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Aurora Borealis
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Weltraumwetter: Die zerstörerische Kraft der Sonne

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ESA / Space in Member States / Germany

Grün und violett schimmern die Lichter wie bunte Zuckerwatte am tiefblauen Nachthimmel über Nordnorwegen. Aurora borealis, Polarlichter oder Nordlichter werden die Lichterscheinungen genannt, von denen all jene schwärmen, die sie mal erblickt haben. Das Naturphänomen, das der Tourismusbranche und Polarreisenden Glücksmomente beschert, bereitet Wissenschaftlern und Raumfahrtexperten dagegen eher Unbehagen. Deutet es doch auf erhöhte Sonnenaktivitäten und Sonneneruptionen hin.

„Aurora borealis“, sagt Stefan Kraft, promovierter Physiker im Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt, „ist die optisch schöne Seite des Weltraumwetters“. Physikalisch jedoch bedeuten Polarlichter, dass zuvor ein koronaler Massenauswurf – kurz CME – stattgefunden hat, eine Sonneneruption, bei der Plasma in einer Größenordnung von mehreren zehn Milliarden Tonnen Masse in den Weltraum geschleudert wird. Dieses Sonnenplasma besteht aus Elektronen, Protonen und den Kernen schwerer Elemente wie Helium, Sauerstoff oder Eisen – eine hochaufgeladene Teilchenmischung, die Mensch und Technik gefährden und die Infrastruktur im All und auf der Erde zerstören kann, erklärt ESA-Experte Stefan Kraft.

Bessere Vorhersagen und Schutz

Der Wissenschaftler ist Koordinator des Weltraumwetter-Beobachtungssystems der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die Erforschung und zuverlässige Prognose des Weltraumwetters ist eines der Ziele des Weltraumüberwachungsprogramm (SSA) der ESA. Mehr als 30 Millionen Euro stehen allein für diese Säule des Programms bis 2020 bereit. Kraft arbeitet seit 2015 im SSA Office, das seinen Sitz im Darmstädter Satellitenkontrollzentrum hat. Als Space Segment Engineer befasst er sich vor allem mit der Umsetzung von Strategien und Missionen, die die Erde vor den Turbulenzen aus dem All schützen und sie besser vorhersagen sollen. Möglich werden soll eine Vorwarnzeit von mehreren Tagen wie bei der Wetterprognose auf der Erde. Dazu nötig ist auch ein besseres Verständnis der Abläufe, die das Wetter im Weltraum bestimmen.

Stoßwellen zur Erde

CME beobachtet von der ESA/NASA Mission SOHO
CME beobachtet von der ESA/NASA Mission SOHO

Die Häufigkeit von koronalen Massenauswürfen (CME) hängt von der Intensität der Sonnenaktivität ab. Austrittsquellen sind meist Sonnenflecken. Die Eruptionen schleudern einen Strom an hochaufgeladenen Teilchen in den Weltraum, der den sonst relativ konstant wehenden Sonnenwind zu regelrechten Stoßwellen anschwellen lässt. Auf Simulationen sieht das aus wie eine Wolke, die von der Sonne Richtung Erde treibt. Der durch die Explosionen verstärkte Sonnenwind erhöht den Druck auf die Magnetosphäre unseres Planeten. Der Schutzschild der Erde wird dabei wie eine Seifenblase auseinandergezogen und kann sozusagen reißen. Die elektrischen Teilchen, die dann in das Magnetfeld eintreten, verändern die Ströme in der Magnetosphäre und Ionosphäre der Erde, erklärt Stefan Kraft. Die 150 Millionen Kilometer von der Sonne bis zur Erde können die Teilchenströme innerhalb von mehreren Stunden zurücklegen.

