Hochpräzise Satellitendaten für eine Fülle innovativer Geschäftsideen
Die hochpräzisen Daten von Europas Galileo- oder Copernicus-Programmen lassen sich nicht nur für die klassische Navigation oder Erdbeobachtung verwenden. Sie sind auch Grundlage für eine Fülle überraschender, neuartiger Geschäftsideen, Startup-Unternehmen, Apps und digitaler Anwendungen, die Schritt für Schritt in unserem beruflichen und privaten Alltag einziehen werden.
250 Experten, Vertreter von Behörden und Landesämtern, Interessierte aus Industrie und Hochschule, Medien und angehende Firmengründer informierten sich am 28. April auf der Fachkonferenz „Global Navigation meets Geoinformation“ bei ESA/ESOC in Darmstadt über neueste Entwicklungen. Die Konferenz hatte die „Satellitennavigation und Erdbeobachtung in einer digitalisierten Welt“ zum Thema und war zugleich hessische Auftaktveranstaltung für den 14. Ideenwettbewerb „European Satellite Navigation Competition 2017“ (#ESNC2017). Eingeladen hatten das Centrum für Satellitennavigation Hessen (cesah), die ESA, das Hessische Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation und Hessen-IT/Digitales Hessen.
Guter Wein mit Hilfe von ESA-Satellitendaten
Thorsten Seckert stammt aus der Weinbauregion rund um Mainz. Studiert hat er an der TU Darmstadt Theoretischen Maschinenbau und Informatik. Die App, die er entwickelt hat, verknüpft all diese Punkte seiner Biografie. „Easy Vineyard“ – „Einfacher Weinberg“ hat er sie genannt und die Idee war so überzeugend, dass Thorsten Seckert ins Business-Inkubationszentrum (BIC) aufgenommen wurde, das von cesah im Auftrag der ESA unweit des Europäischen Satellitenkontrollzentrums in Darmstadt betrieben wird. „Easy Vinyard“ hilft Winzern bei der Überwachung ihrer Weinberge. Sie zeigt beispielsweise an, ob die Weinstöcke und Trauben gut wachsen, ausreichend mit Wasser versorgt sind, die Temperaturen stimmen.
Gegen eine monatliche Miete können die Nutzer diverse Feineinstellungen selbst auswählen. Weinbauern in Hessen, Argentinien, Spanien oder Südafrika haben Interesse an Thorsten Seckerts Geschäftsidee angemeldet, bei Winzern in Portugal und Spanien ist seine App schon in Betrieb.
Mit einem Ausstellungsstand ist der 35-Jährige auf der Konferenz „Global Navigation meets Geoinformationen“ im ESOC vertreten, präsentiert seine Idee und beantwortet Fragen. Zwei Jahre lang wurde er im BIC gefördert – mit insgesamt 50 000 Euro Starthilfe. Die Fördersumme teilen sich die ESA und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie das Land Hessen.
Hinzu kommen 80 Stunden technische Beratungsleistungen durch das ESOC. Zehn Ideen werden jedes Jahr für die Gründerhilfe ausgewählt, berichtet Dr. Frank Zimmermann, Geschäftsführer des Centrums für Satellitennavigation Hessen (cesah).
„Die Erfolgsquote unserer Jungunternehmer liegt bei 95 Prozent“
80 Startups sind es seit der Gründung des cesah 2007 bereits „und die Erfolgsquote unserer Jungunternehmer liegt bei 95 Prozent“, betont Frank Zimmermann. „Darauf sind wir sehr stolz.“ Cesah beruht auf einer gemeinsamen Initiative der ESA und des Landes Hessen zur Schaffung eines Zentrums für Satellitennavigation in unmittelbarer Nähe zum ESOC. Getragen wird das Centrum vom Land Hessen, der Stadt Darmstadt, der Technischen Universität und der Hochschule Darmstadt sowie T-Systems International und Telespazio VEGA Deutschland.
"Viele Gründerideen wären ohne die Satellitendaten des Galileo- Navigations- oder Copernicus-Erdbeobachtungs-Programms der ESA gar nicht denkbar“, sagt Frank Zimmermann. „Wir beraten die Startups und geben entscheidende Hinweise.“ So bietet etwa auch Telespazio VEGA über verschiedene Testtools Galileo-Navigationsdaten an, berichtet Unternehmenssprecherin Alexandra Sokolowski.
Die „Galileo System Simulation Facility“ ist online verfügbar. Gründer Thorsten Seckert will mit seiner Weinberg-Idee zeigen, „wofür die Raumfahrt am Boden angewandt werden kann.“ Er nutzt die Daten der Sentinel-Satelliten des Copernicus-Programms für seine App. Das Startup hat er allein gegründet, auf der Konferenz sucht er jetzt nach Mitstreitern. Das große Geld verdient der 35-Jährige mit seiner Anwendung noch nicht: „Aber die Welt gehört den Mutigen“, lacht er.
Eine App für Kartoffelbauern
Auch Linda van Duivenbode ist auf der Konferenz auf der Suche nach Geschäftspartnern, Unterstützern und Ideen. Die Niederländerin lebt in Griesheim unweit von Darmstadt und will ebenfalls die Sentinel-Daten für eine Landwirtschafts-App nutzen. Für ein Tool, das Kartoffelbauern beim Anbau hilft. Auch hier geht es um zeitnahe Geoinformationen, die Landwirten signalisieren sollen, ob ihre Felder möglicherweise zu trocken oder überdüngt sind, ob die Erdfrüchte gut wachsen. Die Konferenzteilnehmerin plant einen Prototyp zu entwickeln, mit dem sie sich für eine Förderung bewerben will. „Wir experimentieren derzeit noch mit den Satellitendaten“, erzählt sie.
