ESA-Satellit Aeolus weicht großer Konstellation aus
Die ESA hat zum ersten Mal ein "Manöver zur Kollisionsvermeidung" durchgeführt, um einen seiner Satelliten vor einer Kollision mit einer großen Konstellation zu schützen.
- Am Montagmorgen zündete der ESA- Erdbeobachtungssatellit Aeolus seine Triebwerke und konnte sich damit von einem potenziellen Kollisionskurs mit einem SpaceX-Satelliten in der Starlink-Konstellation abbringen.
- Bei einer sogenannten Konstellation handelt es sich um Netzwerk von Hunderten bis zu Tausenden Satelliten im Orbit. Man kann davon ausgehen, dass diese Konstellationen in den nächsten Jahren die Weltraumumgebung entscheidend prägen werden.
- Da die Anzahl der Satelliten im Weltraum drastisch zunimmt, werden enge Annäherungen zwischen zwei aktiven Satelliten weitaus wahrscheinlicher. Im Vergleich zu den üblichen Ausweichmanövern mit Weltraumschrott, erfordern Ereignisse wie diese Koordinationsabsprachen, um gegensätzliche Handlungen zu vermeiden.
- Gegenwärtig erfolgt der Ausweichvorgang zwischen zwei operativen Satelliten weitgehend manuell und ad hoc. Dieser Prozess wird in Zukunft nicht mehr durchführbar sein, da die Alarmmeldungen mit der zunehmenden Anzahl der Satelliten ansteigen.
- "Der vorliegende Fall zeigt, dass die Kollisionsvermeidung in Anbetracht fehlender Verkehrsregeln und Kommunikationsprotokolle vom Pragmatismus der beteiligten Betreiber abhängt", erklärt Holger Krag, Leiter des Programms für Weltraumsicherheit bei der ESA. "Gegenwärtig erfolgt der Austausch derartiger Informationen durch E-Mails - ein archaischer Prozess, der nicht mehr tragfähig ist, wenn sich immer mehr Satelliten im Weltraum befinden und so den Verkehr erhöhen".
- Die ESA schlägt im Rahmen des ESA- Programms für Weltraumsicherheit eine Initiative zur automatisierten Risikoabschätzung und -minderung vor. Dies ist dringend erforderlich, um die wichtige Weltrauminfrastruktur in den kommenden Jahren zu schützen.
Was ist passiert?
Das Weltraumkommando der US-Luftwaffe (18th Space Control Squadron of US Air Force) überwacht Flugobjekte über der Erde und übermittelt regelmäßig Daten an alle Raumfahrzeugbetreiber.
Mit diesen Daten sind die ESA und auch andere Raumfahrtakteure in der Lage, die Wahrscheinlichkeit einer Kollision im Orbit zwischen ihrem Satelliten und allen anderen künstlichen Objekten zu berechnen.
Vor etwa einer Woche wurde ein Zusammenstoß zwischen dem ESA-Satelliten Aeolus und Starlink44 für Montag, den 2. September, um 11:02 Uhr UTC prognostiziert. Bei Starlink44 handelt es sich einen der ersten 60 Satelliten, die Teil der Mega-Konstellation von SpaceX sind und bis Mitte 2020 eine 12.000 starke Flotte bilden soll.
Experten unseres Space Debris-Teams berechneten das Kollisionsrisiko zwischen diesen beiden aktiven Satelliten durch eine Kombination von Informationen über den erwarteten Fehlabstand, die Konjunktionsgeometrie und eventuelle Messunsicherheiten im Orbit.
Im Laufe der Tage nahm die Wahrscheinlichkeit einer Kollision weiter zu, und am Mittwoch, den 28. August, beschloss das Team, sich an Starlink zu wenden, um mögliche Optionen zu besprechen. Innerhalb eines Tages teilte das Starlink-Team der ESA mit, dass sie an dieser Stelle keine Maßnahmen planen.
In der Regel wird ein Ausweichmanöver durchgeführt, wenn die Kollisionswahrscheinlichkeit bei 1 zu 10.000 liegt. Die Kollisionswahrscheinlichkeit dieser beiden Satelliten wurde bereits am folgenden Donnerstag, den 29.August 2019 erreicht.