Carrington-Event

Den ersten Zusammenhang zwischen Sonnenflecken und Schwankungen im Magnetfeld der Erde registrierte der englische Astronom Richard Christopher Carrington am 1. September 1859. Durch sein Teleskop beobachtete er eine riesige Explosion auf der Sonne und einen minutenlangen Lichtblitz. Es war einer der bis heute gemessenen zehn größten Lichtblitze, auch Flares genannt. Wissenschaftler bezeichnen die Beobachtung als Carrington-Event. 20 Stunden später löste das ausgeschleuderte Plasma auf der Erde einen magnetischen Sturm aus, der sogar die Kompassnadeln ausschlagen ließ. „Das war der Start der Weltraumwetter-Untersuchungen“, sagt Stefan Kraft. Im 19. Jahrhundert verursachte das Ereignis Störungen an Stromleitungen und am Telegraphensystem, „doch wenn so ein starkes Event heute geschehen würde, wären die Schäden gigantisch“, gibt der ESA-Experte zu bedenken. Im Zeitalter der Technisierung und Digitalisierung sind Blackouts, Schäden in Billionenhöhe, Satellitenausfälle und im schlimmsten Fall sogar Tote möglich.

Enorme Schäden heute

Weltraumwetter-Effekte
Weltraumwetter-Effekte

Elektromagnetische Strahlung und magnetischen Stürme stören beispielsweise die Computerchip-Herstellung auf der Erde, sie lassen Hochspannungsnetzwerke kollabieren und lösen Korrosion an Öl-Pipelines aus. Sie behindern die Bordelektronik in Flugzeugen, die Übertragung von TV- und Handyempfang, die Telekommunikation und Navigationssysteme weltweit. 1989 kam es im kanadischen Québec zu einem neunstündigen Stromausfall, 2003 wurden durch einen magnetischen Sturm Satelliten gestützte GPS-Dienste in Deutschland lahm gelegt. Zuletzt 2017 beobachteten Wissenschaftler erneut starke Sonneneruptionen, „doch die Teilchen trafen die Erde glücklicherweise nicht“, berichtet Kraft. Für die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS könnten solche Sonnenexplosionen und die damit einhergehende Strahlung gesundheitsgefährdend sein. Sie müssen rechtzeitig gewarnt werden, so dass sie sich auf der ISS hinter Wassertanks zurückziehen können, die die Strahlung teilweise absorbieren.

Maßnahmen der ESA

„Das Weltraumwetter ist ein Sicherheitsproblem und steht auf der Agenda aller Staaten“, sagt der ESA-Experte. Die zuverlässige und stundengenaue Vorhersage solcher Ereignisse steht daher auch weit oben auf der Prioritätenliste des SSA Programms der ESA. Eine Vorwarnzeit von mehreren Tagen würde reichen, um empfindliche Satelliten in einen kontrollierten Zustand zu manövrieren, Energiekonzerne könnten ihre Generatoren auf weniger anfällige Leistungen herunterfahren und Flugzeuge und ihre Besatzungen auf andere Routen umgeleitet werden. Die ESA hat bereits Satelliten im All, die das Weltraumwetter beobachten. Der Satellit Cluster erforscht die Sonnenaktivitäten sowie die Wechselwirkung von Sonnenwind und Magnetfeld der Erde, der Testsatellit Proba-2 beobachtet die Sonne ständig im ultra-violetten Bereich des Lichts. Auch die ESA/NASA-Raumsonde SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) hält die Sonne seit 1996 ununterbrochen im Blick. Sie ist in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung auf der der Sonne zugewandten Seite der Erde stationiert.

Europäischer Weltraumwetterdienst und das Space Weather System

Cluster and Image during aurora observation
Cluster and Image during aurora observation

