Juice wird sabotiert
In brief
Wenige Stunden nach dem Start von Juice gerät die Mission zur Erforschung der Eismonde des Jupiters in Schwierigkeiten. Am Ende seiner Schicht, in der zwei unerklärliche Notfallmodi aufgetreten sind, sieht Ignacio Tanco, Spacecraft Operations Manager, niedergeschlagen aus und seufzt: „Was für ein Chaos.“ Wir befinden uns mitten in einer der aufreibendsten Simulationen, die das Flugkontrollteam je erlebt hat. Doch zwei Personen in der Missionskontrolle der ESA hatten einen unterhaltsamen Tag.
In-depth
Petr und Filipe sitzen in einem fensterlosen Büro unter dem Hauptkontrollraum der ESA in Darmstadt, wo sie die vollständige Kontrolle über die Juice-Sonde und die ESA-Bodenstationen auf der ganzen Welt haben – und sie nutzen diese Möglichkeit auch voll aus.
Dabei handelt es sich nicht um die echten 35 Meter großen Antennen oder die eigentliche Raumsonde (derzeit in Kourou, Französisch-Guayana), sondern um einen komplexen Simulator. Für die Teams, die die Mission tatsächlich fliegen werden, sieht das alles wie echt aus, fühlt sich echt an und verhält sich auch so. Das „Problem“ für sie ist, dass es immer wieder schief geht.
Die Simulationen finden hier im Europäischen Raumfahrtkontrollzentrum in den Monaten vor dem Start jeder Mission statt. Sie sind vielfältig und testen verschiedene Elemente der Fähigkeiten verschiedener Teams: vom Betrieb der Raumsonde über äußere Bedrohungen wie Sonnenstrahlung und Trümmerteile bis hin zu eher menschlichen Aspekten wie Zusammenhalt im Team, Vertrauen oder plötzlich auftretenden Ausfällen durch Krankheit. Mit den Simulationen soll sichergestellt werden, dass jedes im Weltraum auftretende Problem am Boden zuverlässig gelöst werden kann.
In der aktuellen Simulation befindet sich das Juice Red Team „an der Konsole“. Dieses Team wird 12 Stunden lang die Mission während des Starts und der Abtrennung von der Ariane 5-Rakete sowie beim „Aufwachen“ der Sonde von den Strapazen des Starts begleiten.
Es dauert nicht mehr lange, bis Ignacio an seine Kollegin Angela, Spacecraft Operations Manager für das Blue Team, übergeben muss. Anschließend haben er und sein Team noch 12 Stunden Zeit, sich auszuruhen, bevor sie wieder in den Hauptkontrollraum zurückkehren. Die Übergabe steht kurz bevor, aber das Red Team hat noch nicht die Ursache für die zahlreichen Ausfälle auf der Raumsonde herausgefunden.
„Wir vereinen das Team gegen uns.“
Die Simulationsspezialist*innen im „Simulationsbunker' freuen sich über die Verwirklichung ihres hinterhältigen Plans, der nun umgesetzt wird. Überall um sie herum zeigen Bildschirme die Szenen von oben. Sie können die betroffenen Teams sehen, deren Gespräche hören und sogar auf den Bildschirmen ihrer Konsolen mitverfolgen, was sie gerade tun.
„Es sieht so aus, als hätten wir einen Ausfall aufgrund eines Bedienungsfehlers“, sagt der stellvertretende Flugbetriebsleiter Bruno Sousa, dessen Stimme aus dem Kontrollraum darüber zu hören ist.
„Ha, nein“, sagt der erste Sim-Spezialist Petr Shlyaev. „Ich kann verstehen, warum sie das glauben, aber sie haben hier nichts falsch gemacht. Sie machen sich grundlos Vorwürfe!“
Juice ist bereits zwei Mal in den Sicherheitsmodus übergegangen – einen Schutzzustand, in dem die Instrumente abgeschaltet sind und die Raumsonde nur ihre grundlegendsten Funktionen ausführt – und hat damit die Kontrollteams auf ein Problem aufmerksam gemacht.
