N° 7–2013: Planck offenbart uns ein fast perfektes Universum
20 March 2013
Heute wurde die bisher genaueste Karte der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, der fossilen Strahlung aus der Zeit des Urknalls, vorgestellt. Die ihr zugrunde liegenden Daten wurden mit dem Weltraumteleskop Planck der Europäischen Weltraumorganisation ESA erfasst. Einige der mit dieser Karte gewonnenen Erkenntnisse rütteln an den Grundfesten unseres derzeitigen Verständnisses des Weltalls.
Das Bild basiert auf den Daten der ersten sich über 15,5 Monate erstreckenden Beobachtungen von Planck. Es stellt die erste, den gesamten Himmel umfassende Abbildung der ältesten Lichtstrahlung im All dar, die ihren Abdruck am Sternenhimmel zu einer Zeit hinterließ, als unser Universum gerade 380 000 Jahre alt war.
Zu diesem Zeitpunkt bildete das Universum eine heiße, dichte Suppe aus zueinander in Wechselwirkung stehenden Protonen, Elektronen und Photonen bei einer Temperatur von etwa 2700 °C. Als Protonen und Elektronen sich zu Wasserstoffatomen formten, wurde das Licht freigesetzt. Durch die Ausdehnung des Universums wurde auch dieses Licht bis heute auf Mikrowellen-Wellenlängen ausgedehnt und besitzt eine Temperatur von gerade einmal 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt.
Die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung weist jedoch winzige Temperaturunterschiede auf, die sich mit Regionen von geringfügig abweichender Dichte in der Frühzeit des Universums decken und so den Keim für alle künftigen Strukturen, nämlich die heutigen Sterne und Galaxien, in sich tragen.
Dem kosmologischen Standardmodell zufolge entstanden diese Fluktuationen unmittelbar nach dem Urknall und wurden dann innerhalb eines kurzen Zeitraums beschleunigter Expansion, auch Inflation genannt, auf kosmologische Ausmaße ausgedehnt.
Planck wurde konzipiert, um diese Fluktuationen des gesamten Sternenhimmels mit bisher unerreichter Auflösung und Empfindlichkeit zu erfassen. Die Analyse der Eigenschaften und der Verteilung dieser Urstrukturen auf dem Planck-Bild der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ermöglicht uns Rückschlüsse in Bezug auf die Zusammensetzung und Entwicklung des Universums von seiner Entstehung bis zum heutigen Tag.
Insgesamt stellen die mit der neuen Planck-Karte gewonnenen Erkenntnisse eine eindeutige und zudem die bisher präziseste Bestätigung des kosmologischen Standardmodells dar und setzen so neue Richtwerte für unser Bild von der Zusammensetzung des Universums.
Dank der außerordentlichen Präzision der Planck-Karte konnten jedoch auch einige bisher ungeklärte Phänomene aufgedeckt werden, für deren Verständnis neue physikalische Erklärungsversuche erforderlich sein könnten.
„Die herausragende Qualität dieses Porträts, das uns Planck von einem noch in seinen Kinderschuhen stehenden All gezeichnet hat, ermöglicht uns, Schicht für Schicht bis zu seinem Ursprung vorzudringen, und macht uns gleichzeitig deutlich, dass unsere bisherige Vorstellung vom Kosmos alles andere als vollkommen ist. Voraussetzung für diese Entdeckungen waren die einzigartigen Technologien, die europäische Unternehmen für diese Mission entwickelt haben“, so ESA-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain.
„Seit 2010, als Plancks erstes den gesamten Himmel erfassendes Bild veröffentlicht wurde, waren wir damit beschäftigt, die Emissionen im Vordergrund, die den Blick auf das erste Licht des Universums bisher verstellt hatten, vorsichtig herausfiltern und zu analysieren, so dass sich die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung uns nun in ihren kleinsten, bisher unerkannten Details offenbart“, erläutert George Efstathiou von der Universität Cambridge.
Zu den wohl überraschendsten Ergebnissen zählt die Tatsache, dass die Fluktuationen bei den Temperaturen der Hintergrundstrahlung auf großen Winkelskalen nicht den im Standardmodell vorhergesagten Werten entsprechen: Ihre Signale sind nicht so stark, wie dies von der von Planck entdeckten kleinmaßstäbigeren Struktur zu erwarten gewesen wäre.
Ebenfalls verblüffend ist die Asymmetrie der Durchschnittstemperaturen an den entgegengesetzten Hemisphären des Himmels. Dies widerspricht der im Standardmodell postulierten grundsätzlichen Ähnlichkeit des Universums, ganz gleich in welche Richtung man blickt.
Darüber hinaus erstreckt sich ein kalter Fleck über ein Areal am Himmel, das wesentlich größer ist als erwartet.
