Auf frostiger Mission: CryoSat soll Polareis untersuchen
Riesige Eisschichten bedecken die nördlichsten und südlichsten Gebiete unseres Planeten. Ihr Einfluss auf das Klima ist unbestritten, aber noch wenig erforscht. Das soll sich mit dem neuen ESA-Satelliten CryoSat ändern. Ab April 2004 werden seine „Radaraugen“ das Polareis mit höchster Präzision vermessen.
Klimaforschung erfordert noch mehr Daten
Gerade wurde der gigantische Europäische Umweltsatellit Envisat erfolgreich in seine Erdumlaufbahn befördert. Derzeit erfolgt vom ESA-Satelliten-Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt aus, das die Mission überwacht und steuert, die Aktivierung aller Instrumente. Von ihnen erwarten die Wissenschaftler wesentliche Daten für ein besseres Verständnis des Klimawandels sowie über dessen Einflussfaktoren.
Doch schon arbeiten Forscher und Ingenieure an neuen Missionen, die in wissenschaftlichen Teilbereichen die Informationen von Envisat ergänzen und erweitern sollen. Zur spezifischen Untersuchung der Eismassen in den Polarregionen unseres Planeten wird derzeit von der ESA CryoSat vorbereitet. Der Europäische Raumfahrtkonzern Astrium erhielt im Februar den Auftrag zum Bau des neuen Umwelt- und Klima-Satelliten. Er soll mit bisher unerreichter Präzision ab April 2004 drei Jahre lang die Dicke der Eisschichten und die Eisbedeckung der Polarmeere ermitteln.
Das Polareis - ein entscheidender Klimafaktor
Das Eis der Pole unseres Heimatplaneten beeinflusst das globale Klima in erheblichem Mass. Obwohl sich die eisbedeckten Pole Tausende Kilometer von den sehr dicht bewohnten Gebieten der Erdoberfläche mit ihren Umwelteinflüssen befinden, sorgt das Eis doch für merkliche Effekte in Europa, Asien und Amerika. Drei Aspekte sind besonders wichtig:
- Schnee und Eis reflektieren das Sonnenlicht besonders gut
- Eisschichten auf der Meeresoberfläche isolieren das darunter befindliche Wasser
- grosse Mengen tauenden Eises können intensive Ozeanströmungen bewirken.
Alle diese Faktoren reagieren empfindlich auf geringe Veränderungen. So reflektiert das Polareis einen grossen Anteil des einfallenden Sonnenlichtes und die Anteile der absorbierten und der reflektierten Strahlung befinden sich im Gleichgewicht mit dem Klima der Umgebung. Wenn nun durch verschiedene Einflüsse das Polareis zu schmelzen beginnt, wird weniger Sonnenlicht reflektiert. Die Polarregion erwärmt sich und es schmilzt noch mehr Eis. Es setzt sich ein Rückkopplungseffekt in Gang, der selbstverstärkend wirkt.
Der Einfluss von Eisschichten auf den Ozeanen ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. In der Nacht gibt die Ozeanoberfläche grosse Mengen Wärme an die Atmosphäre ab. Das sind immerhin rund 90 Watt pro Quadratmeter. Schneebedeckte Eisschollen haben aber darauf einen negativen Effekt. Sie wirken wie Isoliermatten und verhindern so die Abstrahlung. Dieser Effekt wird reduziert, wenn die Eisschichten dünner werden oder in der Fläche abnehmen.
Das Weltklima wird genauso von grossen Wasserströmungen in den Ozeanen bestimmt. Die bekannteste ist der Golfstrom, der warmes Wasser aus den tropischen Regionen über den Atlantik nach Nordeuropa transportiert. Er ist für das milde englische Klima und eisfreie Häfen in Nordskandinavien verantwortlich. Abschmelzendes Eis an den Polen und den arktischen Ozeanregionen sorgt jedoch für viel kaltes Wasser, das die Hauptströmungen in den Ozeanen unterbrechen oder zumindest stark beeinflussen könnte - mit unabsehbaren Folgen für unser Klima.
CryoSat: Erste ESA-Mission im "Living Planet"-Programm
Obwohl die beschriebenen Effekte im Prinzip bekannt sind, fehlen heute präzise Datenreihen über längere Zeiträume, die es den Klimaforschern ermöglicht, die Klimamodelle weiter zu verbessern. So schätzen die Wissenschaftler, dass die Eismenge in den Meeren sich seit 1950 um etwa 10 bis 15 Prozent verringert hat. Die Eisdicke in der Arktis soll in den letzten Jahrzehnten sogar um 40 Prozent zurückgegangen sein.