Die Wiederherstellung einer Raumsonde aus diesem Modus ist mühsam. Sie müssen das Problem an der Wurzel packen, den Zentralcomputer neu booten und mehrere Einheiten ausschalten – und das Ganze bei schlechter Sicht auf den Zustand der Raumsonde. Die Rückkehr zum Normalbetrieb ist mit viel Arbeit verbunden.
Während das Team sich bemüht, den Problemen von Juice auf den Grund zu gehen, steuern die Simulationsspezialist*innen unten weiterhin den Simulator, hören ihre Antworten ab und beobachten, wie sie mit diesen komplexen, nicht idealen Szenarien umgehen.
„Eines unserer Hauptziele ist es, das Team zusammenzubringen, und eine der vielen Arten, wie wir das tun, besteht darin, sie gegen uns zu verbünden“, sagt Filipe Metelo, stellvertretender Sim-Spezialist für Juice.
„Wir wollten bei dieser Simulation vor allem die Fähigkeit der beiden Teams testen, mit Fehlern umzugehen, die kurz vor einer Übergabe auftreten, um zu testen, wie sie dem nächsten Team, das eine Mission in Not übernimmt, die Vorkommnisse mitteilen.“
„Wenn sie das nicht richtig erledigen, werden sie – und Juice – bestraft.“
Die Übergabe
Ignacio sieht ein wenig müde aus, als er vor dem neuen Team steht, das gespannt auf seine Ausführungen wartet, und er gibt zu: „Es tut mir leid, aber wir hinterlassen euch ein Chaos. Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe: Wir haben mehrere nicht diagnostizierte Ausfälle, mit denen ihr fertig werden müsst.“
Angela Dietz, die das nächste Team leitet, fragt: „Ist Juice im Sicherheitsmodus?“
„Nicht ganz“, erklärt Ignacio, „sie befindet sich im Red State: Irgendetwas ist schiefgelaufen, aber wir haben es noch nicht einmal angefasst – wir haben die Lage nicht ganz unter Kontrolle. Etwas ist im Gange, nicht diagnostiziert, nicht eingegrenzt, nicht gelöst. Sorry!“
Trotz des Schlamassels, in dem sie sich wiederfanden, hatten die Teams Juice bis zum Ende der nächsten Schicht wieder zurück auf den richtigen Weg und in den regulären Zeitplan gebracht (aber erst, nachdem sie sich mit einem weiteren Sicherheitsmodus herumschlagen mussten!).
In der Anfangsphase einer Mission, der „Start- und frühen Orbitalphase“, sind die Teams rund um die Uhr im Einsatz, damit die Mission in ihrem neuen Zuhause aufgenommen und auf den richtigen Weg gebracht werden kann. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die in diesem Szenario geschilderte Abfolge von Ereignissen in der Realität auf einmal eintritt – aber es ist möglich.
Seit Monaten fliegen die Ingenieur*innen also eine simulierte Raumsonde, die immer wieder Probleme macht. In nur ein paar Wochen fliegen sie die echte Sonde. Was sie jetzt tun, trägt zum Gelingen dieser kühnen Mission bei.
Das echte Ding
Juice ist die nächste Mission zum äußeren Sonnensystem. Die Reise zum Jupiter und seinen Eismonden Ganymed, Callisto und Europa wird eine Mission sein, wie wir sie noch nie zuvor geflogen haben.
Die Teams des ESA-Kontrollzentrums werden mit vier Planetenvorbeiflügen zum Gasriesen und 35 Vorbeiflügen an seinen Eismonden eine Mission ausführen, die umfangreicher ist als alle anderen Missionen, die wir als Menschheit bisher in den tiefen Weltraum geflogen sind.
Diese ehrgeizige Mission wird diese Monde mit einer Reihe von leistungsstarken Fernerkundungs-, geophysikalischen und In-situ-Instrumenten erkunden, um mehr über diese faszinierenden Ziele als mögliche Lebensräume für vergangenes oder gegenwärtiges Leben zu erfahren.
Juice wird die komplexe magnetische, Strahlungs- und Plasmaumgebung des Jupiters und ihre Wechselwirkung mit den Monden gründlich beobachten und das Jupitersystem als Archetyp für Gasriesensysteme im gesamten Universum untersuchen.