N° 28–2014: Rosetta: Wahl fällt auf Landeplatz J
15 September 2014
Das Rosetta-Landegerät Philae wird also Landeplatz J ansteuern, eine faszinierende Region auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, die ein einzigartiges wissenschaftliches Potenzial bietet und dabei für das Landegerät im Vergleich zu den anderen möglichen Aufsetzstellen mit einem minimalen Risiko verbunden ist.
Landeplatz J befindet sich auf dem „Kopf“ des Kometen, eine unregelmäßig geformte Welt, die an ihrer breitesten Stelle einen Durchmesser von nur etwas mehr als 4 km aufweist. Die Entscheidung für Landeplatz J als der bevorzugten Aufsetzstelle erfolgte einstimmig. Der Ersatzlandeplatz C liegt auf dem „Körper“ des Kometen.
Das 100 kg schwere Landegerät soll die Kometenoberfläche am 11. November erreichen. Dort wird es zunächst intensive Messungen durchführen, um den Kometenkern vor Ort zu charakterisieren – eine absolute Premiere.
Die Auswahl eines geeigneten Landeplatzes war jedoch kein Kinderspiel.
„Wie wir bei den jüngsten Nahaufnahmen feststellen konnten, herrscht auf dem Kometen eine schöne, aber dramatische Szenerie – seine Gestalt und Beschaffenheit sind wissenschaftlich reizvoll, stellen jedoch aus operationeller Sicht eine große Herausforderung dar“, erläutert Stephan Ulamec, der Verantwortliche für das Philae-Landegerät im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
„Keiner der potenziellen Landeplätze erfüllte alle der betrieblichen Kriterien zu 100 %. Der Landeplatz J stellt jedoch eindeutig die beste Wahl dar.“
„Wir werden an dieser Stelle die welterste In-situ-Analyse eines Kometen durchführen, die uns bislang einzigartige Einblicke in die Zusammensetzung, Struktur und Entwicklung eines Kometen liefern wird“, freut sich Jean-Pierre Bibring, ein auf dem Gebiet Landegeräte führender Wissenschaftler und Hauptexperimentator für das Kamerasystem CIVA vom Institut d’Astrophysique Spatiale (IAS) in Orsay, Frankreich.
„Landeplatz J bietet uns insbesondere die Chance, ursprüngliche Materie zu erforschen, die Eigenschaften des Kometenkerns zu charakterisieren und die seiner Aktivität zugrundliegenden Prozesse zu verstehen.“
Die Suche nach einem Landeplatz konnte erst beginnen, als Rosetta am 6. August beim Kometen „ankam“ und dieser zum ersten Mal aus der Nähe begutachtet werden konnte. Bis 24. August wurden mit Daten, die erfasst wurden, als Rosetta noch immer 100 km vom Kometen entfernt war, fünf potenzielle Landeplätze ermittelt, die genauer untersucht werden sollten.
Inzwischen hat sich Rosetta dem Kometen auf 30 km angenähert und damit eine genauere wissenschaftliche Vermessung der potenziellen Landeplätze ermöglicht. Gleichzeitig haben die für den Betrieb und die Flugdynamik verantwortlichen Teams die Optionen einer Landung an allen fünf möglichen Aufsetzstellen geprüft.
Am Wochenende nun hat sich die Gruppe für die Auswahl des Landeplatzes, die sich aus Ingenieuren und Wissenschaftlern des Philae-Wissenschafts-, Betriebs- und Navigationszentrums der französischen Raumfahrtagentur CNES und des Landegerät-Kontrollzentrums des DLR sowie aus für die Instrumente des Landegeräts verantwortlichen Wissenschaftlern und dem Rosetta-Team der ESA zusammensetzt, im CNES in Toulouse getroffen, um die verfügbaren Daten zu analysieren und den bevorzugten Landeplatz sowie Ersatzlandeplätze festzulegen.
