Astronautentraining in COVID-Zeiten
Nach fast zwei Monaten Isolation kehren nicht nur die Schülerinnen und Schüler allmählich in den Unterricht zurück. Auch ESA-Astronaut Matthias Maurer nahm sein Training im Europäischen Astronautenzentrum (EAC) der ESA wieder auf und begann mit einer etwas ungewöhnlichen Auffrischung.
Ende April legte Matthias seine Schutzausrüstung an und hielt zwei Meter Abstand zu den Ausbilderinnen und Ausbildern, um an einem Trainingsmodul teilzunehmen. Das Trainingsmodul dient dazu, die Bedienung von Robotergeräten wie Canadarm2 auf der Internationalen Raumstation einzuüben.
Mit mechanischen Armen die Lage im Griff
Der Canadarm2 ist ein mechanischer Arm, der bei einigen Außenbordeinsätzen zum Einsatz kommt, um den Astronauten zu helfen, sich flexibler zu bewegen, Gegenstände zu transportieren oder schwer zugängliche Bereiche zu erreichen. Er wird auch eingesetzt, um ankommende Frachtfahrzeuge, die nicht andockungsfähig sind, zu verfolgen und zu erfassen. In diesem Fall müssen die Besatzungsmitglieder innerhalb der Station den Arm präzise manövrieren, um sich bewegende Fahrzeuge zu greifen, während sie etwa zehn Meter tiefer schweben.
ESA-Astronautentrainer Lionel Ferra zufolge sei die Aufgabe alles andere als einfach. "Wenn die Besatzung bei dieser Aufgabe versagt und den Arm, das Fahrzeug oder - noch schlimmer - die Station beschädigt, können die Folgen verheerend sein. Die Versorgungskette wäre in etwa so stark gestört, wie der Fehlschlag eines Raketenstarts.
"Deshalb wird ein großer Übungs- und Auffrischungsaufwand erfordert", erklärt er. Dies ist erforderlich, damit die Astronautinnen und Astronauten bei solch anspruchsvollen Einsätzen noch präziser vorgehen.
Zwei Ausbildungsmöglichkeiten
Matthias ist bereits vollständig für Robotik-Operationen der Internationalen Raumstation zertifiziert. Um sein hohes Leistungsniveau jedoch aufrechtzuerhalten, trainierte er in diesem letzten Modul auf zwei verschiedenen Plattformen – auf dem von der ESA entwickeltem Virtual-Reality-Lehrsystem JIVE und dem klassischen Dynamic Skills Trainer (DST).
Mittels einer intuitiven VR-Schnittstelle hilft JIVE den Astronauten, die 3D-Konfiguration des Roboterarms sowie die Operationsabläufe im Weltraum besser zu verstehen. Die VR-Schnittstelle bietet auch die Möglichkeit eines kollaborativen Fernunterrichts, um Reisen und den Kontakt mit Trainern zu verringern - eine Funktion, die im Zuge der Corona-Pandemie eine neue Bedeutung erlangt hat.
Bei DST handelt es sich um eine Konsole für Robotersimulationen, die es Astronautinnen und Astronauten ermöglicht, alle Hauptaufgaben der Robotik zu überprüfen und einzuüben. Dazu gehören zum Beispiel die Unterstützung eines Außenbordeinsatzes, die manuelle Steuerung des mechanischen Arms, die Konfiguration der automatischen Funktionen und das Greifen sich nähernder Raumfahrzeuge.
Im vergangenen Monat nutzte Matthias das VR JIVE-System zum ersten Mal. Dabei konnte er einen virtuellen Rundgang durch die ISS machen, verschiedene Module optisch hervorheben, Hintergrundinformationen gewinnen und externe Speicher- und Kamerastandorte visualisieren.
Das VR-System hilft nicht nur bei der bestehenden Ausbildung, Matthias sieht in dieser Technologie auch ein großes Potenzial für die zukünftige Missionsausbildung und -gestaltung.
"Mit VR kann eine Mission live miterlebt und auf eindrucksvolle Weise virtuell am Boden erkundet werden, noch bevor das Design der verschiedenen Raumstation-Module abgeschlossen ist. Sie erlaubt außerdem, die Arbeit in neuen Modulen zu üben oder neue Operationen durchzuführen, bevor ein einziges Stück Metall verarbeitet wird, was für Missionen zum Mond und Mars von Vorteil sein wird", so ESA-Astronaut Matthias Maurer.
Wir müssen in die Zukunft blicken
Auch wenn die Umstände infolge von COVID-19 zu strengeren Sicherheits- und Hygienemaßnahmen geführt haben und unter anderem tragbare UV-C-Lampen zur Desinfektion von VR-Geräten eingesetzt werden, war der erste Vorstoß des EAC in Richtung eines sozial distanzierten Trainings laut Lionel ein voller Erfolg.
„ESAs Beitrag zur Weltraumforschung spielt eine wichtige Rolle bei der Inspiration und Unterstützung der Zukunft der Menschheit. Wir müssen Missionen fortsetzen, damit wir mehr lernen und weiter voranschreiten. Die Tatsache, dass wir jetzt mit nur wenigen notwendigen Anpassungen weiter trainieren können, ist eine gute Nachricht für unsere Astronautinnen und Astronauten, aber auch für das ESA-Personal und die Zukunft Europas im Weltraum. “