ESA fährt wissenschaftlichen Missionsbetrieb wegen COVID-19-Pandemie zurück
Angesichts der sich ausweitenden Coronavirus-Pandemie hat die ESA entschieden, die Anzahl der vor Ort tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Missionskontrollzentrum in Darmstadt weiter zu reduzieren.
Der Instrumentenbetrieb sowie die Datensammlung von vier wissenschaftlichen Missionen in unserem Sonnensystem müssen vorübergehend aufgrund der neuen Anpassungen pausiert werden. Diese Missionen sind Teil einer Flotte von insgesamt 21 Raumfahrzeugen, die vom ESA- Kontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt gesteuert werden.
Erforderliche Maßnahmen zur Risikominderung wurden bereits frühzeitig getroffen. Der Großteil der Belegschaft arbeitet seit fast zwei Wochen von zu Hause aus. In allen ESA-Einrichtungen in ganz Europa arbeitet lediglich Schlüsselpersonal, das für kritische Aufgaben zuständig ist. Zu den kritischen Aufgaben gehört in diesem Fall auch die Aufrechterhaltung des Echtzeitbetriebssystems derer Raumfahrzeuge.
Unterstützung der erweiterten nationalen Maßnahmen
Die jüngsten Entwicklungen, einschließlich verstärkter Einschränkungen durch nationale, regionale und lokale Behörden in ganz Europa und des ersten positiven Testergebnisses für COVID-19 unter den Beschäftigten in Darmstadt, führen nun dazu, dass die ESA die Anzahl der vor Ort tätigen Kolleginnen und Kollegen weiter zurückfährt.
„Die Gesundheit unserer Kolleginnen und Kollegen hat für uns die höchste Priorität. Aus diesem Grund werden wir die Aktivitäten für einige unserer wissenschaftlichen Missionen reduzieren. Das betrifft insbesondere die interplanetaren Raumfahrzeuge – diese Missionen erfordern derzeit die größte Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort“, sagt Rolf Densing, ESA-Direktor für Missionsbetrieb.
„Sie befinden sich in stabilen Orbits und haben lange Missionsdauern. Ihre wissenschaftlichen Instrumente für einen bestimmten Zeitraum abzustellen und die Satelliten selbst in eine sichere Konfiguration zu versetzen, in der sie größtenteils unbeaufsichtigt bleiben können, wird deshalb eine geringfügige Auswirkung auf das Gesamtergebnis der Missionen haben.“
Zu den betroffenen Missionen gehören:
• Cluster – Die vier Satelliten der Mission sind im Jahr 2000 ins All gestartet und umkreisen die Erde, um ihre Magnetosphäre zu erforschen und herauszufinden, wie diese vom Sonnenwind beeinflusst wird.
• ExoMars-Spurengasorbiter – Diese Mission startete 2016. Der Orbiter kreist um den Mars, erforscht die Atmosphäre des Planeten und fungiert als Datenrelais für Lander auf der Marsoberfläche.
• Mars Express – Der 2003 gestartete Satellit kartografiert seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten die Marsoberfläche und untersucht die Atmosphäre des Planeten.
• Solar Orbiter – Die jüngste wissenschaftliche Mission der ESA startete im Februar 2020 und ist derzeit auf dem Weg zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Sie wird unseren Stern aus nächster Nähe beobachten.
„Es war keine leichte Entscheidung, aber die einzig richtige. Unsere größte Verantwortung besteht darin, die Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen zu gewährleisten. Jedes Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinde versteht, warum diese Schritte notwendig sind“, sagt Günther Hasinger, ESA-Direktor für Wissenschaft.
„Dieser kluge Schritt sichert Europas herausragende wissenschaftliche Missionen, und die von europäischen Wissenschaftlerinnen undWissenschaftlern und unseren internationalen Partnern entwickelten Instrumente an Bord der Raumfahrzeuge. Es geht hier um einige der fortschrittlichsten wissenschaftlichen Experimente der Menschheit – wenn ein vorübergehender Standby-Modus die Missionen schützt, dann werden wir genau das tun."
Die temporäre Reduzierung des Personals vor Ort, wird es den Teams im ESA-Kontrollzentrum ermöglichen, sich ganz auf die Sicherheit der anderen laufenden Missionen zu konzentrieren. Dies betrifft insbesondere die Merkur-Raumsonde BepiColombo, die sich derzeit auf dem Weg zum sonnennächsten Planeten befindet. Die Raumsonde benötigt für den am 10. April berechneten Vorbeiflug an der Erde Unterstützung aus dem Darmstädter Kontrollzentrum.
