Keine Chance für irdische Invasoren
Jedes Mal, wenn die Europäische Weltraumagentur ESA Raumsonden zur Erkundung des Sonnensystems auf die Reise schickt, startet auch ein winziges Stück unseres blauen Planeten ins All. Eines aber darf dabei nicht zu den extraterrestrischen Welten gelangen: Leben. Stellen Sie sich vor, Wissenschaftler entdecken endlich außerirdisches Leben, beispielsweise auf dem Mars. Doch dann müssen sie feststellen, dass sich hinter der epochalen Entdeckung Mikroorganismen aus Europa verbergen. Es muss daher gesichert sein, dass irdische Lebensformen nicht als blinder Passagier im Raumsonden-Gepäck mitgenommen werden.
Invasion von der Erde
In dem Klassiker-Bestseller „Krieg der Welten“ von H. G. Wells wird die Menschheit nach erfolglosem Kampf gegen gnadenlose Invasoren vom Mars schließlich durch ein simples irdisches Bakterium gerettet, das die Marsianer dahinrafft. Nun schrieb Wells zwar Science-Fiction, aber der Kerngedanke beschäftigt die Wissenschaft auch im wirklichen Leben: Von irdischen Mikroorganismen kann eine Gefahr für mögliches außerirdisches Leben ausgehen.
Unbemannte Lander beherbergen mikroskopische Lebensspuren von der Erde, die sich auf dem jeweils angesteuerten Planeten oder Himmelskörper festsetzen und verbreiten könnten. Die Zerstörung von Lebensformen, die auf diesen Himmelskörpern möglicherweise existieren, ist aber nur eine der Gefahren. Eine Verunreinigung mit irdischen Mikroorganismen kann auch die Erkundung der angeflogenen Himmelskörper beeinträchtigen: Die Messergebnisse der empfindlichen Analysegeräte können verfälscht und damit unbrauchbar werden. Und möglicherweise verspielt der Mensch durch eine unachtsame Kontamination außerirdischer Himmelskörper die einzigartige Chance, Chemie und Umweltbedingungen fremder Welten zu untersuchen, die (noch) kein Leben tragen oder auf denen das Leben bereits erloschen ist.
Nicht nur sauber, sondern rein
Es gilt also, eine Invasion von der Erde zu verhindern. Das betrifft nicht nur Orbiter und Lander. Selbst bei einem nahen Vorbeiflug einer Raumsonde könnte der Himmelskörper mit irdischem Material verunreinigt werden. Die größte Ansteckungsgefahr geht aber zweifellos von den Landegeräten aus, die die Planeten, Monde oder Kometen, auf denen sie niedergehen, im unmittelbaren Kontakt infizieren können. Die ESA achtet aus diesem Grund peinlichst genau auf hochgradige Reinheit der Flugkörper: Der Mars Express mit dem Lander Beagle 2, die Rosetta-Sonde mit ihrem Kometen-Landeroboter und die Saturnsonde Cassini mit dem Huygens-Lander sind in diesem Sinne verantwortungsvolle Besucher fremder Welten. Komplexe Sterilisationsverfahren und eine rigide Kontrolle stellen sicher, dass bei kritischen Missionen nur keimfreie Sonden und Lander ins All aufbrechen.
Drei Missionen, ein Prinzip: Planetenschutz
Seit 1999 ist Cassini huckepack mit Huygens zum Planeten Saturn unterwegs. 2004 soll sich der Huygens-Lander vom Cassini-Orbiter lösen und auf dem Saturnmond Titan niedergehen. Die Titan-Atmosphäre ist vermutlich mit der Atmosphäre unseres blauen Planeten in seiner Frühgeschichte vergleichbar. Dies macht den Saturnmond zu einem hoch interessanten Forschungsobjekt. Angesichts der extremen Kälte auf dem Saturnmond – es werden Temperaturen von bis zu minus 180 ºC gemessen – gehen die Wissenschaftler bislang davon aus, dass sich dort kein Leben entwickeln konnte. Aber möglicherweise werden sie durch die Daten, die Huygens übermittelt, eines besseren belehrt.
Rosetta und Mars Express starten 2003. Rosetta, der Kometenjäger der ESA, soll nach einem achtjährigen Trip durch unser Sonnensystem 2011 auf dem Kometen 46P/Wirtanen einen Landeroboter absetzen. Und Mars Express, die erste europäische Mars-Mission, erreicht den roten Planeten voraussichtlich im Dezember 2003. Der Lander Beagle 2 steigt dann zur Marsoberfläche ab. Dort soll er auch nach Spuren außerirdischen Lebens suchen.
