„Philae bekommt einen sanften Schubs“
Andrea Accomazzo ist Flight-Director der Rosetta-Mission, die momentan von 70 Experten am ESOC-Zentrum in Darmstadt gesteuert wird. Im zweiten Teil unseres Interviews erklärt der Raumfahrt-Ingenieur, wieso bei einer Landung auf einem Kometen, die Bordkameras wichtig sind.
Herr Accomazzo, im ersten Interview haben Sie uns bereits die schrittweise Annäherung an 67P/Churyumov-Gerasimenko geschildert. Eine Kometenmission wie Rosetta hat es nie zuvor gegeben, in den Büchern über Raumfahrtgeschichte wird sie sicher ein eigenes Kapitel bekommen. Doch bei den Apollo-Missionen zum Mond oder den unbemannten Marslandungen der vergangenen Jahre war etwas entscheidend anders als bei Rosettas Flug: Die Landegeräte trafen auf eine genau charakterisierte Landestelle, denn zuvor geflogene Missionen hatten bereits die Verhältnisse vor Ort erkundet. Bei 67P ist es nun anders: Je näher Sie dem Kometen kommen, desto mehr stoßen Sie in unbekanntes Terrain vor.
Ja, aber die Gesetze der Physik gelten dort genau wie bei uns auf der Erde! Als wir uns dem Kern des Kometen auf 10 Kilometer genähert hatten, stellten wir fest, dass unsere Analysen, wo Rosettas Position relativ zum Kometen war, fehlerhaft waren: Wenn wir erwarteten zum Kometen zu blicken, sahen wir tatsächlich aber in eine völlig andere Richtung!
Nach einer genauen Prüfung erkannten wir, dass wir das Problem beheben können, indem wir das angenommene Massenzentrum des Kometenkerns um 18 Meter verschieben - und schon war die Diskrepanz beseitigt.
Was kommt als nächstes, welche Manöver des Orbiters sind geplant um die Landung von Philae zu ermöglichen?
Wir haben am 31. Oktober den 10-Kilometer-Orbit verlassen und Rosetta in eine Umlaufbahn mit größerem Abstand gesteuert, wir kreisen nun rund 30 Kilometer vom Kometen entfernt. Dies ist der Ausgangspunkt für das Absetzen des Philae-Landers.
Die Trennung von Rosetta und Philae ist für den Morgen des 12. November geplant?
Ja, um genau zu sein um 9.35 Uhr MEZ. Schon zwei Stunden vor der Abtrennung werden wir ein Manöver durchführen, das Rosetta auf einen engeren Kurs zum Kometen bringt.
Natürlich keinen Kollisionskurs, wenn der Orbiter auf diesem Kurs bleiben würde, käme er dem Kometen bis auf weniger als drei Kilometer nahe. Orbiter und Lander haben zu diesem Zeitpunkt ihre jeweiligen Systeme selbstständig überprüft und melden ob alles bereit zur Landung ist.
Vorausgesetzt dies ist der Fall, so wird Philae als nächstes abgestoßen: er fällt frei der „Agilkia“-Landestelle auf der Kometenoberfläche entgegen. 40 Minuten später bringen wir Rosetta erneut auf einen neuen Orbit. Dieser wird es ermöglichen, den Lander bei seinem Abstieg zur Oberfläche vom Orbiter aus zu beobachten.
Was bedeutet Philae fällt „frei“? Und wie lange wird er für den Weg zur Oberfläche brauchen?
Philae fliegt ohne eigenen Antrieb. Wir geben ihm mit den Abstoßmechanismus des Orbiters lediglich einmal einen sanften Schubs. Dadurch wird er sich mit gemächlichen 18 Zentimetern pro Sekunde entfernen. Danach fliegt er frei wie ein Stein, den man geworfen hat.
Philae wird rund 7 Stunden bis zur Oberfläche brauchen, in den ersten 2 Stunden des Abstiegs werden wir nichts von dem Lander hören, aber der Orbiter ist in einer guten Position die Landung zu verfolgen. Die Möglichkeit für direkten Sichtkontakt zwischen beiden endet erst ein paar Stunden nach der Landung. Sowohl unsere Navigationskameras als auch die wissenschaftliche OSIRIS-Kamera an Bord werden Philae auf seinem Weg bis zur Oberfläche beobachten.
Da die Bilder der Navigationskameras schneller zur Erde gesendet werden können, werden wir sie zuerst haben. Mithilfe der Fotos können wir analysieren, ob Philae sich auf der geplanten Bahn zur Oberfläche bewegt und die vorgesehene Landestelle getroffen hat.
Drei Stunden nach der Landung korrigieren wir dann erneut die Bahn Rosettas, um nicht in zu große Entfernung vom Kometen zu geraten. Ohne dieses Manöver würden wir die Funkverbindung zwischen Rosetta und Philae verlieren.
Nach Jahrzehnten der Planung und zehn Jahren Anreise zum Kometen rückt die Landung nun näher. Sie ist gleichsam das wissenschaftliche Sahnehäubchen einer auch ansonsten einzigartigen Mission. Wie fühlt es sich an, ein Kapitel im Buch der Raumfahrtgeschichte zu schreiben?
Es ist schwierig in Worte zu fassen. Natürlich bin ich glücklich bei dieser fantastischen Mission dabei zu sein! Schon jetzt haben wir sehr viel erreicht, worauf wir stolz sein können. Und die Zusammenarbeit mit all den Experten innerhalb und außerhalb der ESA ist eine wunderbare Erfahrung. Ebenso ist es großartig zu erleben, wie die vielen jungen Leute hier im Team ihr Engagement für die Mission einbringen. Nicht zuletzt freue ich mich über das große Interesse der Öffentlichkeit, die jeden Schritt der Rosetta-Mission aufmerksam verfolgt.