ESA Living Planet 1 - Gegenwart: Das Erkundungsprogramm der ESA
Im Rahmen ihres Programms „Living Planet“ ist die ESA den globalen Umweltveränderungen auf der Spur. Earth-Explorer-Spezialsatelliten sollen gesicherte Daten über die Prozesse in der Atmosphäre, in den Ozeanen sowie auf dem Festland liefern. Diese Daten sind als wissenschaftliche Grundlage politischer Entscheidungen dringend notwendig.
Die Symptome sind eindeutig: Teile des Ökosystems Erde sind krank. Wie krank, darüber streiten die Gelehrten. Seit Jahrzehnten ist eine Zunahme klimawirksamer Spurengase in der Atmosphäre zu verzeichnen. Das Fatale daran ist: Die Prozesse vollziehen sich schleichend. Alle in die Atmosphäre eingegebenen Stoffe kommen irgendwann und irgendwo einmal zum Tragen. Aber wann, wo, mit welcher Intensität und mit welchen Folgen das geschieht, das ist aufgrund der Kompliziertheit und Komplexität von Klimaprozessen schwer verständlich. Und aufgrund der Rückkopplungen auch kaum vorhersehbar. Weil alles mit allem zusammenhängt.
Prognosen über die Zukunft des Weltklimas sind deshalb äußerst kompliziert. Es genügt nicht, einzelne Parameter zu erfassen und diese linear hochzurechnen. Vielmehr sind Modelle notwendig, die mit den neuen Messdaten immer wieder abgeglichen und modifiziert werden.
Die großen Unsicherheiten liegen in gekoppelten Ozean-/Atmosphäre-Modellen sowie in den Rückkopplungsmechanismen einzelner Parameter. Zu den Hauptproblemen gehören die Wolken sowie die planetaren Eismassen. Werden sie den erwarteten vom Menschen verursachten Treibhauseffekt verstärken oder dämpfen?
An solchen Unsicherheiten liegt es, dass bei gleicher Datenausgangsbasis die zu erwartenden globalen Temperaturerhöhungen modellabhängig um fast fünf Grad schwanken. Eine der Hauptforderungen der Umweltforscher besteht daher in der gesicherten Langfristigkeit und Kontinuität der Datengewinnung und -auswertung. Dies kann effizient nur über speziell ausgerichtete Umweltsatelliten erfolgen.
Europas Super-Späher
Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat sich frühzeitig diesen Herausforderungen gestellt und fährt ein zweigleisiges Programm. Sie realisiert die Wünsche der satellitengestützten Beobachtung, Erforschung und Überwachung des Ökosystems Erde und seiner Teilbereiche zum einen durch singuläre, extrem leistungsfähige Umwelt-Satelliten der Weltspitze, zum anderen durch ein innovatives und hochflexibles Erderkundungsprogramm „Living Planet“.
1991 begann sie mit dem Satelliten ERS 1 ein sehr erfolgreiches globales sowie vielseitiges Erkundungsprogramm, dem 1995 der – noch im Betrieb befindliche – Ozonwächter ERS 2 sowie 2002 die fliegende Umwelt-Überwachungsstation Envisat folgten.
Envisat baut auf die Erfahrungen von ERS auf. Der um mehrere Klassen leistungsfähigere Satellit liefert Daten über die globale Erwärmung, den Abbau von Ozon und den Klimawandel. Als weltgrößter Sensorträger für Klimaüberwachung ist er den Umweltveränderungen auf der Spur.
Großsatelliten wie ERS und Envisat haben mit ihrem umfangreichen Instrumentarium einen entscheidenden Vorteil: Die Wissenschaftler erhalten gleichzeitig miteinander vergleichbare Daten, die die Voraussetzung für das Erkennen von Prozessabläufen und zusammenhängenden Parametern auf der Erde darstellen.
Envisat ist extrem leistungsfähig. Er darf neidlos den Superlativ von der komplexesten Mission zum Planeten Erde für sich in Anspruch nehmen. Envisat wird aber in Bezug auf seine mehr als zehnjährige Entwicklungszeit, seine Größe von 25 x 7 x 10 m und seine Gesamtkosten von etwa 2,3 Mrd. Euro auf lange Zeit eine Ausnahmestellung behalten.
Die neuen Earth-Explorer-Satelliten
Um zukünftig schneller und flexibler auf neue Erkenntnisse der Wissenschaft sowie auf gesellschaftspolitische Anforderungen reagieren zu können, hat die ESA 1998 das Programm „Living Planet“ ins Leben gerufen. Es sieht für die nächsten Jahre den Start einer größeren Zahl von Erdbeobachtungssatelliten vor, die deutlich kleiner, spezialisierter und kostengünstiger als ihre Vorgänger ausfallen werden.
Die ESA reagiert damit auch auf die deutlich geschrumpften Budgets. Dabei gelingt ihr der Spagat zwischen Weltspitzenleistungen und den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen. Ein vereinfachter Vergleich verdeutlicht die aktuelle Situation: Mit den Entwicklungskosten eines Envisat-Instrumentes (an Bord befinden sich zehn Instrumente) wird heute eine komplette Erderkundungsmission eines Earth-Explorer-Satelliten realisiert.
Die ESA-Planer unterscheiden zwischen zwei Missionstypen, Kern- (Core-) und Ergänzungsmissionen (Opportunity). Die Core-Explorer-Satelliten verkörpern größere und komplexe Forschungsmissionen, die ein breiteres Forschungsprojekt unter Federführung der ESA abdecken. Der zur Verfügung stehende Kostenrahmen liegt pro Mission bei mehreren Hundert Mill. Euro.
Demgegenüber stehen die Opportunity-Forschungsmissionen. Sie basieren auf Vorschlägen von Spitzenwissenschaftlern und sollen auf drängende wissenschaftliche Fragen schnelle und kostengünstige Antworten geben. Der zur Verfügung stehende Kostenrahmen liegt pro Mission bei maximal 150 Mill. Euro.
Grünes Licht für sechs Erderkundungs-Missionen
Aus 27 Projekten wählte die ESA 1999 die ersten beiden Opportunity-Missionen aus: den Eisforschungssatelliten CryoSat sowie den Satelliten SMOS (Start 2007). Letzterer soll den Salzgehalt der Meere und die Bodenfeuchte der Festlandareale bestimmen.
Im gleichen Jahr erfolgte auch die Auswahl der ersten beiden Core-Satellitenmissionen: GOCE zur Bestimmung des Schwerefelds der Erde (Start 2006) sowie ADM-Aeolus zur Erfassung der Dynamik der Erdatmosphäre (Start 2008).
Inzwischen wurden zwei weitere Satellitenprojekte beschlossen: SWARM, eine Konstellation von drei Kleinsatelliten zur Untersuchung der Dynamik des Erdmagnetfelds (Start 2009) und EarthCARE (Start 2012), ein Satellit auf einer Polarbahn, der aus 450 Kilometer Höhe die horizontale sowie vertikale Verteilung von Wolken, Aerosolen und Strahlung sowie ihre wechselseitigen Beziehungen zueinander ermitteln soll.
Nach welchen Kriterien erfolgt eigentlich die Auswahl? Einar-Arne Herland, ESA-Bereichsleiter für Geowissenschaften, erläutert die Gesichtspunkte in den Gremien: „Natürlich spielen technologische und finanzielle Aspekte eine große Rolle. Noch wichtiger ist jedoch, die führende Stellung Europas in der Erderkundung durch herausragende Missionen mit exzellenter Grundlagenforschung weiter auszubauen.“