Bereits Plancks Vorgänger, die NASA-Mission WMAP, gab Hinweise auf die Asymmetrie und den kalten Fleck, jedoch schenkte man ihnen aufgrund der Zweifel an ihrem kosmischen Ursprung kaum Beachtung.
„Die eindeutige Erfassung dieser Anomalien durch Planck lässt keine weiteren Zweifel an ihrer Existenz zu. Sie können nun nicht mehr als Messfehler betrachtet werden. Wir müssen sie als Tatsachen hinnehmen und nun nach einer plausiblen Erklärung suchen“, bekräftigt Paolo Natoli von der italienischen Universität Ferrara.
„Stellen Sie sich vor, Sie untersuchen das Fundament eines Hauses und stellen dabei einige Schwachstellen fest. Auch wenn Sie nicht sagen können, ob diese das Haus irgendwann zum Einsturz bringen, werden Sie zumindest versuchen, möglichst rasch neue Stützen zu errichten“, erklärte bildlich François Bouchet vom Pariser Institut für Astrophysik.
Eine mögliche Erklärung für diese Anomalien wäre die Hypothese, dass das All in Wirklichkeit in einer größeren als der von uns beobachtbaren Skala nicht nach allen Richtungen hin gleich geartet ist. In diesem Szenario hätte das Licht der Hintergrundstrahlung einen wohl etwas komplizierteren Weg durch das Universum als bisher gedacht zurücklegen müssen, was zu einigen der ungewöhnlichen Beobachtungsergebnisse führen würde.
„Unser Fernziel sollte es sein, ein neues Modell zu entwerfen, das die Anomalien nicht nur vorhersagt, sondern auch zueinander in Beziehung setzt. Wir befinden uns jedoch gerade erst am Anfang und können noch nicht sagen, ob dies überhaupt möglich sein wird und welche neuen physikalischen Erklärungsversuche hierzu nötig wären. Es wird auf jeden Fall spannend“, freut sich Professor Efstathiou.
Ein neuer kosmischer Bauplan
Von diesen Anomalien abgesehen stehen die Planck-Daten jedoch in erstaunlicher Übereinstimmung mit dem erwarteten, relativ einfachen Modell des Universums und ermöglichen den Wissenschaftlern, die einzelnen Steine seines Bauplans nun auch bis ins kleinste Detail zu beschreiben.
Die normale Materie, aus der Sterne und Galaxien bestehen, macht lediglich 4,9 % der Masse-/Energiedichte des Alls aus. Dunkle Materie, die bisher nur indirekt über den Einfluss ihrer Schwerkraft nachgewiesen werden konnte, ist mit einem Anteil von 26,8 % vertreten, also um fast ein Fünftel mehr als bisher angenommen.
Die dunkle Energie hingegen, eine rätselhafte Kraft, die für die immer schnellere Ausdehnung des Universums verantwortlich gemacht wird, fällt weniger ins Gewicht als in den bisherigen Schätzungen.
Zu guter Letzt lässt sich anhand der Planck-Daten auch ein neuer Wert für die Hubble-Konstante ermitteln, d. h. der Geschwindigkeit, mit der sich das Universum heute ausdehnt, nämlich 67,15 km/s/Megaparsec. Dies liegt deutlich unter dem derzeitigen, in der Astronomie verwendeten Standardwert. Aus diesen Daten lässt sich für das All auf ein Alter von 13,82 Milliarden Jahren zurückschließen.
„Mit diesen bisher präzisesten und ausführlichsten Karten des Himmelszelts im Mikrowellenspektrum schafft Planck ein neues Bild vom Universum und führt uns gleichzeitig an die Grenzen unseres Wissens, was die aktuellen kosmologischen Theorien angeht“, so Jan Tauber, ESA-Projektwissenschaftler für Planck.
„Wir stellen eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem kosmologischen Standardmodell fest, wenn auch einige rätselhafte Phänomene uns keine andere Wahl lassen, als gewisse grundsätzliche Annahmen zu überdenken. Wir stehen erst am Anfang eines neuen Unterfangens und sind zuversichtlich, dass unsere kontinuierlichen Studien der Planck-Daten weiteres Licht auf diese Rätsel werfen werden.“
Hinweise an die Redakteure:
Am 22. März werden mehrere wissenschaftliche Abhandlungen über die neuen Ergebnisse veröffentlicht.
Hintergrundinformationen zu den hier behandelten Themen erhalten Sie über die Links am rechten Rand dieser Seite.
