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Eureca (European Retrieval Carrier) bei der Rückholung im Jahre 1993
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Missionen und Meilensteine

26/06/2017 2434 views 0 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Paolo Ferris erste Liebe wog 4491 Kilogramm. Sie hieß EURECA, bestand aus 71 Experimenten in der Schwerelosigkeit, arbeitete in 500 Kilometern Höhe und kam zu ihm zurück – in einem Spaceshuttle der Amerikaner. Der European Retrievable Carrier, übersetzt Europäischer Rückführbarer Träger, war ein Forschungssatellit der ESA, den die NASA 1992 im All aussetzte und ein Jahr später wieder einfing. 

„Eine tolle Mission und ein Abenteuer“, erinnert sich Paolo Ferri, heute Bereichsleiter des ESA-Missionsbetriebs, damals ein 32 Jahre junger Operations-Ingenieur. Der Italiener, der im lombardischen Pavia Theoretische Physik studiert hat, kam 1984 nach Darmstadt. Zunächst arbeitete er als Wissenschaftler im Team für EXOSAT, dem ersten Astronomie-Satelliten der ESA, bewarb sich dann jedoch auf eine feste Stelle im ESOC: „Als ich anfing, im ESOC zu arbeiten, wurde ich sofort vom Missionsbetrieb infiziert. Das war es, was ich tun wollte.“ 

Für EURECA hielt sich Paolo Ferri Anfang der 1990er Jahre oft in Houston auf. „Satelliten funktionierten damals noch nicht so zuverlässig wie heute. Ohne unsere ständige Hilfe und Betreuung hätte die Sonde die elf Monate Laufzeit im Orbit gar nicht überlebt“, erinnert er sich. Vor allem Hardware-Fehler machten den ESA-Ingenieuren zu schaffen. Heute ist das Material robuster, die Konstruktion ausgereifter. Die Satelliten halten zehn, 15 Jahre oder länger. „Damals war die Hälfte der Systeme schon nach einem Jahr kaputt“, sagt Paolo Ferri.

Zuverlässigkeit und Betriebsdauer von Satelliten sind heute viel höher als früher 

Auch im Kontrollzentrum hat sich das Arbeitsleben geändert: Heute gibt es bessere Software, Hightech-Computer und Automatisierungsprozesse. Vor mehr als 20 Jahren jedoch musste der Satellit ständig überwacht werden. Zu EURECA-Zeiten kümmerten sich zwei Kontrolleure rund um die Uhr um einen Satelliten, aktuell überwacht ein ESA-Mitarbeiter vier bis sechs Sonden.

Die Satelliten der CLUSTER-Mission waren 1996 aufgrund eines Software-Fehlers verloren gegangen
Die Satelliten der CLUSTER-Mission waren 1996 aufgrund eines Software-Fehlers verloren gegangen

Bei EURECA waren die Europäer auf den Huckepack-Dienst des Space Shuttles der amerikanischen Raumfahrtbehörde angewiesen. „Und die“, berichtet Rolf Densing, ESOC-Leiter und ESA-Direktor für den Missionsbetrieb, „transportierten unsere Satelliten nur ins All, wenn sie keine Konkurrenz zu ihren eigenen darstellten.“ Die ESA wollte unabhängig sein, entwickelte mit den ARIANE-Generationen 1 bis 5 eigene Trägerraketen, die seit 1979 vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ins All starteten. 

Drei Jahre hatte Paolo Ferri in Darmstadt an der CLUSTER-Mission zur Erforschung des Erdmagnetfeldes mitgearbeitet. Die vier Satelliten der ESA sollten mit dem Erstflug der neuen ARIANE-5 in die Umlaufbahn gebracht werden. Der 57-Jährige erinnert sich noch genau an das Datum: 4. Juni 1996. „Ein Trauma für alle“, sagt er. Wegen eines Softwarefehlers kam die Rakete vom Kurs ab und explodierte in 4000 Metern Höhe. Ein herber Rückschlag für die Darmstädter und die europäische Raumfahrt. Doch zugleich ein Wendepunkt, der viele Jahre später zu einem historisch einmaligen Höhenflug führen sollte.

Rosetta – Juwel des ESOC

Paolo Ferri und viele aus dem Team brauchten ein neues Betätigungsfeld: Die Kometen-Mission Rosetta. „Wir haben mit drei, vier Leuten bei null angefangen“, sagt der Italiener, der Leiter des Rosetta-Flugkontrollteams wurde. Fast 20 Jahre dauerte es von der Planung 1996 bis zum Aufsetzen auf dem eisigen Himmelskörper 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. Rosetta ist die weltweit einmalige Mission der Europäer und ein Meilenstein für die Expertise des ESOC. 