Die Open Access Strategie der ESA macht zahllose Bilder, Videos und Daten von Erdbeobachtungs-, Klima- oder Planetenmissionen für Jedermann zugänglich. Die Satellitendaten bilden weltweit jede Region ab. Linda van Duivenbode denkt daran, eine komplementäre Drohnenüberwachung einzubauen. Einen Überblick über die neueste Drohnentechnik, deren Datenerfassung und Einsatzmöglichkeiten hatte Lothar Assenmacher, Geschäftsführer des Aibotix Unternehmens auf der Tagung gegeben.
Viele Gründer aus dem Hochschul-Umfeld
Genau darauf zielt die 12. Ausgabe dieser jährlichen Konferenz, sagt ESOC-Zentrumsleiter Dr. Rolf Densing: „Sie soll wichtige Impulse für neue Ideen geben und die Chancen für Startups im Wachstumsmarkt Raumfahrtanwendungen aufzeigen“. Die Gründerunternehmen im Business Inkubationszentrum (BIC) hätten schon über 400 neue Arbeitsplätze geschaffen, betont er. Ein überaus erfolgreiches Darmstädter Startup heißt MAVinci, berichtet Frank Zimmermann. Die vier Gründer, ehemalige Studierende der TU Darmstadt und Uni Heidelberg, haben unter anderem eine Planungssoftware für den Drohnenbau entworfen und ihre Firma wurden unlängst von dem US-amerikanischen Unternehmen Intel aufgekauft.
Prof. Carolin Bock hört bei den Konferenzbeiträgen genau hin. Sie ist Professorin für Gründungsmanagement am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der TU Darmstadt und will sich bei der Tagung im ESOC einen Überblick über die neuesten Technologien und mögliche Kooperationspartner verschaffen. „Die Ideen hier sind sehr faszinierend“, sagt die Professorin. In ihren Vorlesungen sitzen bis zu 250 Studierende, denen sie Werkzeuge für die Unternehmensgründung oder Fördermöglichkeiten an die Hand geben will. „Viele haben hochtechnologische Geschäftsideen“, sagt sie, „vor allem im Bereich App-Entwicklung, IT-Sicherheit oder auch Nanotechnologie.“
European Satellite Navigation Competition
Startup der TU sind auch Tom Plümmer und Jonathan Hesselbarth. Ihre Hybrid-Drohne „Wingcopter“ kann senkrecht starten, bis zu 100 Kilometer weit fliegen und ist 150 Kilometer in der Stunde schnell. Die Drohne kann für den Transport von Waren eingesetzt werden, für Rettungseinsätze, Vermessungs- oder Inspektionsflüge. In Dubai ist die Idee der TU-Studierenden bereits sehr gefragt. Bei der Hessen-Ausscheidung des „European Satellite Navigation Competition 2016“ (ESNC) haben sie den dritten Platz belegt. Der Preis wurde bei der Konferenz im ESOC zum Auftakt des 2017 erneut ausgerichteten Wettbewerbs überreicht.
Bis Ende Juni können Anwendungsideen rund um das Thema Satellitennavigation eingereicht werden. Jedes Jahr nehmen am ESNC, so Frank Zimmermann, über 200 Teilnehmer aus ganz Europa teil. Hessen war mit 32 Kandidaten 2016 an dritter Stelle aller 20 teilnehmenden Nationen. Der Wettbewerb wird unter anderem vom DLR, der European GNSS Agency und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unterstützt.
Dr. Carsten Ott von Hessen Trade & Invest GmbH zeichnete die aktuellen Gewinner der hessischen Regionalausscheidung aus, die ihre Ideen präsentierten und Ihre Erfahrungen an zukünftige Teilnehmer weitergaben. Der Gewinner aus dem letzten Jahr, Matthias Siegel (Geschäftsführer der Isofleet GmbH) präsentierte dem Publikum „ISOCollect“: Mit innovativer Wiegetechnik und Echtzeit-Tourenoptimierung werden mit ISOCollect bereits erfolgreich aus herkömmlichen Altkleider-Sammelbehältern intelligente Behälter punktgenau angefahren. „Ich freue mich, eine außergewöhnliche nachhaltige Idee auszeichnen zu können, die ganz im Sinne unserer Strategie Digitales Hessen die Megathemen Ressourceneffizienz und Digitalisierung koppelt“, betonte Dr. Ott. Die Echtzeit-Tourenoptimierung ermöglicht eine effizientere Sammlung und Tourenplanung der Fuhrunternehmen, spart Zeit, Geld und schont die Umwelt. Ein bereits in mehreren Städten erfolgreich verwirklichtes Konzept. Für ESOC-Leiter Rolf Densing und auch Darmstadt Oberbürgermeister Jochen Partsch Beweis dafür, „dass es kaum einen besseren Ort als Darmstadt für Startups gibt, ihre Ideen umzusetzen.“
Der Zweitplatzierte Dr. Domenico Schiavulli präsentierte seine Idee der Nutzung reflektierter Satellitennavigationssignale für die Fernerkundung. Tom Plümmer und Jonathan Hesselbarth erhielten den dritten Platz mit ihrem Dronenkonzept „Wingcopter“, einer GNSS-geführten Drohne, die Vorteile eines Senkrechtstarters mit schnellem Horizontalflug und großer Reichweite kombiniert.