Die neuen Daten basieren auf der ersten sich über 15,5 Monate erstreckenden Himmelsdurchmusterung von Planck. Die 2009 gestartete Sonde kartiert den Sternenhimmel in neun verschiedenen Frequenzen, wozu zwei technisch komplexe Instrumente eingesetzt werden: das Niedrigfrequenzinstrument (LFI), das die Frequenzbänder zwischen 30–70 GHz abdeckt, und das Hochfrequenzinstrument (HFI), das die Frequenzbänder zwischen 100–857 GHz erfasst. Das HFI hat seine Durchmusterung im Januar 2012 abschließen können, die Beobachtungen des LFI sind noch im Gange.
Plancks erste den gesamten Himmel erfassende Aufnahme wurde 2010, der erste wissenschaftliche Datensatz 2011 herausgegeben. Die Wissenschaftler waren seitdem damit beschäftigt, die Emissionen im Vordergrund, die den Blick auf das erste Licht des Universums bisher verstellt hatten, herausfiltern, um die hier präsentierte kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung aufzudecken. Der nächste Satz an kosmologischen Daten wird für Anfang 2014 erwartet.
Die wissenschaftliche Zusammenarbeit bei Planck vereint alle an der Entwicklung der Mission und an der wissenschaftlichen Auswertung ihrer Daten während der zugangsbeschränkten Frist beteiligten Wissenschaftler. Sie sind Mitglieder eines oder mehrerer der folgenden vier Konsortien: dem LFI-Konsortium, dem HFI-Konsortium, dem DK-Planck-Konsortium, und dem ESA-Büro für Planck-Forschung. Die beide unter europäischer Leitung stehenden Planck-Datenverarbeitungszentren befinden sich in Paris und im italienischen Triest.
Das LFI-Konsortium steht unter der Leitung von N. Mandolesi von der Agenzia Spaziale Italiana (ASI) (stellvertretender Hauptexperimentator: M. Bersanelli, Università degli Studi di Milano, Mailand) und ist für die Entwicklung und den Betrieb des LFI-Instruments verantwortlich. Das HFI-Konsortium steht unter der Leitung von J.-L. Puget vom Institut d’Astrophysique Spatiale in Orsay bei Paris (stellvertretender Hauptexperimentator: F. Bouchet, Institut d'Astrophysique de Paris) und ist für die Entwicklung und den Betrieb des HFI-Instruments verantwortlich.
Das Institut d’Astrophysique Spatiale in Orsay ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung („Unité Mixte de Recherche“, UMR 8617) des nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNRS) und der Universität Paris-Sud 11, während das Institut d’Astrophysique de Paris eine gemeinsame Forschungseinrichtung (UMR 7095) des CNRS und der Pariser Universität Pierre et Marie Curie ist.
Die Entwicklung der Mission Planck wurde durch erhebliche finanzielle und technische Beiträge aus den ESA-Mitgliedstaaten unterstützt. Mehr als 40 % ihrer Entwicklungskosten wurde von den das HFI- und das LFI-Konsortium bildenden Einrichtungen bestritten. Dabei haben Frankreich und Italien über ihre den Hauptanteil der finanziellen Mittel bereitstellenden Raumfahrtagenturen CNES und ASI und die nationalen Forschungseinrichtungen mehr als die Hälfte der auf nationaler Ebene bereitgestellten Finanzmittel aufgebracht.
Noch bedeutender ist der Anteil der ESA-Mitgliedstaaten bei der wissenschaftlichen Auswertung der Mission und der Verarbeitung ihrer Daten.
Darüber hinaus stellten die ESA-Mitgliedstaaten Schlüsseltechnologien zur Verfügung, wie etwa die innovative Kühlung für die Missionsinstrumente, deren Temperatur gerade ein Zehntel Grad über dem absoluten Nullpunkt liegen darf (minus 273,15 °C). Auch von der NASA kamen wichtige Technologien und Nutzlastkomponenten.
Nähere Auskunft erteilen:
Markus Bauer
ESA-Kommunikationsbeauftragter für Wissenschaft und robotische Exploration
Tel.: +31 71 565 6799
Handy: +31 6 15 94 39 54
E-Mail: markus.bauer@esa.int
Für wissenschaftliche Fragen:
George Efstathiou
Universität Cambridge, Vereinigtes Königreich
Tel.: +44 1223 337530
E-Mail: gpe@ast.cam.ac.uk
François Bouchet
Institut d’Astrophysique de Paris, Frankreich
Tel.: +33 1 44 32 80 95
E-Mail: bouchet@iap.fr
Paolo Natoli
Universität Ferrara, Italien
Tel.: +39 0532 97 42 44
E-Mail: Paolo.Natoli@unife.it
Jan Tauber
ESA-Projektwissenschaftler für Planck
Tel.: +31 71 565 5342
E-Mail: Jan.Tauber@esa.int
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Referat Medienbeziehungen
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