Es wurde ein ein Ausweichmanöver vorbereitet, indem die Flugbahn von Aeolus um 350 m erhöht und damit sichergestellt werden konnte, dass er den anderen Satelliten bequem passieren konnte. Die Situation wurde dabei kontinuierlich von den ESA-Experten überwacht.
Am Sonntag wurde die endgültige Entscheidung zur Durchführung des Manövers getroffen und die Befehle vom Missionskontrollzentrum der ESA in Deutschland an das Raumfahrzeug Aeolus übermittelt. Zu diesem Zeitpunkt lag das Kollisionsrisiko bei 1 zu 1.000 zehnmal höher als üblich.
Am Montagmorgen führten die Befehle zu einer Reihe von Triebwerkszündungen um 10:14, 10:17 und 10:18 Uhr UTC, also eine halbe Umlaufbahn vor der möglichen Kollision.
Etwa eine halbe Stunde nach der zeitlichen Prognose eines Zusammenstoßes erreichten wir Signale von Aeolus. Das war die erste Bestätigung, die wir über die korrekte Ausführung des Manövers und den Zustand des Satelliten erhielten.
Inzwischen erhalten wir auch weiterhin wissenschaftliche Daten von Aeolus vor - ein eindeutiges Zeichen, dass der Betrieb definitiv wie gewohnt weiterläuft.
Der frühzeitige Kontakt mit Starlink ermöglichte der ESA zu einem späteren Zeitpunkt ein konfliktfreies Handeln, da Gewissheit darüber bestand, dass das zweite Raumschiff an der von der Simulation vorgesehenen Stelle verbleiben würde.
New Space
Seit 1957 starteten mehr als 5500 Raketen, die über 9000 Satelliten in den Weltraum beförderten. Davon sind derzeit nur etwa 2000 funktionsfähig, weshalb 90 % der Ausweichmanöver der ESA auf Raumfahrtrückstände zurückzuführen sind. Dabei handelt es sich um nicht funktionsfähige Objekte, einschließlich toter Satelliten und Fragmente aus früheren Kollisionen.
Im Laufe der kommenden Jahre werden Konstellationen aus Tausenden von Satelliten die Weltraumumgebung verändern und damit auch die Anzahl der aktiven, einsatzfähigen Raumfahrzeuge im Orbit erheblich erhöhen.
Zu den Vorteilen dieser neuen Technologie zählen der globale Internetzugang und präzise Ortungsdienste, allerdings müssen auch die Herausforderungen bei der Schaffung einer sicheren und nachhaltigen Weltraumumgebung bewältigt werden.
Regeln im Weltraum
"An dieser Situation ist niemand schuld, allerdings zeigt dieses Beispiel, wie dringend ein richtiges Raumfahrtmanagement mit klaren Kommunikationsprotokollen und mehr Automatisierung erforderlich ist", erklärt Holger Krag.
"Die Flugsicherung läuft seit vielen Jahrzehnten auf diese Weise, und jetzt müssen sich die Raumfahrer zusammensetzen, um eine automatisierte Manöverkoordination zu definieren."
Autonomer Weltraum
Da die Anzahl von Satelliten im Orbit stetig zunimmt, wird der heutige "manuelle" Prozess zur Vermeidung von Kollisionen in Zukunft nicht ausreichen. Um die Weltrauminfrastruktur zu schützen, sind automatisierte Systeme notwendig.
Derartige Manöver erfordern viel Vorbereitungszeit - angefangen bei der Bestimmung der künftigen Umlaufbahnen der aktiven Raumfahrzeuge bis hin zur Berechnung möglicher Folgen von verschiedenen Handlungen.
Die ESA bereitet sich darauf vor, diesen Prozess mit künstlicher Intelligenz zu automatisieren, indem sie die Prozesse der Datenverarbeitung und Risikoanalyse beschleunigt, angefangen bei der ersten Bewertung einer möglichen Kollision und bis hin zur Übermittlung des Befehls an den Satelliten, sich aus der Bahn zu bewegen.
Im Rahmen des ESA-Programms für Weltraumsicherheit sind Investitionen in Technologien geplant, die es ermöglichen, Kollisionswarnungen automatisch zu verarbeiten, Manöver mit anderen Akteuren zu koordinieren und Befehle vollautomatisch an Raumfahrzeuge zu übermitteln. So soll sichergestellt werden, dass die Vorteile des Weltraums auch über kommende Generationen hinweg genutzt werden können.