Mrs. Enterprise forscht für die ESA
Mit Sojus TMA 9 gelangt nicht nur die neue zweiköpfige Stammbesatzung zur ISS. Das dritte Ticket erhielt die aus dem Iran stammende US-Unternehmerin Anousheh Ansari. Die weltraumbegeisterte Frau hat sich als Sponsorin des „Ansari-X-Prize“ bereits einen Namen gemacht. Nun will sie selbst den Weltraum kennenlernen. Während ihres zehntägigen Raumfluges wird sie vier Experimente der ESA mit betreuen.
Ursprünglich sollte Sojus TMA 9 am 14. September vom Kosmodrom Baikonur (Kasachstan) die Reise ins All antreten. Aufgrund der Startprobleme der US-Raumfähre Atlantis verlegte die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos jedoch das endgültige Startdatum der Sojus-Mission auf den 18. September.
Taxi als Rettungsfähre
Das war zugleich der äußerste Termin, denn das an die Internationale Raumstation angekoppelte Rettungsraumschiff Sojus TMA 8 ist für 200 Tage zertifiziert. Für diese Zeitspanne garantiert die russische Seite das Funktionieren aller Systeme. Danach könnten entscheidende technische Geräte, wie der Landefallschirm, ausfallen. Kurz vor dem Verfallsdatum muss also eine neue Crew ein frisches Raumschiff zur Station bringen. Diese kehrt mit dem verbrauchten Raumschiff zur Erde zurück.
Damit ist die Hauptaufgabe der aktuellen Besuchs-Crew umrissen. Kommandant Michail Tjurin (Rußland), Bordingenieur Michael Lopez-Alegria (USA) und „Teilnehmerin“ – so die offizielle russische Sprachregelung – Anousheh Ansari (USA) bringen Sojus TMA 9 zur Raumstation. Während Tjurin und Lopez-Alegria gemeinsam mit dem im Orbit weilenden deutschen ESA-Astronauten Thomas Reiter die 14. ISS-Stammbesatzung bilden, kehrt Anousheh Ansari zusammen mit den jetzigen ISS-Bewohnern Pawel Winogradow und Jeffrey Williams mit Sojus am 28. September zurück. Austauschmissionen dieser Art werden auch als Taxi-Flüge bezeichnet.
Erste private Raumfahrerin
Im medialen Focus der Sojus-Mission steht zweifellos Anousheh Ansari. Sechs Tage nach ihrem 40. Geburtstag will die weltraumbegeisterte Unternehmerin ihren Kindheitstraum erfüllen.
Weibliche Astronauten sind zwar keine Seltenheit mehr, besonders in den USA. Und mit der französischen Ärztin Claudie Haigneré arbeitete im Oktober 2001 auch schon eine Europäerin auf der ISS. Doch Ansari ist die erste Frau, die für dieses Privileg selbst bezahlt: 20 Mill. Dollar (15,8 Mill. Euro) kostete das Ticket.
Mit ihrem Flug möchte sie zur Versöhnung ihrer beiden verfeindeten Heimatländer Iran und USA beitragen. „Deshalb sind die Flaggen beider Länder auf meinem Raumanzug vertreten“, sagt sie.
Die irdischen Auswirkungen dürften vor allem von psychologischer Natur sein: Die erste iranische Frau im All zu sein – das ist ein Durchbruch, der viele Frauen anregen wird, ihr eigenes Leben zu verbessern. Und genau das will auch Anousheh: „Ich möchte ein Beispiel für viele Frauen und Mädchen geben, damit sie daran glauben, dass das Unmögliche möglich werden kann“.
Enterprise-Saga wird zur Lebensmotivation
In der Tat ist die zierliche Frau alles andere als eine „normale Touristin“, was ihr Lebensweg auch belegt. Die am 12. September 1966 im Iran geborene Anousheh Ansari wurde in ihrer Kindheit und Jugend zum Star-Trek-Fan. Sie verschlang alle Serien der Enterprise-Saga und träumte schließlich selbst von einem Flug zu den Sternen. All ihre Pläne wurden nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 beerdigt. Da sie als Frau keine naturwissenschaftlichen Fächer studieren durfte, emigrierte sie 1984 in die USA. Dort studierte sie zunächst Elektrotechnik und Informatik. Während des Studiums begann sie für den US-Telekommunikationskonzern MCI zu arbeiten, wo sie den iranischen Ingenieur Hamid Ansari kennen- und lieben lernte. 1991 heirateten beide. Anousheh Ansari drängte es, sehr zum Unwillen ihres Mannes, in die Selbständigkeit. 1993 verließen beide MCI und gründeten mit Hamids Bruder Amir die Internetfirma Telecom Technologies Inc. (TTI). Sieben Jahre später – auf dem Höhepunkt des Börsenbooms – übernahm der US Riese Sonus Networks ihre Firma für 750 Mill. Dollar.
Mit dem Geld gründeten sie nicht nur eine neue Firma, sie förderten auch gezielt Projekte der privaten Raumfahrt, darunter den „Ansari X-Prize“ für den ersten privaten Flug ins All.
Ansari unterstützt aktiv das ESA-Forschungsprogramm
Es war ihr Wunsch, sich aktiv in den zehntägigen Weltraumflug einbringen zu können. Anousheh Ansari betreut jetzt vier medizinische und mikrobiologische Experimente der Europäischen Weltraumorganisation:
Für das wichtige ESA-Langzeitexperiment Chromosome-2, das auch Bestandteil der Astrolab-Mission von Thomas Reiter ist, werden Ansari vor und nach ihrem Flug Blutproben entnommen. Mit diesem Experiment sollen die möglichen genetischen Auswirkungen der kosmischen Strahlung herausgefunden werden. Bei jeweils vier Astronauten auf Kurz- und Langzeitflügen werden u.a. die Veränderungen der Chromosomen in Lymphozyten (weiße Blutkörper) untersucht.
An ihren Blutproben soll auch ein weiteres Phänomen erforscht werden, das die gesunden Astronauten in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft im All befällt: Rote Blutkörperchen werden massenhaft zerstört, es tritt die Tendenz zur Blutarmut (Anämie) auf. Bekannt ist, dass schwere Krankheiten auf der Erde, wie beispielsweise Nierenversagen, ebenfalls Anämie auslösen können. Mit Hilfe des Experimentes NEOCYTOLYSIS wollen die Wissenschaftler deshalb sowohl den auslösenden Mechanismen dieser Krankheit auf die Spur kommen, als auch Lösungsansätze zur Heilung der Krankheit sowie zur Minimierung des Krebsrisikos finden.
In einem weiteren Experiment – SAMPLE – geht es um irdische Bakterien und ihre Anpassung an die Weltraumbedingungen. Mit dem Experiment soll aufgezeigt werden, welche potenziellen Wirkungen die bakteriellen Anpassungen auf die Gesundheit der ISS-Besatzungsmitglieder haben könnten.
Das vierte und letzte ESA-Experiment befasst sich mit Rückenschmerzen. Diese treten trotz der Schwerelosigkeit im All relativ häufig auf. Die Forscher vermuten, dass die zur Stützung des unteren Rückenbereichs zuständigen Muskeln nicht mehr funktionieren. Hierzu muss Anousheh Ansari jeden Tag einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen, in dem sie Auskunft über mögliche Rückenschmerzen gibt.
Die kommenden Tage werden also nicht nur für Anousheh Ansari spannend und arbeitsreich sein, sondern auch für die sie am Boden begleitenden ESA-Wissenschaftler.