Der Hauptkontrollraum des ESOC im Jahre 1996
Der Hauptkontrollraum des ESOC im Jahre 1996

Niemand wusste damals in Darmstadt genau, wie eine interplanetare Mission vorangetrieben werden muss. „Wir hatten keine Erfahrung“, so Paolo Ferri. Die rund sieben Milliarden Kilometer lange Reise zum Kometen, zum Teil bis zu fast einer Milliarde Kilometer von der Erde und 800 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, war Neuland selbst für die erfahrensten Ingenieure, Flugdynamiker und Operations-Leute. Und die ESA hatte kaum Infrastruktur am Boden dafür.

Einen Kometen hatte noch keiner, auch die NASA nicht, so nah angesteuert. Geschweige denn eine Landung darauf gewagt. Zu viel Risiko. „Das schaffen die Europäer nie“, erinnert sich Paolo Ferri an Prognosen von jenseits des Atlantiks. Auch er selbst war angesichts der riesigen Herausforderung zuweilen skeptisch, „doch die Begeisterung war immer größer als die Sorge“, lacht er.

Manfred Warhaut, damals für Rosettas Bodensegment verantwortlich, entwickelte die richtige Strategie: Er bildete zuerst ein kleines Team von Experten wie Paolo Ferri, und erlaubte, dass ein paar Jahre später auch jüngere Ingenieure dazu geholt werden konnten, die die 12 Jahre lange Mission bis zum Ende würden führen können. Zudem trieb er die Idee einer langfristigen Infrastruktur am Boden voran, die mit den Deep Space-Antennen in New Norcia (Australien), Cebreros (Spanien), und Malargüe (Argentinien) verwirklicht wurde. 

Künstlerische Darstellung von Rosetta, Philae und dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko
Künstlerische Darstellung von Rosetta, Philae und dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko

ESTRACK, das Bodenstationsnetzwerk der ESA, verfügt heute außerdem über vier 15-Meter-Antennen und eine Vielzahl weiterer, kleinerer Anlagen rund um die Welt. Das Netz an Bodenstationen wird ebenfalls vom ESOC gesteuert. Kooperationen und Abkommen bestehen mit der NASA, China und auch Russland. „Internationale Kooperationen sind wichtig. Große Ziele erreicht man nur gemeinsam“, sagt Paolo Ferri, der 2006 zum Leiter für interplanetare Missionen der ESA, und 2013 zum Nachfolger von Manfred Warhaut als Leiter des ESA-Missionsbetrieb ernannt wurde. 

Mit dem Aufsetzen des Landegeräts Philae am 12. November 2014 auf dem Kometen und der erfolgreichen Datenübertragung wurde aus der Rosetta-Mission ein historisches Raumfahrt-Ereignis, das über 600 Millionen Menschen weltweit erreichte. Sogar der New York Times war es eine Schlagzeile auf der Frontseite wert.

„Wir sind die Einzigen bisher, die so etwas geschafft haben. Unsere Erfahrung in der interplanetaren Raumfahrt ist in Europa und in der Kometenforschung weltweit einzigartig. Die Amerikaner laufen uns heute hinterher“, sagt Paolo Ferri stolz. Für ihn zählt Rosetta zu den „Juwelen des ESOC“. Nicht nur wegen der Erfahrung und des wissenschaftlichen Erkenntnis-Schatzes, „sondern auch wegen des Teams und seinem einmaligen Knowhow“. Auch Missionen wie Mars-Express und Venus-Express profitierten von Rosetta.

Der Mars macht erfinderisch

Auf einem Sideboard in seinem Büro stehen alle Satelliten-Missionen, die Mike McKay begleitet hat, als Miniaturmodelle aufgereiht: der International Sun-Earth Explorer I, die Exosat-Röntgenstrahlungsmission, die Erdbeobachtungssonden ERS 1 und 2, SMART-1, Mars Express. 

Daneben ein Foto seiner Alma Mater, der Universität Belfast. Von Nordirland kam der junge Student als Stipendiat 1979 zum ESA-Zentrum ESTEC in den Niederlanden. Mike McKay hatte seinen Bachelor in Flugzeugbau gemacht, ein Master in Informatik sollte folgen. Im Fernsehen hatte er Armstrongs Schritte auf dem Mond gesehen. Seither träumte er davon, Pilot zu werden und zu fliegen - am besten bis in den Weltraum. Sein Professor vermittelte ihm den Kontakt zur ESA. Sechs Monate forschte McKay über kosmische Partikel der Sonne und kosmische Strahlungen, ein Gebiet, das ihm 1980 eine Stelle im ESTEC einbrachte. Mit einem Team des ESTEC kam er nach Darmstadt. „Ich dachte, ich bleibe für ein Jahr, doch die Anziehungskraft war dann so groß, dass ich diesen Orbit nicht mehr verlassen wollte“, scherzt er.

