Integral wirft ersten Blick auf Gamma-Universum
Integral, das Gammastrahlenobservatorium der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), ist voll funktionsfähig. Heute wurden in Paris bahnbrechende erste Bilder des hochenergetischen Universums, die mit Integral aufgenommen wurden, der Öffentlichkeit vorgestellt. Astronomen bezeichnen diese Anfangsbeobachtungen als „First-light“-Aufnahmen.
Das hochenergetische Universum ist Schauplatz heftiger Ereignisse wie explodierende und kollabierende Sterne; zu letzteren gehören die ultrakomprimierten Neutronensterne und die alles verschlingenden Schwarzen Löcher. Diese Himmelsobjekte erzeugen Röntgen- und Gammastrahlen, die um ein Vielfaches energiereicher sind als die optische Strahlung, die mit bloßem Auge und optischen Teleskopen erfaßt werden kann. Die Hauptexperimentatoren für Integral - die für die Bordinstrumente verantwortlichen Wissenschaftler - erläutern die Schlüsselrolle von Hochenergie-Missionen wie Integral in der Astronomie: „Die Röntgen- und Gammastrahlenastronomie ist ein Wegweiser zu außergewöhnlichen Objekten. Im optischen Wellenlängenbereich wimmelt es von Sternen. Im Röntgen- und Gammastrahlenbereich sind weniger Objekte zu sehen, dafür aber die eigentümlichsten.“
Als erster Test wurde der Blick des Observatoriums auf die Cygnus-Region des Himmels und insbesondere auf das rätselhafte Objekt Cygnus X-1 gerichtet. Seit den 60er Jahren ist bekannt, daß von diesem Objekt eine konstante energiereiche Strahlung ausgeht. Die meisten Wissenschaftler glauben, daß Cygnus X-1 ein Schwarzes Loch mit der fünffachen Masse unserer Sonne ist, das einen nahen Stern verschlingt. Die Beobachtung von Cygnus X-1, das „nur“ 10 000 Lichtjahre von der Erde entfernt und damit ein vergleichsweise nahes Objekt unserer Galaxie ist, stellt einen wichtigen Schritt zur Lösung des Rätsels der Schwarzen Löcher dar und könnte auch zu einem besseren Verständnis des riesigen Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie beitragen, das dreimillionenmal so massereich ist wie unsere Sonne.
Bereits während seiner Anfangsbeobachtungen hat Integral zur Freude der Wissenschaftler einen ersten Gammastrahlenausbruch erfaßt. Diese gewaltigen Explosionen sind nicht vorhersehbar; bekannt ist nur, daß sie durchschnittlich zweimal pro Tag an unterschiedlichen Stellen im Universum stattfinden. Ihr genauer Ursprung ist unklar: Sie könnten durch das Kollabieren riesiger Sterne im fernen Universum ausgelöst werden, aber auch durch Kollisionen zwischen zwei Neutronensternen. Integral wird wichtige Aufschlüsse über diese Vorgänge liefern und die Wissenschaftler der Lösung dieses besonderen Rätsels näherbringen.
Zur Untersuchung dieser Phänomene führt Integral zwei leistungsstarke Gammastrahlen-Instrumente mit: eine Kamera (bzw. Bildaufnahmegerät) namens IBIS und ein Spektrometer namens SPI. Spektrometer dienen zur Messung der Energie der empfangenen Gammastrahlung. Gammstrahlenquellen sind oft äußerst variabel und können innerhalb von Minuten oder Sekunden schwanken. Es ist daher wesentlich, daß Daten gleichzeitig in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen gesammelt werden. Deshalb ist Integral zusätzlich mit einem Röntgen- und einem optischen Begleitinstrument (JEM-X und OMC) ausgestattet. Alle vier Instrumente beobachten dieselben Objekte zur selben Zeit. Auf diese Weise können sie flüchtige Ereignisse lückenlos erfassen. Integral sendet die Daten aller Instrumente an das Wissenschaftliche Integral-Datenzentrum (ISDC) bei Genf in der Schweiz, wo sie verarbeitet und dann den Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden.
„Wir haben die Leistung der Instrumente im Hinblick auf die insgesamt beste wissenschaftliche Ausbeute optimiert. Wir erwarten, daß spätestens am Jahresende Integral für die Nutzung durch Astronomen in aller Welt bereit sein wird,“ prognostiziert Arvind Parmar, der kommissarische Projektwissenschaftler der ESA für Integral. „Die ersten Bilder und Spektren beweisen, daß Integral voll in der Lage ist, die ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen“, d.h. einige der Geheimnisse des hochenergetischen Universums zu enthüllen.
Integral ist für eine Missionsdauer von zwei Jahren ausgelegt, doch führt der Satellit ausreichend Treibstoff mit, um - wenn keine Pannen auftreten - seinen Einsatz auf insgesamt fünf Jahre zu verlängern.