Rosettas Fahndung nach der Urquelle
Kamen unsere Ozeane von den Kometen? Astronomen wollen dieses Rätsel seit langem lösen. Nun liegen erste Resultate der Rosetta-Sonde vor.
Die gängige Theorie über die Entstehung der Erde und der Planeten besagt, dass diese sich vor rund 4,6 Milliarden Jahren formten. Die Urzeit-Erde war höllisch heiß, erhitzt durch radioaktive Substanzen, zahlreiche Kollisionen mit planetaren Ur-Körpern taten ein Übriges. Wasser konnte unser Heimatplanet damals nicht halten, es verdampfte ins Weltall. Woher stammen also die enormen Massen des Lebenselexirs, die heute als Ozeane rund zwei Drittel der Erdoberfläche bedecken?
Dem Szenario zufolge muss es später zur Erde gelangt sein, nämlich als diese sich hinreichend abgekühlt hatte. Planetenforscher gehen davon aus, dass es beim Aufprall wasserhaltiger Himmelskörper die junge Erde erreichte. Bei der Frage, welche planetaren Körper dafür hauptsächlich verantwortlich waren, sind sich die Experten uneins, eine neue Studie im Wissenschaftsblatt Science heizt die Debatte weiter an.
Komet ist nicht gleich Komet
Im sogenannten Kuiper-Gürtel, also jenseits des äußersten Planeten Neptun, kreisen heute noch zahllose eishaltige Körper, die Wissenschaftler für weitgehend unveränderte Urmaterie aus der Geburtsphase des Sonnensystems halten. Kometen mit Umlaufzeiten unter 200 Jahren gelten als Bruchstücke solcher Kuiper-Objekte. Störkräfte des Neptuns können diese Objekte in Richtung des inneren Sonnensystem ablenken, bis sie schliesslich in die Nähe des Jupiters gelangen. Dort gehören sie dann zur Jupiter-Kometen-Familie. Mit 6,5 Jahren Umlaufzeit ist Rosettas Zielkomet 67P/Tschurjumow-Gerassimenko ebenfalls ein solches Familienmitglied. Anders die Kometen der „Oortschen-Wolke“: Diese erstreckt sich in erheblich größere Sonnendistanzen bis weit in den interstellaren Weltraum. Von dort stammt beispielsweise der Komet Halley, den die ESA-Sonde Giotto 1986 besuchte – damals eine Pioniertat.
Was hat all dies mit unseren Meeren zu tun? Die Moleküle des Wassers sind nicht alle gleich: Deuterium (D), auch „schwerer Wasserstoff“ genannt, hat in seinem Atomkern ein zusätzliches Neutron, deshalb ist es etwas schwerer. In Wassermolekülen kann Deuterium den Platz des regulären Wasserstoffs (H) einnehmen. Mit dem D/H-Wert wird der Anteil des Deuteriums im Wasser beschrieben. Der Wert ist eine Art Fingerabdruck mit dem die Wissenschaftler die Herkunft des Wassers klären wollen, ihr Kalkül: Himmelskörper, die sich einst in unterschiedlicher Distanz zur Sonne formten, haben sozusagen von Geburt an einen unterschiedlichen D/H-Wert abbekommen. Da Deuterium selten ist, hat irdisches Ozeanwasser einen D/H-Wert von lediglich 0,15 Promille. Welchen D/H-Fingerabdruck hinterlässt nun das Kometen-Wasser?
Wasser ist nicht gleich Wasser
Hier kommt der Rosetta-Orbiter ins Spiel. Zu seinen elf Instrumenten gehört ROSINA („Rosetta Orbiter Spectrometer for Ion and Neutral Analysis“) von der Universität in Bern. Es besteht aus zwei Massenspektrometern und einem Drucksensor und soll Gasteilchen in der Hülle des Kometen, der sogenannten Koma, untersuchen. Dem internationalen Forscher-Team um Kathrin Altwegg geht es vor allem um die chemische Zusammensetzung dieser Gase. Das empfindliche Instrument kann jedoch auch die Massen von Deuterium und Wasserstoff präzise unterscheiden, es ist deshalb ausgezeichnet geeignet, den D/H-Wert von 67P zu messen.