Mars Express über der Mars-Oberfläche
Mars Express über der Mars-Oberfläche

Mike McKay hat Europas ersten Flug zu einem Planeten geleitet. Mars Express startete im Juni 2003 und erreichte den Roten Planeten am 25. Dezember desselben Jahres. Technisch eine große Herausforderung, vor allem als eine der 20 Meter langen Radarantennen des Satelliten sich nicht wie geplant ausklappen wollte. An Bord waren neben anderen Instrumenten zwei 20 Meter und eine sieben Meter lange MARSIS-Antenne. Dieses Instrument war dafür vorgesehen, bis zu einigen Kilometern unter der Oberfläche nach flüssigem oder gefrorenem Wasser zu suchen. Doch eins der 13 Scharniere klemmte, war offensichtlich eingefroren. 

„Wir kamen auf die Idee, den Satelliten zur Sonne umzudrehen, um das Scharnier zu erwärmen.“ Eine Zitterpartie, fast zwei Millionen Kilometer von der Erde entfernt, die von Erfolg gekrönt war. Die Mission konnte fortgesetzt werden. „Das kann nicht jeder“, sagt der 61-jährige Mike McKay, der später in der Abteilung für bemannte Raumfahrt und heute als Berater für Strategiefragen und Koordination für die ESOC-Leitung arbeitet. Dank der Instrumente an Bord von Mars Express konnten unter anderem große Mengen an Wassereis auf den südlichen Polkappen des Roten Planeten nachgewiesen werden, ebenso Spuren von Methan in der Atmosphäre. 

Schon bei Mars Express war das weltweite Interesse am ESOC groß. „Wenn Beagle funktioniert hätte, wäre das eine Sensation gewesen“, sagt der Ire und meint die Landeeinheit der Mission, die unter der Leitung britischer Universitäten entwickelt wurde. Beagle 2 wurde am 19. Dezember 2003 vom Satelliten abgekoppelt und erreichte den Planeten rund fünf Tage später. 

Mike McKay im Jahre 1983: Er hat Europas ersten Flug zu einem Planeten geleitet.
Mike McKay im Jahre 1983: Er hat Europas ersten Flug zu einem Planeten geleitet.

Es konnte jedoch kein Kontakt hergestellt werden. Im Februar 2004 gab man die Suche auf. „Mars Express war erfolgreich, aber alle schauten auf Beagle“, bedauert der ESA-Experte. Erst elf Jahre später wurde Beagle auf Bildern aus dem Mars Orbit entdeckt. Heute weiß McKay: Die Landung war erfolgreich, aber zwei der vier Solarpaneele ließen sich nicht ausklappen. 42 Missionen zum Mars gab es bisher von Raumfahrt-Nationen, die Hälfte scheiterte - zuletzt im Oktober 2016 auch das ESA-Landemodul Schiaparelli.

Auf Mars Express folgten weitere Planeten-Missionen der ESA: Cassini-Huygens, eine NASA/ESA-Mission zweier Forschungssonden zum Saturn und seinen Monden, setzte 2005 das Landemodul Huygens auf der Oberfläche des Mondes Titan ab. Venus-Express startete 2005, und ExoMars TGO, der zweite Mars-Orbiter der ESA, 2016. Für 2018 ist die Mission BepiColombo geplant, die den Planeten Merkur untersuchen soll. Die zweite ExoMars-Mission gemeinsam mit der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, die einen Rover auf der Marsoberfläche absetzen soll, wird 2020 starten.

Für 2022 ist die achtjährige Reise von JUICE zu den Eismonden des Jupiters in das äußere Sonnensystem avisiert. Dann wird Mike McKay schon in Rente sein. Die Arbeit im ESOC, den Pionier- und Teamgeist wird er vermissen: „Wir sehen uns alle als Europäer und wollen als Mannschaft etwas erreichen. Das ist das Besondere und das Erfolgsrezept.“

Lesen Sie weiter auf den nachfolgenden Themenseiten unseres Specials: 

Web Special: 50 Jahre ESOC 

Die Geschichte des ESOC

Expertise und Emotionen 

Missionen und Meilensteine

Motor für Wirtschaft und Wissenschaft 

50 Jahre ESOC: Was bleibt im Gedächtnis?

"Wir müssen immer einen Schritt voraus sein"

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