All diesen Projekten ist eins gemein: Sie unterliegen den international verbindlichen Bestimmungen zum Planetenschutz, die vom Komitee für Weltraumforschung COSPAR des Internationalen Wissenschaftsrates (International Council for Science, ICSU) festgelegt wurden. Der Wissenschaftsrat ist eine zwischenstaatliche Dachorganisation wissenschaftlicher Vereinigungen. Er arbeitet eng mit den Vereinten Nationen zusammen.
Strikte Sauberkeitsregeln
„Wir wollen eine Kontamination der Planeten, die wir besuchen, verhindern“, erklärt John Bennett vom Mars-Express-Team der ESA. Bennett ist einer der Wissenschaftler, die den roten Planeten vor einer irdischen Mikro-Invasion schützen sollen. „Wir wollen schließlich nicht, dass künftige Missionen anstelle von Leben Verunreinigungen aufspüren“.
Die COSPAR-Bestimmungen regeln, in welchem Umfang ein Raumflugkörper keimfrei gemacht werden muss; sie sehen unterschiedliche Reinheitsgrade vor. Welchem Reinheitsgrad eine Mission entsprechen muss, hängt zum einen von der Art und zum anderen vom Bestimmungsort der betreffenden Mission ab. Bei Landern werden wesentlich strengere Kriterien angelegt als bei Orbitern. Je wahrscheinlicher der Ziel-Himmelskörper Spuren von Leben birgt, desto rigider wird die Reinheitsstufe gehandelt.
Für den Beagle-2-Lander der Mars Express-Mission sind daher die Anforderungen in punkto Keimfreiheit besonders streng. Beagle 2 soll so sterilisiert werden, dass beim Start weniger als 300 Mikroorganismen pro Quadratmeter nachweisbar sind. Insgesamt soll die gesamte Rakete nicht mehr als 300 000 Mikroorganismen enthalten. Zum Vergleich: Selbst der am gründlichsten gescheuerte Küchenboden der Welt beherbergt noch mehrere tausend Millionen Mikroben.
Wege zur Keimfreiheit
Die Sterilisation ist ein kompliziertes Unterfangen. Da viele der hochempfindlichen Bauteile keine sehr hohen Temperaturen aushalten, müssen die Wissenschaftler auf andere Sterilisationsverfahren zurückgreifen. Ein Teil der Komponenten des Beagle-2-Landers wird auf 120 °C erhitzt, andere werden chemisch keimfrei gemacht. Die Solarpaneele beispielsweise werden mit Alkohol behandelt. Die mikroelektronischen Bauteile werden in einer Vakuumkammer mit einem speziellen Gas, Wasserstoffperoxid, sterilisiert. Auch UV-Licht und andere Formen der Bestrahlung werden eingesetzt, um Keime abzutöten.
Nach der Sterilisation in verschiedenen britischen Einrichtungen werden die Bauteile von Beagle 2 nach Milton Keynes transportiert. Dort hat man auf dem Gelände der "Open University" eine spezielle keimfreie Montagehalle konstruiert, in der seit Ende Juli der Lander zusammengebaut wird. Ist der supersterile Beagle 2 fertig montiert, dann wird er im eigenen Gehäuse versiegelt und für die Montage auf Mars Express vorbereitet.
Bei Rosetta und Huygens werden weniger strenge Reinheits-Kriterien angelegt. Als Cassini-Huygens 1997 startete, galt es unter Wissenschaftlern als äußerst unwahrscheinlich, dass auf dem kalten Titan Leben existiert. Das Vorhaben wurde daher als Low-Risk-Projekt eingestuft und eine Sterilisation nicht für nötig befunden. Dennoch wurde der Flugkörper gemäß den Planetenschutz-Bestimmungen des COSPAR in einem Reinraum zusammengebaut, der eine Belastung mit weniger als 100 000 Partikeln pro Kubikmeter gewährleistete.
Auch Rosetta gilt als Low-Risk-Mission. „Eine Sterilisation ist hier kein Muss. Kometen gelten ja gemeinhin als Himmelskörper, auf denen es zwar Moleküle gibt, die eine Vorstufe zum organischen Leben darstellen, aber keine lebenden Mikroorganismen“, erläutert Gerhard Schwehm, der Projektwissenschaftler von Rosetta. Ein hoher Reinheitsgrad ist dennoch erforderlich. Schließlich soll Rosetta auf dem Kometen hochsensible Experimente durchführen. Die Wissenschaftler wollen unter allen Umständen vermeiden, dass Verunreinigungen die Ergebnisse verzerren oder unbrauchbar machen.