Integral-Observatorium der ESA löst 30-jähriges Rätsel um Gammastrahlen
Integral, das Gammastrahlenobservatorium der ESA, hat die im Inneren unserer Galaxie diffus glühende Gammastrahlung genauer untersucht und festgestellt, dass diese größtenteils von etwa 100 einzelnen Quellen erzeugt wird. Die hohe Auflösung und Peilgenauigkeit Integrals machten das Aufspüren dieser Himmelskörper möglich, nachdem alle anderen Teleskope 30 Jahre lang nur einen rätselhaften, verschwommenen Nebel aus Gammastrahlen gesehen hatten...
Im Herbst und Winter 2003 hat Integral die inneren Gebiete unserer Galaxie beobachtet und dabei das fortwährende Glühen der diffusen, niederenergetischen Gammastrahlen untersucht, die die gesamte Galaxie durchdringen.
Diese Gammastrahlen wurden Mitte der siebziger Jahre bei Experimenten mit hochfliegenden Ballons entdeckt. Astronomen bezeichnen sie auch als die „weiche“ Gamma-Hintergrundstrahlung der Galaxie. Ihr Energiegehalt entspricht etwa dem von Röntgenstrahlen, wie sie in der Medizin verwendet werden.
Ursprünglich nahmen die Astronomen an, dass die Strahlung durch Wechselwirkungen der Atome in dem die Galaxie ausfüllenden Gas hervorgerufen wird. Zwar erklärte diese Theorie die Streuung der Strahlung gut, da das Gas in der Galaxie allgegenwärtig ist. Sie stand jedoch nicht mit der beobachteten Stärke der Gammastrahlen im Einklang. Die Gammastrahlen hätten gemäß der Hypothese wesentlich schwächer sein müssen als die tatsächlich gemessenen. Über Jahrzehnte blieb das Rätsel ungelöst.
An Bord Integrals befindet sich das vorzügliche Gammastrahlenteleskop IBIS, welches von einem internationalen, durch Hauptwissenschaftler Pietro Ubertini (IAS/CNR, Rom, Italien) geleiteten Konsortium für die ESA gebaut wurde. Mit IBIS wurde nunmehr eindeutig festgestellt, dass der Großteil der Gammastrahlen von einzelnen Himmelskörpern stammt und nicht aus dem interstellaren Medium. Die älteren, weniger empfindlichen Instrumente hatten diese Objekte als eine einzige Masse wahrgenommen.
In einem am 18.03.04 in Nature veröffentlichten Artikel berichten François Lebrun (CEA Saclay, Gif sur Yvette, Frankreich) und seine Mitstreiter von der Entdeckung von 91 im Zentrum der Galaxie gelegenen Gammastrahlenquellen. Lebruns Team besteht aus Ubertini und 17 weiteren europäischen Wissenschaftlern mit langjähriger Erfahrung in der Hochenergie-Astrophysik. Zur großen Überraschung des Teams fällt fast die Hälfte dieser Quellen in keine der bekannten Kategorien von Gammastrahlen-Objekten. Wahrscheinlich stellen diese Objekte eine neue Klasse von Gammastrahlensendern dar.
Die ersten Hinweise zu dieser neuen Kategorie gab es im Oktober, als Integral eine eigenartige Gammastrahlenquelle entdeckte, die als IGRJ16318-4848 bekannt wurde. Die Daten von Integral und XMM-Newton, dem anderen Hochenergie-Observatorium der ESA legten nahe, dass es sich um ein Doppelsternsystem handelt, wahrscheinlich mit einem Schwarzen Loch oder Neutronenstern, eingehüllt in eine dicke Schicht aus Gas und Staub. Wenn Gase des Begleitersterns vom Schwarzen Loch beschleunigt und verschluckt werden, wird Energie aller Wellenlängen freigesetzt – und zwar größtenteils im Gammastrahlenbereich.
Lebrun möchte jedoch keine voreiligen Schlussfolgerungen über die im Zentrum der Galaxie entdeckten Quellen ziehen. Andere, nicht auf Schwarzen Löchern basierende Auslegungen wären auch möglich. Die betreffenden Objekte könnten zum Beispiel auch Überbleibsel explodierter Sterne sein, die durch schnell rotierende hochenergetische Himmelskörper, sogenannte Pulsare, angeregt werden.
Untersuchungen mit einem weiteren Integral-Instrument, dem Spektrometer SPI, werden Lebrun und seinem Team vielleicht weiteren Aufschluss über die Natur dieser Quellen geben. SPI misst die Energie der auftreffenden Gammastrahlen mit außerordentlicher Präzision, die den Wissenschaftlern genauere Hinweise zu den physikalischen Vorgängen bei der Strahlenerzeugung gibt.
