Mit Concordia zum Mars
Eine lebensfeindliche Umgebung, Isolation sowie Leben auf engstem Raum: Das Überleben in Polarstationen gleicht in vielerlei Hinsicht bemannten Langzeitmissionen im All. Grund genug für die Europäische Weltraumorganisation ESA, sich am Forschungsprogramm der neuen Antarktisstation Concordia zu beteiligen.
Klirrende Kälte bis minus 84°C, permanente Dunkelheit, eine reizarme und extrem monotone Umgebung – und mittendrin zwei Handvoll Menschen, die in einer Hightech-Station isoliert vom Rest der Menschheit ihre Aufgabe erfüllen. Nein, dies ist kein Raumschiff und auch kein Außenposten auf dem Mars. Hier wird die 2004 fertig gestellte französisch-italienische Antarktisstation Concordia beschrieben, an deren Forschungsprogramm sich die ESA beteiligt.
„Concordia ist insofern ein idealer Ort für uns, als die Forschungsstation in punkto Isolation ähnliche Bedingungen bietet wie ein Raumschiff, zumindest im Winter. Und der dauert in der Antarktis von Mitte Februar bis November, also rund neun Monate“, erläutert Oliver Angerer, der bei der ESA für die Koordinierung des Concordia-Forschungsprogramms zuständig ist.
Noch ist der bemannte Flug zum Mars eine Vision. Bis er aber auf die Tagesordnung gerät, müssen auf breiter Front eine Vielzahl medizinischer, psychologischer und technischer Probleme von grundlegender Bedeutung gelöst werden. Dies betrifft auch das Ausloten der extrem körperlichen sowie geistigen Anforderungen, mit denen die Marspioniere klarkommen müssen. Die Concordia-Station kann dabei eine Schlüsselrolle spielen. „Die Concordia-Crew ist vielen Faktoren ausgesetzt, die in psychologischer Hinsicht extrem sind und den Herausforderungen einer Marsmission sehr ähneln“, so Angerer. Durch Beobachtung der Concordia-Crew lässt sich demnach klären, wie sich Besatzungen auf Langzeitmissionen verhalten, die viele Monate oder gar Jahre auf engstem Raum zusammenleben. Wie kommen sie mit Eintönigkeit, Isolation, Angst und mangelnder Privatsphäre klar?
Hochmoderne Polarstation
Concordia ist die abgeschiedenste europäische Forschungsstation in der Antarktis, mehr als 1000 Kilometer von der Küste entfernt. Sie wurde in 3250 Meter Höhe errichtet, unweit dem so genannten „Dome C“, der dritthöchsten Erhebung auf dem antarktischen Kontinent. Die Luft dort ist dünn und trocken, im Winter fällt die Temperatur oft auf unter minus 60°C. Dome C ist einer der unwirtlichsten Orte auf unserem Planeten.
Betreiber der Station sind das französische Polarinstitut Paul Emile Victor (Institut polaire français Paul Emile Victor – IPEV) und die im italienischen Antarktisprogramm (Consorzio per l’Attuazione del Programma Nazionale di Ricerche in Antartide, PNRA S.C.r.l.) zusammengefassten Forschungseinrichtungen. Die Stationsbesatzung besteht etwa zur Hälfte aus Wissenschaftlern – Glaziologen, Atmosphärenforscher und Meteorologen. Die andere Hälfte der Crew sichert den Betrieb der Station ab. Hierzu gehören u.a. ein Koch, ein Mechaniker sowie ein Arzt.
Der bewohnbare Teil der Station besteht aus zwei dreistöckigen Türmen mit jeweils 700 m2 Wohnfläche, die durch eine geschlossene Brücke miteinander verbunden sind. Ein Turm enthält Laborräume, Bibliothek und Küche, der zweite bietet Zimmer für 16 Personen, Baderäume und ein Krankenrevier. Die Versorgung erfolgt auf dem Landweg sowie durch die Luft, allerdings nur während des antarktischen Sommers, d.h. zwischen November und Februar. Im Winter ist Concordia komplett von der Außenwelt isoliert.
Im Visier: Gruppendynamik und Anpassungsprozesse
Seit Mitte Februar ist die aktuelle zehnköpfige Winterbesatzung der Station auf sich allein gestellt und wird bis November 2006 ihren wissenschaftlichen und operationellen Aufgaben nachgehen. Außerdem nehmen alle Crewmitglieder auf freiwilliger Basis an zwei psychologischen Experimenten teil, die die ESA via Forschungsausschreibung ausgewählt hat und die in dieser Wintersaison dort durchgeführt werden.
Ein Experiment unter Federführung des britischen Sozialpsychologen Alexander Haslam von der Universität Exeter befasst sich mit der Entwicklung von Gruppen und Gruppenidentität. Untersucht wird, wie sich in größeren Personengruppen Untergruppen bilden, die eigene Teilziele entwickeln und verfolgen. Ob ein Verbund von Einzelpersonen als Gruppe erfolgreich ist, hängt davon ab, ob sie als Gruppe eine gemeinsame Identität entwickeln. Die Datenerhebung erfolgt über Fragebögen, die die Crewmitglieder ausfüllen müssen.
Das zweite Experiment unter Federführung der französischen Psychologin Elisabeth Rosnet von der Universität Reims nimmt die psychische Anpassung der Crew an das neue, von Isolation und mangelnder Privatsphäre geprägte Umfeld unter die Lupe. Untersucht werden u.a. das allgemeine Gruppenverhalten, Strategien zur Bewältigung der Situation, der Einfluss der Umgebung und die Zusammenhänge, die zwischen psychologischen Merkmalen einer Person und der Anpassung bestehen. Auch bei diesem Experiment müssen die Crewmitglieder zwecks Datenerhebung Fragebögen ausfüllen. Außerdem werden zu bestimmten Gelegenheiten Fotos aufgenommen, beispielsweise beim Essen der Crew. , so Angerer. „Ziel ist es, Rückschlüsse über die soziale Interaktion zu ziehen.“
Spin-Offs aus der Raumfahrt
Die Ergebnisse dieser Experimente können helfen, Gegenmaßnahmen zur Bewältigung der psychologischen Hürden zu konzipieren und die psychologischen Verfahren zur Auswahl von Crewmitgliedern zu verfeinern.
Aber auch in anderen Bereichen optimiert die ESA auf Concordia Wissen und Know-how: Gemeinsam mit den Betreibern IPEV und PNRA hat sie ein Wasseraufbereitungssystem für die Station konzipiert. „Das System basiert auf Technologien, die wir für Lebenserhaltungssysteme entwickelt haben“, erläutert Oliver Angerer. „Die Anlage läuft jetzt seit über einem Jahr und liefert wertvolle Daten über den alltäglichen Betrieb der Technologien in extremer Umgebung.“
Außerdem sammelt die ESA im Rahmen ihres Mistacoba-Experiments auf der Concordia-Station Daten darüber, wie sich Mikroben in einer abgeschlossenen Umgebung entwickeln und verteilen. Denn schließlich soll die erste bemannte Marsmission ja nicht durch Bakterien und Keime zu Fall gebracht werden.
Ansprechpartner
Dr. Oliver Angerer
Human Exploration Science Coordinator
ESA/ ESTEC, HME-GAL
Keplerlaan 1, P. O. Box 299
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Fax. +31 71 565 3661
Oliver.Angerer @esa.int