Dabei war eine Reihe kritischer Aspekte in Betracht zu ziehen, nicht zuletzt eine sichere Flugbahn für das Absetzen des Landegeräts auf der Oberfläche und eine minimale Dichte sichtbarer Hindernisse im Landebereich. Auf der Oberfläche selbst kommen dann andere Faktoren ins Spiel, wie die Ausgewogenheit von Tag- und Nachtstunden und die Häufigkeit der Funkverbindungen mit dem Orbiter.
Der Abstieg auf die Kometenoberfläche erfolgt passiv, weshalb sich die Landestelle nur mit einer Genauigkeit von einigen wenigen Hundert Metern bestimmen lässt.
Für jede mögliche Aufsetzstelle wurde eine ein Quadratkilometer große Fläche untersucht. Die Hügel an Landeplatz J weisen größtenteils ein Gefälle von unter 30° im Vergleich zur lokalen Vertikalen auf, was das Risiko, dass Philae bei der Landung umkippt, verringert. Zudem befinden sich an Landeplatz J relativ wenig Gesteinsbrocken und die Lichtverhältnisse vor Ort reichen aus, um das Landegerät aufzuladen und ihm die Fortführung der wissenschaftlichen Untersuchungen auf der Oberfläche auch nach der ersten batteriebetriebenen Phase zu ermöglichen.
Eine vorläufige Berechnung der Flugbahn zu Landeplatz J ergab, dass die Abstiegszeit bis zur Oberfläche bei ca. 7 Stunden liegt und somit die Erkundungszeit auf dem Kometen nicht durch einen zu hohen Batterieverbrauch beim Abstieg beeinträchtigt wird.
Die Landeplätze B und C wurden als Ersatzstellen in Erwägung gezogen, wobei C aufgrund der besseren Lichtverhältnisse und weniger Gesteinsbrocken der Vorzug gegeben wurde. Die Landeplätze A und I schienen in der ersten Beratungsrunde zunächst geeignet, schieden jedoch in der zweiten Runde aus, da sie mehrere Schlüsselkriterien nicht erfüllten.
Zur Festlegung der genauen Anflugbahn von Rosetta wird nun ein detaillierter Zeitplan ausgearbeitet. Philae muss vor Mitte November an Landeplatz J abgesetzt werden, da der Komet voraussichtlich bei seiner Annäherung an die Sonne aktiver wird.
„Es gilt, keine Zeit zu verlieren und jetzt, da wir uns dem Kometen nähern, werden die beständig durchgeführten Forschungs- und Kartierungstätigkeiten dabei helfen, den bevorzugten Landeplatz sowie die Ersatzstellen besser zu analysieren“, so Rosetta-Flugdirektor Andrea Accomazzo.
„Natürlich ist es uns nicht möglich, die Aktivität des Kometen von jetzt bis zur Landung und am Landetag selbst vorherzusagen. Eine plötzliche Zunahme könnte die Position von Rosetta in ihrer Umlaufbahn beim Absetzen des Landegeräts und somit dessen genauen Landeplatz gefährden, was das ganze Unterfangen riskant macht.“
Sobald Rosetta das Landegerät ausgesetzt hat, wird Philae automatisch absteigen, wobei die entsprechenden Befehle vom zuständigen Kontrollzentrum des DLR vorbereitet und über die Rosetta-Missionskontrolle vor der Abtrennung hochgeladen werden.
Während des Abstiegs wird Philae Bildaufnahmen machen und das Umfeld des Kometen untersuchen.
Sobald das Landegerät mit Schrittgeschwindigkeit auf der Kometenoberfläche aufsetzt, wird es sich mithilfe von Harpunen und Eisschrauben fixieren. Im Anschluss wird seine Kamera eine 360°-Panoramaaufnahme des Landeplatzes machen, um festzustellen, wo und mit welcher Ausrichtung es gelandet ist.