Welcher Natur diese Gammastrahlenquellen auch sein mögen – die Integral-Untersuchungen haben überzeugend bewiesen, dass die von diesen Objekten abgegebene Energie fast 90 Prozent der weichen Gamma-Hintergrundstrahlung aus dem Zentrum der Galaxie ausmacht. Dieses Ergebnis eröffnet die spannende Möglichkeit, dass sich solche Objekte überall in der Galaxie und nicht nur in ihrem Zentrum befinden.
Lebrun lässt jedoch auch hier Vorsicht walten: „Es ist verlockend zu denken, dass unsere Ergebnisse einfach auf die gesamte Galaxie extrapolierbar sind. Wir haben jedoch nur in Richtung ihres Zentrums geschaut, wo es im Vergleich zum Rest der Galaxie viele Besonderheiten gibt.“
Als nächstes sollen also die Integral-Untersuchungen auf die übrige Galaxie ausgedehnt werden. Christoph Winkler, Integral-Projektwissenschaftler der ESA sagt: „Wir müssen nunmehr auf der gesamten Scheibe der Galaxie arbeiten. Dieses wird eine lange und harte Arbeit für Integral. Als Belohnung wird am Ende jedoch eine umfangreiche Bestandsliste der energiereichsten Himmelskörper der Galaxie stehen.“
Anmerkung für Redakteure
Der Artikel über diese Forschungsergebnisse wird in der Nature-Ausgabe vom 18. März 2004 erscheinen. Die Autoren sind: F. Lebrun, R. Terrier, A. Bazzano, G. Belanger, A. Bird, L. Bouchet, A. Dean, M. Del Santo, A. Goldwurm, N. Lund, H. Morand, A. Parmar, J. Paul, J.-P. Roques, V. Schoenfelder, A. Strong, P. Ubertini, R. Walter und C. Winkler.
Informationen zur damit zusammenhängenden Entdeckung von IGRJ16318-4848 durch Integral und XMM-Newton finden Sie unter:
Integral
Das Internationale Gammastrahlen-Astrophysiklabor (Integral) ist das erste Weltraumobservatorium, das Himmelskörper gleichzeitig im Gamma- und Röntgenstrahl- sowie im sichtbaren Lichtbereich beobachten kann. Integral wurde mit einer russischen Proton-Rakete am 17. Oktober 2002 in eine stark elliptische Erdumlaufbahn geschossen. Zu den Untersuchungszielen gehören insbesondere solche Gebiete der Galaxie, in denen chemische Elemente erzeugt werden sowie kompakte Objekte wie Schwarze Löcher.
Das Bildaufnahmegerät IBIS zeichnet Gammastrahlenbilder in noch nie erreichter Schärfe auf. Es kann Quellen mit einer Genauigkeit von 30 Bogensekunden detektieren. Dies entspricht der Messung der Größe einer Person, die in einer 1,3 km entfernten Menschenmenge steht. Die am Bau des Gerätes beteiligten Hauptexperimentatoren sind P. Ubertini (IAS/CNR, Rom, Italien), F. Lebrun (CEA Saclay, Gif sur Yvette, Frankreich), G. Di Cocco (ITESRE, Bologna, Italien). IBIS ist mit der ersten ungekühlten Halbleiterkamera für Gammastrahlen (ISGRI) ausgestattet, die die außerordentliche Empfindlichkeit ermöglicht. ISGRI wurde von CEA Saclay in Frankreich für die ESA entwickelt und gefertigt.
SPI, das Integral-Spektrometer, misst die Energie der auftreffenden Gammastrahlen mit außerordentlicher Präzision. Es kann schwache Strahlung empfindlicher als sämtliche bisherigen Gammastrahlenmessgeräte messen und ermöglicht die Bestimmung der genauen Art von Gammastrahlenquellen. Die Hauptexperimentatoren, die das SPI entwickelten, sind J.-P. Roques, (CESR, Toulouse, Frankreich) und V. Schoenfelder (MPE, Garching, Deutschland).
XMM-Newton
XMM-Newton detektiert Röntgenstrahlenquellen besser als frühere Observatorien und trägt zur Lösung vieler Rätsel um besonders gewalttätige kosmische Erscheinungen bei – von Schwarzen Löchern bis zur Entstehung von Galaxien. Es wurde am 10. Dezember 1999 mittels einer Ariane-5-Rakete aus Französisch-Guayana gestartet. Seine Umlaufbahn reicht fast bis zu einem Drittel der Entfernung zum Mond und ermöglicht den Astronomen somit lange, ununterbrochene Beobachtungsserien von Himmelskörpern.