entwickelndes, teilweise wieder verwendbares Raumschiffsystem zur Versorgung der ISS sowie für Flüge und Transporte zum Mond. Es soll bis zu sechs Raumfahrer aufnehmen und – ein Novum – gemeinsames Eigentum von Europäern und Russen - werden.
CSTS ist nicht vergleichbar mit Klipper, es orientiert sich an der russischen Sojus-Kapseltechnik. CSTS wäre ein Schlüsselprojekt, das ohne europäische Beiträge nicht realisiert werden könnte sowie über einen sehr großen Zeitraum Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze binden würde. Die ESA prüft das CSTS-Projekt derzeit im Rahmen einer Studie. Es gibt weitere Optionen, wie beispielsweise die Entwicklung einer eigenen europäischen bemannten Raumkapsel.
Die endgültigen Entscheidungen über den Einstieg in einen eigenen Zugang ins All und dessen Finanzierung sowie über das ISS-Nachfolgeprojekt sollen beim Treffen der Forschungsminister der ESA-Mitgliedsländer im November 2008 entschieden werden.
Einheit von bemannter und unbemannter Raumfahrt
Das Fazit nach zwei Tagen Gesamtschau europäischer Raumfahrt ist überaus positiv. Wie ein roter Faden zogen sich zwei Fragen durch alle Diskussionsbeiträge: Wo stehen wir? Wohin wollen wir?
Die Ergebnisse überraschten in ihrer Klarheit und Ausrichtung. Bei den Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik herrschte Aufbruchstimmung. Und Einigkeit. Die jahrelange Trennung zwischen unbemannter und bemannter Raumfahrt wurde aufgehoben.
Ziel der europäischen Explorationsinitiative ist der bemannte Flug zu den planetaren Körpern des Sonnensystems. Dieser ist nicht durch die Robotik ersetzbar. Die „Partnerschaft" von Mensch und Robotik gilt dabei als essentiell. Der bemannte Flug zum Mars wurde als Fernziel untermauert. Auf dem Weg dorthin wird es jedoch im Vorfeld viele Robotik-Missionen geben.
Fragen nach dem Woher und Wohin des Menschen, nach der Position des Menschen im Universum und nach dessen Schicksal werden damit gleichfalls berührt. Diese können nicht nur die Europäer enger zusammenbringen, sie eröffnen auch den Weg zu neuer Erkenntnis, stimulieren technische und wirtschaftliche Innovationen auf der Erde.
Die ESA wird nun in den kommenden Monaten die Vorschläge der Strategiekonferenz in konkrete Programmentwürfe umsetzen und diese zur Beschlussfassung den Mitgliedsländern vorlegen. Auf der ESA-Ministerratskonferenz im November 2008 wird dann entschieden, wie es mit der Europäischen Explorationsinitiative weitergehen soll.