Das anspruchsvolle Manöver wird lediglich von einigen wenigen Ingenieurinnen und Ingenieuren unter Berücksichtigung der sozialen Distanz und weiterer Gesundheits- und Hygienemaßnahmen durchgeführt. Die Raumsonde nutzt bei diesem sogenannten Swing-By-Manöver die Schwerkraft der Erde, um ihre Flugbahn auf dem Weg zum Merkur anzupassen.
Die Inbetriebnahme sowie der erste Testbetrieb der Instrumente des kürzlich gestarteten Solar Orbiters werden ebenfalls vorübergehend ausgesetzt.
Die ESA erwartet, dass die Tätigkeiten in naher Zukunft im Einklang mit der Entwicklung der Coronavirus-Situation wieder aufgenommen werden können.
Unterdessen setzt der Solar Orbiter seine Reise zur Sonne fort. Der erste Venus- Vorbeiflug findet voraussichtlich im Dezember statt.
Im Leerlauf durchs All
„Im Laufe der nächsten Tage werden unsere interplanetaren Missionen nach und nach in sichere Konfigurationen versetzt, sodass nur noch wenige oder überhaupt keine Eingriffe mehr von der Erde aus nötig sind“, sagt Paolo Ferri, Leiter des ESA-Missionsbetriebs.
„Diese Sonden sind dafür ausgelegt, mit begrenzter oder gar keiner Interaktion von unseren Bodenstationen aus sicher im Weltraum unterwegs zu sein, etwa wenn sie von der Erde aus gesehen hinter der Sonne vorbeifliegen und dann für Wochen kein Funkkontakt möglich ist“, fügt Ferri hinzu. „Wir sind zuversichtlich, dass die Missionen in diesem Betriebsmodus sicher fortbestehen können, selbst wenn wir nur selten und unregelmäßig von der Bodenstation aus eingreifen - auch über Monate hinweg, sollten die Maßnahmen zur Abschwächung der Coronavirus-Pandemie dies erfordern.“
In den kommenden Tagen wird die ESA zudem die Bedingungen und Einschränkungen evaluieren sowie spezifische Prozeduren, Pläne und Entscheidungskriterien für die Wiederaufnahme des wissenschaftlichen Missionsbetriebs entwickeln.
„Wir werden individuell für jede Mission entscheiden, wann diese in den üblichen wissenschaftlichen Produktionsmodus zurückversetzt werden kann. Dies hängt von mehreren Faktoren, wie der Art und Komplexität einer Mission ab.“, erklärt Paolo Ferri.
Die am 24.03. angekündigten Maßnahmen haben keine Auswirkungen auf andere ESA-Missionen, die von Darmstadt aus gesteuert werden. Dazu gehören Astronomie- und Erdbeobachtungsmissionen, einschließlich der Missionen des Copernicus-Programmes der EU-Kommission. Diese Missionen erfordern häufige Betreuung vom Boden aus. Die zuständigen Teams können diese Missionen aus der Distanz steuern, mit nur einer einzigen Person pro Kontrollraum vor Ort.
Der Schutz der Menschen steht an erster Stelle
Schon vor dieser Maßnahme spürte die Wissenschaftsgemeinschaft hinter den planetaren Missionen, den Ausbruch des Corona-Virus. Zu stark wurden Prozesse und Analysen durch lokale und nationale Arbeitseinschränkungen wie der sozialen Distanzierung erschwert.
„Mein Dank gilt all den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ingenieurinnen und Ingenieuren und weiteren Kolleginnen und Kollegen, nicht nur bei der Missionskontrolle, sondern in unserer gesamten Organisation sowie bei unseren Partnern. Sie sorgen dafür, dass die wichtigsten europäischen Weltraummissionen inmitten dieser globalen Krise ungehindert fortbestehen können“, sagt ESA-Generaldirektor Jan Wörner.
„Ich bin sehr froh darüber, wie professionell sich die ESA-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser schwierigen Situation verhalten. Dies zeigt, dass diese Organisation vor allem aus Menschen besteht – aus Europäern, denen die Wissenschaft und der Weltraum wichtig sind, aber umso mehr das Wohlergehen ihrer Kolleginnen und Kollegen, Familien, Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf der ganzen Welt.“
Weitere Informationen
Vom ESOC aus gesteuerte Missionen
Die ESA-Flotte zur Erforschung des Sonnensystems
Die ESA-Flotte zur Weltraumbeobachtung
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