Seit August ist ROSINA am Kometen im Einsatz, und die neusten Resultate haben die Planetenforscher überrascht: Der ermittelte Wert ist mit 0,53 Promille mehr als dreifach höher als der irdische Vergleichswert. „Unsere Erkenntnisse widersprechen der Idee, dass alle Kometen der Jupiter-Familie Wasser enthalten, das demjenigen unserer Ozeane entspricht“, erklärt die Berner Projektleiterin des ROSINA-Instruments Kathrin Altwegg. „Diese Himmelskörper wurden möglicherweise über ausgedehntere Regionen gebildet als ursprünglich angenommen, was zu verschiedenen D/H-Verhältnissen im Wasser führte.“
Asteroiden unter Verdacht
Auch Messungen von Kometen, die aus der Oort-Wolke stammten, hatten bereits Zweifel am kometaren Urquell unseres Wassers geweckt. Bereits Giottos Messungen von 1986 zeigten mit dem Doppelten des irdischen D/H-Wertes auch keine überzeugende Übereinstimmung. Hingegen ist von bestimmten Asteroiden bekannt, dass sie erdähnliches Wasser enthalten, sie geraten nun verstärkt in den Fokus der Forscher. Denn Analysen ihrer Bruchstücke in irdischen Labors haben ergeben, dass die D/H-Werte von Meteoriten des Typs der „Kohligen Chondriten“ zwischen 0,12 und 0,32 Promille rangieren, manche also durchaus erdähnliches Wasser enthalten. Altwegg: „Unsere Resultate unterstützen Modelle, welche Asteroiden als Lieferanten des irdischen Wassers haupt- oder teilverantwortlich machen.“ Ganz aus dem Rennen sind die Kometen allerdings nicht. So hat das Herschel Weltraumteleskop der ESA seit 2011 zwei Kometen bezüglich ihrer D/H-Werte vermessen – diese passten wiederum besser zum Erdwasser.
„Wir waren auf Überraschungen gefasst, vor die uns Rosettas Vor-Ort-Analyse stellen würde, auch bezüglich des Gesamtbildes, das wir uns von der Entstehung des Sonnensystems machen“, kommentiert Matt Taylor ESA-Projektwissenschaftler der Rosetta-Mission. „Dieses herausragende Resultat wird die Debatte um die Herkunft des irdischen Wassers sicherlich anheizen.“ Die Studie ist die erste wissenschaftliche Publikation von Rosetta-Daten, die Mission steht also immer noch am Anfang. „Wir werden den Kometen genau im Auge behalten, wenn Rosetta ihn im kommenden Jahr auf seiner Bahn um die Sonne begleitet“, so Matt Taylor. „Das wird auch unsere Verständnis der Rolle vertiefen, die einst die Kometen bei der Entwicklung des Sonnensystems spielten.“
Endnoten
“67P/Churyumov-Gerasimenko, a Jupiter Family Comet with a high D/H ratio” von K. Altwegg et al. erschien in der Ausgabe vom 10. Dezember 2014 der ZeitschriftScience.ROSINA ist eines von elf Experimenten des Rosetta-Orbiters. Es misst Ionen und Neutralteilchen und besteht aus einem sogenannten Doppelfokussierenden Massenspektrometer, von dem die hier geschilderten Messungen stammen. Desweiteren gehören das "Reflektron Flugzeit Massenspektrometer" und ein zusätzlicher Drucksensor zu ROSINA. Die vorliegende Analyse basiert auf über 50 Spektren, die zwischen dem 8. August und dem 5. September 2014 gemessen wurden. Die Leitende Wissenschaftlerin von ROSINA ist Kathrin Altwegg von der Universität Bern.
Ansprechpartner:
Kathrin Altwegg
Principal investigator for ROSINA
University of Bern, Switzerland
Email: kathrin.altwegg@space.unibe.ch
Markus Bauer
ESA Science and Robotic Exploration Communication Officer
Tel: +31 71 565 6799
Mob: +31 61 594 3 954
Email: markus.bauer@esa.int
Matt Taylor
ESA Rosetta project scientist
Email: matthew.taylor@esa.int