SMART-1: Mit voller Kraft zum Mond
Nach den wochenlangen gewaltigen Sonnenstürmen kann die SMART-1-Bodenmannschaft des Europäischen Satellitenkontrollzentrums ESOC in Darmstadt wieder aufatmen. Die ESA-Technologiesonde hat selbst die Rekord-Sonneneruptionen gut überstanden und strebt weiter ihrem Ziel entgegen, dem Mond. Anfang 2005 wird sie unseren Erdbegleiter erreichen und in eine Umlaufbahn einschwenken.
Die Spezialisten um den Spacecraft Operations Manager Octavio Camino und den Flight Operations Direktor Michael McKay haben aufreibende Tage hinter sich, in denen sie die hauptsächlich aufgrund der Sonnenstürme aufgetretenen Probleme analysierten und beseitigten. Aber nun ist es geschafft und ein kerngesundes Gerät fliegt mit voller Kraft seinem Ziel entgegen. Das technische Hauptsystem an Bord, ein revolutionäres elektrisches Antriebssystem, beschleunigt mit kaum spürbarem Schub. Es arbeitet kontinuierlich über lange Zeiträume und hebt damit die Umlaufbahn um die Erde immer weiter an. Nach nunmehr über 140 Erdumkreisungen erhöhte sich der erdnächste Punkt – das Perigäum – um etwa 7000 km und der erdfernste Punkt – das Apogäum – um über 14 000 km. Mehr als 950 Stunden ist das Triebwerk seit dem Start in Betrieb gewesen. Trotz dieser enormen Laufzeit hat es nur 15 kg des Edelgases Xenon als Treibstoff verbraucht.
Bis zum Mond ist es für das kleine Technologiewunder aus Menschenhand aber noch ein weiter Weg, muss doch die Bahn auf insgesamt 400 000 km Höhe angehoben werden.
Ungemütliche Gefilde
Dabei soll die Raumsonde nach dem Willen der ESOC-Techniker diesen Weg möglichst schnell zurücklegen. Die Ursache für diese Ungeduld hat einen Namen: Der Van-Allen-Gürtel. Dieser Strahlungsgürtel, der unsere Erde umgibt, ist mit energiereichen Protonen und Elektronen angefüllt, die für elektronische Bauteile und Solarzellen gefährlich sind.
„Das führte auch zu Problemen mit dem Startracker, der für die Orientierung der Sonde am Himmel nach vorgegebenen Sternkonstellationen sucht. Energiereiche Teilchen, wie sie im Van-Allen-Gürtel auftreten, können den Sensor jedoch narren, indem sie Sterne am Firmament vorgaukeln, die gar nicht vorhanden sind. Dazu kam, dass bei diesem Sternensensor aus Dänemark eine neue Technologie eingesetzt wurde, die wir erst beherrschen lernen mussten“ erläutert Michael McKay eines der zu beseitigenden Ärgernisse. Den Spezialisten im ESOC ist es jedoch gelungen, mit einer neuen Software dem widerspenstigen Sensor zu einer normalen Arbeitsweise zu verhelfen.
Durch das Strahlungsbombardement hat sich außerdem die Leistung der beiden Solarpaneele von SMART-1 seit dem Start um rund 80 Watt reduziert und wird bis Ende Dezember, wenn der gefährlichste Teil des Van Allen-Gürtels überwunden sein wird, noch weiter absinken. Anlass zur Sorge besteht für die Kontrollmannschaft dennoch nicht, denn die Solarpaneele sind so großzügig bemessen, dass auch im weiteren Missionsverlauf sowohl für die Instrumente als auch das Ionentriebwerk ausreichend elektrische Energie zur Verfügung stehen wird.
Eine neue Reisestrategie
Konventionelle Raumflugkörper durchfliegen – aufgrund ihres nur kurz zündbaren chemischen Triebwerks – den gefährlichen Strahlungsgürtel mit hoher Beschleunigung. Und damit sehr schnell. Das ist bei elektrischen Antrieben anders. „Die Sonde muss den Van-Allen-Gürtel für sehr lange Zeit durchfliegen, da der Ionenantrieb nur einen geringen Schub erzeugt“ erläutert Michael McKay das Funktionsprinzip der sehr effizienten Triebwerke.
Um die Aufenthaltszeit in den ungemütlichen Gefilden dennoch zu minimieren, erarbeiteten die ESOC-Fachleute eine neue Reisestrategie. Bisher wurde SMART-1 beim Zünden des Triebwerks stets so ausgerichtet, dass der Schub genau in Richtung der gewünschten Beschleunigung auf den Raumflugkörper einwirkte. Der Vorteil dieses Verfahrens: Die Umlaufbahn der Sonde wurde so stark wie nur möglich vergrößert und damit auch der erdfernste Punkt des ellipsenförmigen Orbits maximal angehoben. Doch dieses Vorgehen hat – im wahrsten Sinne des Wortes – auch eine Schattenseite: SMART-1 wird Mitte März 2004 das Apogäum genau dann durchfliegen, wenn es sich im Erdschatten befindet. Da sich die Raumsonde auf ihrem elliptischen Orbit umso langsamer bewegt, je weiter sie von der Erde entfernt ist, würde SMART-1 im Apogäum vergleichsweise langsam fliegen und sich dabei einige Male für mehr als zwei Stunden im Erdschatten befinden. Für eine solche Zeitspanne ohne Sonneneinstrahlung ist die allein auf Solarenergie basierende Energieversorgung der Mondsonde jedoch nicht ausgelegt. Das Ziel war also klar: Der erdfernste Punkt der Umlaufbahn muss so passiert werden, dass SMART-1 sich nie länger als zwei Stunden im Erdschatten befindet. Um dies zu erreichen wird die Raumsonde seit Ende November während der Antriebsphasen anders ausgerichtet. Außer der gewünschten Beschleunigung beim Durchfliegen des Apogäums wird als erfreulicher Nebeneffekt auch der erdnächste Punkt der Umlaufbahn schneller angehoben, so dass SMART-1 den gefährlichen Van Allen-Strahlungsgürtel früher als zunächst geplant verlassen wird.
Technisches Neuland
„Wir sollten nicht vergessen, dass unsere Mondsonde ein Gerät zur Erprobung neuer Technologien für künftige Missionen ist. Dabei sind unerwartete Probleme im technischen Neuland vollkommen normal. Entscheidend ist, dass sie gelöst werden und wir damit wertvolle Erfahrungen für die Zukunft sammeln.“ erklärt McKay noch einmal den eigentlichen Auftrag der Mission. Eine solche Herausforderung stellt auch der Dauerbetrieb des Ionentriebwerks dar. So treten immer wieder so genannte Flame Outs auf. Durch einen vermuteten Kurzschluss bricht die für den Betrieb des Antriebs notwendige Spannung zusammen und er hört auf zu arbeiten. Bisher mussten die Missionsspezialisten das Triebwerk wieder „von Hand“ in Darmstadt zünden. Eine Software soll jetzt Abhilfe schaffen und diesen Vorgang an Bord automatisieren.
Ein eingeschworenes ESOC-Team
So ist in Zukunft gewährleistet, dass die Mitarbeiter des ESOC wieder zu geregelten Arbeitszeiten kommen. In den letzten Wochen waren Überstunden der Normalfall. „Das ist nur mit einem engagierten und eingespielten Team möglich“, ist sich Michael McKay sicher und ergänzt: „Ich bin stolz, dass wir ein solches Team haben und alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen. Nur so konnten und können wir die Mission zum Erfolg führen.“