Untergehende Sterne enthüllen Geheimnisse um Planeten
Es kann durchaus ein romantischer Zeitvertreib sein, von der Erde aus zuzusehen, wie die Sterne am Horizont untergehen. Wenn ein Satellit derselben Tätigkeit aus dem All nachgeht, dann können dabei verborgene Details über die Atmosphäre von Planeten aufgedeckt werden.
Diese Technik nennt man „stellare Okkultation“. Jean-Loup Bertaux vom französischen "Service d'Aeronomie du CNRS" kam als Erster auf die Idee, diese Methode bei einer ESA-Mission einzusetzen. Das Prinzip besteht darin, Sterne aus dem Weltall zu beobachten, während sie von der Atmosphäre eines Planeten verdeckt werden, aber noch bevor sie hinter dessen Horizont verschwinden.
Oberhalb der Atmosphäre geben die Sterne Strahlungen in einem breiten Wellenlängenbereich ab. Wenn sich der Satellit auf seiner Bahn um den Planeten bewegt, scheint der Stern hinter der Atmosphäre des Planeten unterzugehen. Die Atmosphäre wirkt wie ein Filter. Sie hält bestimmte Wellenlängen der Strahlung des Sterns ab. Der Schlüssel dieser Technik liegt darin, dass die abgehaltenen Wellenlängen für bestimmte Moleküle und Atome in der Atmosphäre des Planeten stehen.
Die ESA verwendet diese Technik derzeit an Bord von drei Satelliten, die die Atmosphäre dreier unterschiedlicher Planeten untersuchen. Alle liefern einzigartige Erkenntnisse.
Die um die Erde kreisende ESA-Mission Envisat führt ein Instrument namens GOMOS (Global Ozone Monitoring by Occultation of Stars) mit sich. Es untersucht, ob die Ozonmenge wieder zunimmt, nachdem verschiedene schädliche Chemikalien aus dem Alltag verbannt wurden. Seit 2002 beobachtet das Instrument täglich rund 400 Sterne bei ihrem Untergang hinter der Erde. Das Ziel ist die Kartierung des Ozongehalts in der Erdatmosphäre an sämtlichen Längen- und Breitengraden.
„Noch ist es zu früh, um festzustellen, ob sich die Ozonschicht erholt oder nicht“, so Bertaux. Mit der wachsenden Datenmenge treten aber auch andere Erscheinungen zu Tage, die für die Ozonmenge in der Atmosphäre entscheidend sind. Im Januar und Februar 2004 beobachtete GOMOS eine starke Zunahme des Stickstoffdioxidgehalts in einer Höhe von 65 Kilometern. Die Überwachung von Stickstoffdioxid in der Atmosphäre ist besonders wichtig, weil dieses Gas Ozon zerstören kann. Während der folgenden zwei Monate verfolgte GOMOS, wie die Schicht auf 45 km herabsank und dabei deutlich Ozon zerstörte - und die Wissenschaftler somit vor ein weiteres Rätsel im Ozon-Puzzle stellte.
Ein einfacheres Instrument zur Messung der stellaren Okkultation befindet sich an Bord der ESA-Sonde Mars Express. Seit der Ankunft der Raumsonde am Roten Planeten im Jahr 2003 konnte SPICAM (Spectroscopy for Investigation of Characteristics of the Atmosphere of Mars) über 1000 stellare Okkultationen beobachten. Diese Arbeit liefert die bislang detaillierteste Darstellung der oberen Marsatmosphäre und konnte dauerhafte Dunstschichten nachweisen.
Neben der rein wissenschaftlichen Bedeutung haben die Messdaten auch einen praktischen Wert für künftige Erkundungsmissionen. „Profile der Marsatmosphäre sind wichtig für die Entwicklung von Fallschirmen für Landegeräte“, erklärt Bertaux.
Die neueste Ergänzung dieser Instrumentenfamilie ist SPICAV (Spectroscopy for Investigation of Characteristics of the Atmosphere of Venus) an Bord von Venus Express. Die Atmosphäre der Venus ist wesentlich dichter als diejenige der Erde oder des Mars. SPICAV gibt den auf der Erde wartenden Wissenschaftlern Aufschluss über das Temperatur- und Dichteprofil der Atmosphäre. Man geht davon aus, dass die Ergebnisse schon bald veröffentlicht werden können.
„Ich denke, die Technik der stellaren Okkultation ist jetzt durchaus „kampferprobt“ und mit Sicherheit auch für künftige Langzeituntersuchungen von Nutzen”, schließt Bertaux.