CryoSat könnte die Informationslücken füllen helfen. Er wird der erste Satellit im "Living Planet"-Programm der ESA sein. Das Programm wurde 1998 verabschiedet, um verschiedene Missionen für die Erforschung der Erde und ihrer unmittelbaren Umgebung voranzutreiben. Es soll zwei Arten von Missionen geben, sogenannte Kern-Missionen zur Geofernerkundung und kleinere Satelliten, die ergänzende Forschungsaufgaben erhalten. Für die Kern- Missionen werden recht komplexe Satelliten mit neuester Sensortechnik ausgerüstet. Sie sollen etwa 350 Millionen Euro kosten. Die Ergänzungsmissionen nutzen bereits vorhandene Technologien und können so schnell zur Beantwortung drängender wissenschaftlicher Fragen gebaut werden.
CryoSat wird der erste Vertreter der Ergänzungsmissionen sein. Für ihn sind etwa 70 Millionen Euro veranschlagt. Im September 1998 wurden alle Wissenschaftler der ESA-Mitgliedsstaaten aufgerufen, Vorschläge für das "Living Planet"-Programm einzureichen. Im April 1999 wurde schliesslich CryoSat aus 27 Projektvorschlägen ausgewählt.
Radarstrahlen messen Eisdicke
Der Raumflugkörper soll die Erde in 720 km Höhe umkreisen sowie mittels eines Radarsystems die Eisdicke und Ausdehnung von Eisschichten und -schollen vermessen. Im Gegensatz zu älteren Radarsatelliten wie z.B. ERS-1 und -2 von der ESA, wird CryoSat über zwei Radarantennen verfügen. Damit kann die Erdoberfläche räumlich vermessen werden. Das System arbeitet im Prinzip wie die zwei Augen des Menschen, der ja seine Umgebung ebenfalls dreidimensional wahrnehmen kann. Übrigens wurden derartige "Stereo"-Radaraugen bereits im Februar 2000 bei der deutsch-amerikanischen SRTM-Mission zur genauen Höhenkartierung der Erdoberfläche genutzt. Das unter dem wissenschaftlichen Begriff Interferometrie bekannte Verfahren ermöglicht genaueste Höhenmessungen bis zu einer Genauigkeit von drei cm. So können auch Daten von sehr inhomogenen Eisoberflächen genau erfasst werden.
Voraussetzung für die Präzisionsmessungen ist die zentimetergenaue Kenntnis der Orbithöhe über der Erdoberfläche. In CryoSat wird dazu das französische DORIS-System eingebaut. Es ist bereits bei Envisat für die gleiche Aufgabenstellung im Einsatz. An Bord werden Doppler-Signale von einem Netz kleiner Sender auf der Erde empfangen und verarbeitet. Die daraus ermittelten Bahndaten gelangen dann in Verbindung mit den Sensorinformationen zur Bodenstation zurück. Die Außenseite des Satelliten trägt außerdem einen Laserreflektor. Ähnlich wie beim Radarstrahl wird die Laufzeit eines von der Erde gesendeten und vom Reflektor zurückgeworfenen Laserpulses gemessen und daraus die Bahnhöhe ermittelt.
Das Radar-Altimeter von CryoSat funktioniert unabhängig von der Wetterlage und den Lichtverhältnissen. Es ist deshalb besonders zur Untersuchung grosser polarer Eisschichten und -bergen geeignet, die bis zu 4000 m Höhe über dem Meeresspiegel erreichen können und oft von Wolken umgeben sind.
Die Daten der Mission sollen vor allem Erkenntnisse über die Geschwindigkeit der Veränderungen bei den Eisschichten in den Polgebieten der Erde liefern.
Schmales Budget für ehrgeizige Mission
Astrium ist der Hauptauftragnehmer und leitet für das Projekt ein Konsortium von 30 Firmen. Das Unternehmen wird die Satellitenplattform liefern und später die Integration der Instrumente vornehmen. Gegenüber der ESA trägt der Raumfahrtkonzern die Hauptverantwortung bezüglich Funktionstüchtigkeit und Zuverlässigkeit des Satelliten. Die Hauptnutzlast, das Radarsystem SIRAL, wird von Alcatel Space Industries entwickelt und gebaut.
Die Ingenieure sehen sich bei diesem Projekt vor eine dreifache Herausforderung gestellt. Sie sollen das beinahe Unmögliche vollbringen, indem sie hohe Zuverlässigkeit mit schneller Durchführung des Projekts bei geringen Kosten kombinieren. Deshalb werden Plattform und andere wichtige Systeme so einfach wie nur möglich konzipiert. Kostentreibende Mechanismen und Steuersysteme werden so weit wie möglich eliminiert. Wo es möglich ist, greifen die Konstrukteure auf bewährte Komponenten zurück. Bereits von Beginn an hat sich eine enge Partnerschaft zwischen den Wissenschaftlern, der ESA und dem Industriekonsortium gebildet. So soll es möglich werden, die Entwicklungs- und Konstruktionsetappen zu verkürzen.