Wie MIRI zu Webbs coolstem Instrument wurde
Das NASA/ESA/CSA James Webb Weltraumteleskop wird allgemein als Nachfolger des NASA/ESA Hubble Weltraumteleskops bezeichnet. In Wirklichkeit ist es viel mehr. Mit dem Mid-InfraRed Instrument (MIRI) wurde Webb auch zu einem Nachfolger von Infrarot-Weltraumteleskopen wie dem Infrared Space Observatory (ISO) der ESA und dem Spitzer-Weltraumteleskop der NASA.
Bei mittleren Infrarot-Wellenlängen sieht das Universum ganz anders aus als das, was wir mit unseren Augen zu sehen gewohnt sind. Das mittlere Infrarot erstreckt sich von 3 bis 30 Mikrometern und zeigt Himmelsobjekte mit Temperaturen von 30 bis 700 ºC. In diesem Regime leuchten Objekte, die in Bildern mit sichtbarem Licht dunkel erscheinen, nun hell.
Die Staubwolken, in denen sich die Sterne bilden, haben in der Regel diese Temperaturen. Darüber hinaus sind Moleküle bei diesen Wellenlängen in der Regel leicht zu erkennen. „Dieser Wellenlängenbereich ist so aufregend in Bezug auf die Chemie, die man untersuchen kann, und die Art und Weise, wie man die Sternentstehung und die Vorgänge in den Kernen von Galaxien verstehen kann“, sagt Gillian Wright, die leitende Forscherin des europäischen Konsortiums hinter dem MIRI-Instrument.
Unsere ersten wirklichen Einblicke in den Kosmos im mittleren Infrarotbereich stammen von ISO, das zwischen November 1995 und Oktober 1998 in Betrieb war. Nach seiner Ankunft in der Umlaufbahn im Jahr 2003 machte Spitzer weitere Fortschritte bei ähnlichen Wellenlängen. Sowohl die Entdeckungen von ISO als auch die von Spitzer haben deutlich gemacht, wie wichtig ein Teleskop für mittleres Infrarot mit einer größeren Lichtsammelfläche für eine bessere Empfindlichkeit und Winkelauflösung ist, um viele aktuelle Fragen in der Astronomie zu beantworten.
Wright und andere begannen von einem Instrument zu träumen, das mittleres Infrarot in allen Einzelheiten beobachten konnte. Allerdings sahen die ESA und die NASA die kürzeren Wellenlängen des nahen Infrarots als primäres Ziel für Webb an. Die ESA übernahm die Führung bei der Entwicklung eines Nahinfrarot-Spektrometers (NIRSpec), und die NASA konzentrierte sich auf einen Bildgeber (NIRCam).
Als die ESA einen Aufruf für Vorschläge zur Entwicklung ihres Nahinfrarot-Spektrometers veröffentlichte, ließen sich Wright und ihre Kolleg*innen nicht beirren und sahen ihre Chance gekommen.
„Ich habe ein Team geleitet, das eine ziemlich freche Antwort gegeben hat. Es hieß, dass wir den Spektrografen für das nahe Infrarot untersuchen werden, aber wir werden auch einen zusätzlichen Kanal haben, der die gesamte Wissenschaft im mittleren Infrarotbereich abdeckt. Und wir haben die wissenschaftliche Begründung dafür geliefert, warum die Astronomie im mittleren Infrarotbereich auf Webb fantastisch sein würde“, sagt sie.
Obwohl ihr Team diesen Auftrag nicht erhielt, trug dieser mutige Schritt dazu bei, die Astronomie im mittleren Infrarotbereich in Europa bekannter zu machen, und sie selbst wurde eingeladen, diese wissenschaftlichen Interessen in einer anderen ESA-Studie zu vertreten, in der die Fähigkeit der europäischen Industrie zum Bau von Infrarotinstrumenten untersucht wurde. Mit Unterstützung von Forschungsinstituten aus ganz Europa wurden im Rahmen dieser Studie Instrumente für das mittlere Infrarot untersucht.
Die Ergebnisse waren so ermutigend, ebenso wie die Ergebnisse paralleler Studien unter amerikanischer Leitung, dass der Wunsch nach einem solchen Instrument noch weiter wuchs. Indem sie in Europa eine internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen zusammenbrachten, die bereit und in der Lage waren, das Instrument zu entwerfen und zu bauen – und vor allem die Finanzierung zu koordinieren – ermutigten Wright und ihre Mitarbeiter*innen die ESA und die NASA und überzeugten sie nach und nach davon, es in Webb einzubauen.