Seit 2009 arbeitet die ESA am Aufbau eines Weltraumwetter Systems (Space Weather System). Bereits installiert wurde ein Space Weather Service Netzwerk (SWE), ein europaweiter Weltraumwetterdienst. Das SWE Portal hält online unter http://swe.ssa.esa.int  heute über 60 Service-Produkte bereit, darunter Messwerte, Vorhersagen, Warnmeldungen und Experten-Analysen, die sich mit den Sonnenaktivitäten und ihren Auswirkungen befassen. Beliefert wird dieser Netzwerk-Dienst von rund 6 Expertenzentren (Expert Service Centers - ESCs) die mit mehreren teilnehmenden Instituten in mehr als 14 Ländern vernetzt sind. Das SSA Space Weather Cordinations Centre koordiniert diese Dienste und das SWE Datenzentrum in Belgien sammelt und archiviert alle Daten. Die Aufgaben sind europaweit verteilt, mit ESCs in Belgien, Großbritannien, Norwegen oder Deutschland. Sie versorgen die Nutzer mit Informationen über geomagnetische Bedingungen, Strahlungen aus dem Weltraum und geben Auskunft über das Solar-, das heliosphärische- oder ionosphärische Wetter.

Vigil-Mission

Zukünftige Lagrange-Mission
Zukünftige Lagrange-Mission

Diese Daten stammen von einer wachsenden Anzahl an am Boden und im All stationierten Sensoren, die zum Space Weather System gehören. „Wir bauen derzeit dieses System auf“, berichtet Stefan Kraft, Koordinator des neuen Systems. Dazu gehört die geplante Vigil-Mission. Die ESA/NASA Sonde SOHO, die das Weltraumwetter bereits beobachtet, ist über 20 Jahre alt und muss in ein paar Jahren abgeschaltet werden. Daher soll ein neuer ESA-Satellit am sogenannten Lagrange Punkt L5 im Dreieck zwischen Sonne und Erde positioniert werden. An den nach Joseph-Louis Lagrange benannten Punkten herrscht zwischen zwei Himmelskörpern und einem dritten Objekt, dem Satelliten zum Beispiel, ein Gleichgewichtszustand zwischen Gravitations- und Zentrifugalkraft. Eine Raumsonde kann an dieser Stelle scheinbar kräftelos verharren. Es gibt insgesamt fünf Librationspunkte (L1 bis L5), auf denen sich die Gravitationskräfte die Waage halten.

Von L5 aus ist die Oberfläche der Sonne gut sichtbar. „Der L5 ist ein Messpunkt, von dem aus gesehen die Sonnenbeobachtungen anderen Beobachtungen aus Sicht der Erde vier bis fünf Tage vorauseilen, um genug Zeit für eine Reaktion auf der Erde zu gewinnen“, betont ESA-Experte Kraft. Ein mit Kameras und Sensoren ausgerüsteter Satellit würde die Magnetfeldstärken und Temperatur der Sonne, und die Dichteverteilung und Richtung der Sonnenteilchen bei einer Sonneneruption messen – alles wichtige Anhaltspunkte für eine bessere Vorhersage. Andere Organisationen planen mit einer Mission den L4 Punkt zu besetzen. Am L1 Punkt verharren derzeit zwei Sonden der US-Organisation NOAA.

L5-Studie und weitere Projekte

Die L5–Studie, die Machbarkeitsstudie der Mission, wird im Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt mit Hilfe industrieller Partner erstellt. Baubeginn des Satelliten könnte 2020/2021 sein, der Start zwei oder drei Jahre später erfolgen. Den L5-Punkt würde die Raumsonde 2024 erreichen, die Messungen könnten 2025 starten.

In der Planung sind zudem weitere Projekte. „Derzeit laufen Studien für ein eigenes Satellitenprogramm, eine Konstellation aus sechs kleinen Sonden“, berichtet der ESA-Experte. Diese könnten die Aurora borealis und die meisten relevanten Eigenschaften des Weltraumwetters in der Nähe der Erde beobachten, wie zum Beispiel Änderungen im Strahlungsgürtel. Damit ist der Ring energiereicher geladener Teilchen gemeint, die durch das Erdmagnetfeld eingefangen werden. Rund 40 Millionen Euro würden diese sechs Satelliten in etwa kosten. Laut Stefan Kraft könnte der Bau einer Testsonde 2020 starten, deren Finanzierung aber noch eingeworben werden muss.

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