Dann beginnt die erste wissenschaftliche Phase, in der weitere Instrumente das Plasma- und Magnetumfeld sowie die Oberflächen- und Untergrundtemperatur untersuchen. Zudem wird das Landegerät Bohrungen vor- und Untergrundproben entnehmen, die dann in seinem mitgeführten Labor analysiert werden. Mittels Funkwellen, die durch die Oberfläche zu Rosetta gesandt werden, wird zudem der innere Aufbau des Kometen erforscht.
„Noch nie zuvor wurde versucht, auf einem Kometen zu landen, was dieses Unterfangen zu einer echten Herausforderung macht“, erklärt der Rosetta-Missionsleiter der ESA, Fred Jansen. „Die komplizierte „Doppelstruktur“ des Kometen erhöht die mit der Landung verbundenen Risiken erheblich, aber für die Chance einer ersten weichen Landung auf einem Kometen überhaupt lohnt sich dies.“
Das Landedatum dürfte nach einer weiteren Flugbahnanalyse am 26. September bestätigt werden und nach einer umfassenden Bereitschaftsüberprüfung erfolgt am 14. Oktober die endgültige Bekanntgabe, ob die Landung auf dem bevorzugten Landeplatz stattfinden wird oder nicht.
Über Rosetta
Rosetta ist eine Mission der ESA, an der sich ihre Mitgliedstaaten und die NASA beteiligen. Das Landegerät Philae wird von einem Konsortium unter Leitung von DLR, MPS, CNES und ASI bereitgestellt. Rosetta ist die erste Mission überhaupt, die einen Kometen in nächster Nähe umkreist, diesen auf seinem Flug um die Sonne begleitet und ein Landegerät auf seiner Oberfläche absetzt.
Kometen sind Zeitkapseln, die primitives Material aus dem Zeitalter der Entstehung der Sonne und der Planeten enthalten. Mit der Untersuchung von Gas, Staub, Aufbau des Kerns und anderem organischem Material des Kometen aus der Ferne und an dessen Oberfläche dürfte die Rosetta-Mission nicht nur der Schlüssel zur Enthüllung der Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems sein, sondern auch Fragen zum Ursprung des Wassers und vielleicht gar des Lebens auf der Erde beantworten.
Mehr über Rosetta unter http://www.esa.int/rosetta.
Über die ESA
Die Europäische Weltraumorganisation (ESA), Europas Tor zum Weltraum, ist eine 1975 gegründete zwischenstaatliche Organisation, deren Aufgabe darin besteht, europäische Raumfahrtkapazitäten zu entwickeln und sicherzustellen, dass die Investitionen in die Raumfahrt den Bürgern in Europa und anderswo zugutekommen.
Die ESA hat 20 Mitgliedstaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Davon sind 18 auch Mitgliedstaaten der EU.
Im Rahmen von Kooperationsabkommen unterhält die ESA Beziehungen zu acht anderen EU-Mitgliedstaaten. Auch Kanada nimmt im Rahmen eines Kooperationsabkommens an bestimmten ESA-Programmen teil.
Darüber hinaus arbeitet die ESA mit der EU zusammen, um die Programme Galileo und Copernicus zu verwirklichen.
Dank der Koordinierung der Finanzressourcen und Kompetenzen ihrer Mitgliedstaaten kann die ESA Programme und Tätigkeiten durchführen, die weit über die Möglichkeiten eines einzelnen europäischen Landes hinausgehen.
Die ESA entwickelt Raumfahrzeugträger, Satelliten und Bodenanlagen, um sicherzustellen, dass Europa bei Raumfahrtvorhaben weltweit an der Spitze bleibt.
Sie startet Erdbeobachtungs-, Navigations-, Telekommunikations- und Astronomiesatelliten, schickt Raumsonden in entlegene Regionen des Sonnensystems und beteiligt sich an der bemannten Exploration des Weltraums.
Mehr über die ESA unter http://www.esa.int.