Große Konsortien sind kein ungewöhnlicher Weg, um in Europa Instrumente für Raumfahrzeuge zu bauen. Die ESA baut häufig die Raumsonde oder das Teleskop und stützt sich dann auf Konsortien aus akademischen und industriellen Einrichtungen, die von ihren nationalen Regierungen Mittel für den Bau der Instrumente erhalten. Dies ist jedoch in den USA ungewöhnlich, wo die NASA in der Regel auch die Instrumente finanziert.
Die Ausweitung der europäischen Führungsrolle bei dieser Arbeitsmethode auf den Bereich der internationalen Zusammenarbeit mit den USA bei einer Vorzeigemission der NASA, bei der die Kultur des Instrumentenbaus so unterschiedlich ist, war kein garantiertes Erfolgsrezept.
„Die größte Befürchtung war, dass diese Komplexität die größte Bedrohung für das Instrument sein würde“, sagt Jose Lorenzo Alvarez, MIRI Instrument Manager für die ESA.
Aber das Wagnis hat sich gelohnt, wie Alvarez erklärt: „Es war überraschend zu sehen, wie sich die Einstellung von Menschen mit völlig unterschiedlichen Arbeitskulturen verändert. In den ersten Jahren befanden wir uns in einer Lernphase. Letztendlich wurde das organisatorisch komplexere MIRI als erstes Instrument ausgeliefert.“
Das Konsortium musste nicht nur die Finanzmittel beantragen, sondern hatte noch eine weitere Vorgabe zu erfüllen: Das Instrument durfte keinen Einfluss auf die Betriebstemperaturen und die Optik des Webb haben. Mit anderen Worten: Das Teleskop sollte weiterhin für die Instrumente des nahen Infrarots optimiert werden, und MIRIs Konstrukteure mussten das beste daraus machen. Dies schränkte die Leistung des Geräts bei Wellenlängen über zehn Mikrometer hinaus ein, aber für Wright war dies ein geringer Preis, der zu zahlen war. „Ich habe es nie als Kompromiss gesehen, denn es wäre immer noch besser als alles, was wir bisher gesehen haben“, sagt sie.
Eine der größten technischen Hürden, die es zu überwinden galt, bestand darin, dass MIRI bei einer niedrigeren Temperatur arbeiten musste als die Instrumente im nahen Infrarot. Dies wurde mit dem vom Jet Propulsion Laboratory der NASA zur Verfügung gestellten Kryokühlungsmechanismus erreicht. Um für die Wellenlängen im mittleren Infrarot empfindlich zu sein, arbeitet MIRI bei etwa 6 Kelvin (-267 °C). Dies ist niedriger als die durchschnittliche Oberflächentemperatur des Pluto, die bei etwa 40 Kelvin (-233 °C) liegt. Zufälligerweise arbeiten die anderen Instrumente und das Teleskop bei dieser Temperatur. Beides sind extrem kalte Temperaturen, aber aufgrund dieses Unterschieds würde die Wärme des Teleskops immer noch in MIRI übertragen, sobald das Instrument mit dem Teleskop verbunden ist, es sei denn, die beiden sind thermisch voneinander isoliert.
„Um die thermischen Lecks zu minimieren, mussten wir einige recht seltsame und exotische Kabelbaummaterialien wählen, um die Wärmeleitfähigkeit von einer Seite zur anderen zu minimieren“, sagt Brian O'Sullivan, MIRI-Systemingenieur bei der ESA.
Eine weitere Herausforderung war der begrenzte Platz, der für das Instrument am Teleskop zur Verfügung stand. Dies wurde noch dadurch erschwert, dass MIRI eigentlich zwei Instrumente in einem sein sollte, ein Bildgeber und ein Spektrometer. Das erforderte ein ausgeklügeltes Design.
„Wir haben einen Mechanismus, und wir verwenden nicht nur das Licht, das von der einen Seite kommt, sondern auch die andere Seite, um die Anzahl der Mechanismen und den Platzbedarf zu minimieren. Es ist ein sehr interessantes und sehr kompaktes optisches Design“, sagt O'Sullivan.
Das Instrument verwendet einen Lichtweg für seinen Imager und einen anderen für sein Spektrometer.
Auch nach der Fertigstellung des Instruments und der Übergabe an die NASA zur Integration in das übrige Teleskop musste sich das Team weiteren Herausforderungen stellen.
Die Fertigstellung des äußerst komplizierten Teleskops dauerte länger als gedacht, und das bedeutete, dass MIRI und die anderen Instrumente viel länger als ursprünglich geplant am Boden bleiben mussten. Vor dem Start sollte die Sonde etwa drei Jahre auf der Erde bleiben, doch es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis sie die Erdumlaufbahn erreichte. Um den einwandfreien Zustand des Geräts zu gewährleisten, wurde MIRI unter streng kontrollierten Bedingungen gelagert und regelmäßig getestet.
