Pioniertat: Erste Landung auf einem Kometen
Wird sich Europas ehrgeizige Rosetta-Mission einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern? Diese Frage schwang bei all jenen mit, die am Mittwoch, dem 12. November 2014, das einzigartige Ereignis live mitverfolgen wollten: Die erste Landung auf einem „Schweifstern“, dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko.
Anspannung vor der größten Herausforderung
11. November 2014: Am Vorabend gab es mehrere kritische Abstimmungsrunden. Die erste, um 20.00 Uhr (alle Zeitangaben in MEZ), endete mit der Bestätigung, dass Rosetta im korrekten Orbit ist, um Philae zur richtigen Zeit zur Kometenoberfläche zu bringen. Doch es gab ein Problem: Die Kaltgasdüse ließ sich nicht aktivieren. Das ist jene Düse, die den Lander unmittelbar nach seinem Aufsetzen auf die Kometenoberfläche herunterdrücken soll. Eine Vorsichtsmaßnahme, damit Philae beim Aufsetzen nicht zurückfedern und sich wegbewegen kann. Sollte man die Landung deshalb verschieben? Oder sollte man das Risiko eingehen? Erst um Mitternacht fiel die Entscheidung: „Go Philae“. Schließlich standen ja noch die Harpunen und die Eisschrauben zur Verfügung.
Der Tag, an dem Geschichte geschrieben wurde
12. November 2014: Dutzende Journalisten und Kamerateams aus vielen Ländern zog es an die Hauptorte des irdischen Geschehens, nach Darmstadt und nach Köln. In Darmstadt befindet sich das Kontrollzentrum ESOC der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Europas Tor zum Weltraum, das die Rosetta-Sonde steuert. Das Kontrollzentrum des Landegeräts Philae (LCC) befindet sich im Nutzerzentrum für Weltraumexperimente des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Das Philae-Team ist für die Steuerung und den Betrieb des Landers verantwortlich.
Außerdem fanden an diesem Tag in Deutschland, Österreich und Frankreich vielerorts Public-Viewing-Veranstaltungen statt. Zahllose Interessierte wollten live dabei sein. Denn für die historische Landung gab es keine zweite Chance. Nichts konnte korrigiert werden, schon gar nicht an einem Ort, der 510 Millionen Kilometer von der Erde entfernt war.
Abstieg ins Ungewisse
Grünes Licht. Um 10.03 Uhr erhielt das Missionskontrollteam die Nachricht der erfolgreichen Trennung des Philae-Landers von Rosetta. Die Radiosignale vom Kometenorbit benötigten 28 Minuten und 20 Sekunden bis zur Erde. Die Muttersonde hatte den Lander um 9.35 Uhr aus einer Höhe von 22,5 Kilometern mit einem sanften Schubs auf die Reise geschickt.
Erster Jubel brach aus. Doch jeder wusste: Nun beginnt ein siebenstündiges Lotteriespiel. Während des Abstiegs ohne Antrieb oder Lenkung nahm Philae Bilder auf und sammelte Informationen über das Umfeld des Kometen. Sämtliche Daten gingen gleich zum Orbiter, der als Relaisstation zur Erde diente.
Um 17.03 Uhr traf das langersehnte Signal pünktlich(!) in Darmstadt ein. Flugdirektor Andrea Accomazzo verkündete die Sensation: Landung! Tosender Applaus brandete auf, Wissenschaftler und Gäste lagen sich in den Armen. Freudentränen.
Während der damalige ESA-Chef Jean-Jaques Dordain den Reigen der Reden über die historische Bedeutung dieses Ereignisses eröffnete, sah man im Kontrollzentrum fragende Blicke. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Unmittelbar nach der Landung sollte Philae ein Panoramabild des Landeplatzes fotografieren und damit zwei Fragen klären: Wo und wie ist Philae gelandet? Doch das ersehnte Foto blieb aus. Irritiert schauten die Flugkontrolleure auf ihre Bildschirme: Das kühlschrankgroße Labor bewegte sich wieder, war noch nicht zur Ruhe gekommen. Erst gegen 20.00 Uhr informierte DLR-Projektleiter Stephan Ulamec die Anwesenden: „Wie es aussieht, sind wir nicht nur ein Mal gelandet, sondern zwei Mal.“
In der Nacht zum 13. November gewannen die Teams in Köln und Darmstadt dann endgültig Klarheit: Philae setzte um 16.34 Uhr mit einer erstaunlichen Präzision nur wenige Meter neben der vorgesehenen Landestelle Agilkia auf. Doch weder die Kaltgasdüse noch die Harpunen, die beim „Touchdown“ hätten automatisch auslösen sollen, funktionierten. So federte Philae im hohen Bogen zurück und vollzog um 18.25 Uhr seine zweite Landung, einen Kilometer von Agilkia entfernt. Aber auch hier kam er nicht zur Ruhe und hüpfte weiter. Um 18.32 Uhr landete er zum dritten Mal. Philaes ungewollte Hopser wirbelten nicht nur Kometenstaub auf, sie brachten das ganze Missionsszenario durcheinander. Der Lander kam an einer schattigen Stelle der Oberfläche zur Ruhe. Später stellte sich heraus, dass seine Füße sogar den Boden berühren. Der Landeort erhielt den Namen Abydos, in Anlehnung an eine altägyptische Stadt am Nilufer.
Schwarze Landschaften
In die Gesichter der Flugkontrolleure und Kometenforscher schlich sich Besorgnis. Ihnen wurde klar, dass das eintreffende Sonnenlicht nicht ausreicht, um die Solarzellen zu laden. Als einzige Energiequelle blieb somit die Primärbatterie mit einer auf 64 Stunden begrenzten Lebenszeit. Es galt daher, ein Maximum an Ergebnissen zu erreichen.
Die im Schichtsystem arbeitenden Forscher trieben den Lander an. Alle zehn Instrumente kamen zum Einsatz, auch der Hammer und das Bohrgerät. Technisch verlief die Probenentnahme mit dem ausfahrenden Bohrer zwar fehlerfrei, aber der erreichte in der zerklüfteten Oberfläche nicht den Boden und konnte deshalb kein Material entnehmen. Allerdings konnte das COSAC-Instrument während der Abstiegsphase Proben sammeln und damit erste organische Moleküle analysieren, die der Komet ausgegast hatte.
Philae hat fotografiert, geschnüffelt, gehämmert, gebohrt, gelauscht und gemessen. Die Energiereserven reichten, wie vorhergesagt, bis zum 15. November. Morgens um 1.36 Uhr schaltete der Lander alle Geräte ab und fiel in eine Art Schlafmodus. Trotz alledem sind die Forscher mit ihrer Ausbeute hochzufrieden, denn alle Fotos und Daten konnten zur Erde übertragen werden.
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