Am ersten Weihnachtstag 2021 brachte eine Ariane-5-Rakete der ESA die Sonde in einem Bilderbuchstart in die Umlaufbahn. In den folgenden Wochen und Monaten bereiteten Bodenteams das Teleskop und seine Instrumente vor und übergaben sie an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Zusammen mit den anderen Instrumenten sendet MIRI nun die Art von Daten, von denen sie geträumt hatten.
„Ja, vor allem die ersten Monate waren ziemlich surreal“, sagt Sarah Kendrew, MIRI Instrument and Calibration Scientist bei der ESA. „Wir hatten so viel Vorbereitungsarbeit mit simulierten Daten geleistet, dass wir in gewisser Weise wussten, wie die Daten aussehen würden. Man könnte also denken, dass einem das alles sehr vertraut vorkommt, aber gleichzeitig denkt man: Das kommt doch aus dem Weltraum!”
Die Daten von MIRI waren in den allerersten Bildern, die von Webb veröffentlicht wurden, stark vertreten, darunter die „Berge“ und „Täler“ des Carina-Nebels, die wechselwirkende Galaxiengruppe „Stephans Quintett“ und der Südliche Ringnebel. Nachfolgende Bilder haben die Messlatte sowohl in Bezug auf die Schönheit als auch auf die Wissenschaft immer höher gelegt.
Da MIRI jedoch einen so großen Fortschritt gegenüber allen bisherigen Instrumenten im mittleren Infrarot darstellt, werden auch die Anforderungen an die Interpretation der Bilder immer höher. „MIRI liefert uns eine Menge neuer Informationen, die schwieriger zu interpretieren sind, weil MIRI einen so großen Unterschied zu früher darstellt”, so Kendrew.
Dies ist jedoch das Wesen der Spitzenforschung, und die Astronomen arbeiten bereits mit Hochdruck an der Entwicklung detaillierterer Computermodelle, die ihnen mehr über die verschiedenen physikalischen Prozesse verraten, die zu den Messwerten im mittleren Infrarotbereich führen.
„MIRI bietet ein enormes Potenzial für neue Erkenntnisse, insbesondere bei der Sternentstehung und den Eigenschaften von Staub und Galaxien. Die Auswertung wird vielleicht etwas länger dauern, aber ich denke, dass die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die aus MIRI hervorgehen werden, sehr, sehr wichtig sein werden“, sagt Kendrew.
MIRI hat zusammen mit den anderen Instrumenten auf Webb das Potenzial, alle Bereiche der Astronomie voranzubringen. Es handelt sich um die Art von umwälzender Wissenschaft, die nur durch eine große Steigerung der instrumentellen Leistungsfähigkeit möglich ist. Und es ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die Teamarbeit und die internationale Zusammenarbeit, die für das Teleskop im Allgemeinen und MIRI im Besonderen geleistet wurde.
„Das, was MIRI möglich gemacht hat, war der Teamgeist. Wir wollten alle das Gleiche, nämlich die Wissenschaft. Die Bereitschaft der Menschen, zusammenzuarbeiten und Probleme gemeinsam zu lösen, hat MIRI erst möglich gemacht“, sagt Wright.
Und jetzt profitiert die ganze Welt davon.
Weitere Informationen
Das Webb-Teleskop ist das größte und leistungsstärkste Teleskop, das jemals ins All gestartet wurde. Im Rahmen eines internationalen Kooperationsabkommens war die ESA für den Start des Teleskops mit der Trägerrakete Ariane 5 zuständig. In Zusammenarbeit mit ihren Partnern war die ESA für die Entwicklung und Qualifizierung der Ariane-5-Anpassungen für die Webb-Mission sowie für die Beschaffung des Startdienstes durch Arianespace verantwortlich. Die ESA stellte den Spektrografen NIRSpec, und 50 % des Mittelinfrarot-Instruments MIRI zur Verfügung, das von einem Konsortium aus national finanzierten europäischen Einrichtungen (dem europäischen MIRI-Konsortium) in Zusammenarbeit mit JPL und der Universität von Arizona entwickelt und gebaut wurde. Das Webb-Teleskop ist ein internationales Joint Venture zwischen der NASA, der ESA und der Canadian Space Agency (der kanadischen Raumfahrtagentur CSA).
Das MIRI-Konsortium bestand aus Institutionen und Unternehmen aus zehn europäischen Ländern, der ESA und der NASA. Die führenden Konsortialpartner waren: UK Astronomy Technology Centre, Airbus UK, University of Leicester, Rutherford Appleton Laboratory, Cardiff University, UK; DIAS, Irland; CSL, University of Leuven, Belgien; CEA, LESIA/LAM, Frankreich; INTA, Spanien; University of Stockholm, Schweden; DTUSpace, Dänemark; NOVA IR Group, University of Leiden, Niederlande; MPIA Heidelberg, Universität Köln, Deutschland; ETH, Cover, Schweiz.