Zu den Grenzen von Zeit und Raum
Grünes Licht bei der ESA: Sie hat die Weichen für eine weit reichende Beteiligung am 6-Meter-Weltraumteleskop „James Webb“ gestellt, dem Nachfolger von Hubble. Das neue Superauge entsteht unter der Hauptverantwortung der NASA in enger Zusammenarbeit mit den Raumfahrtagenturen Europas und Kanadas, ESA und CSA. Sein Start ist für 2011 mit einer Ariane 5 von Kourou aus geplant.
Seit 1990 liefert das amerikanische Weltraumteleskop Hubble sensationelle Daten, die unser Wissen über das Universum revolutioniert haben. Sein Spiegel mit einem Durchmesser von 2,4 m erlaubt einen fünfmal schärferen Blick in die Tiefen des Alls als die besten Teleskope auf der Erde und zeigt damit auf beeindruckende Weise, was Forschungsinstrumente im Weltraum zu leisten vermögen. Da keine irdische Atmosphäre den Blick trübt, erfassen die wissenschaftlichen Instrumente des Forschungsgiganten 600 km über unserem Planeten auch Licht in den ultravioletten und infraroten Wellenlängenbereichen.
Die ESA beteiligt sich an Hubble sowohl finanziell als auch mit Ausrüstungen im Umfang von 15 Prozent der Gesamtkosten. Als Gegenleistung erhält sie dafür 15 Prozent der Beobachtungszeit für europäische Wissenschaftler. Eine Investition, die sich aus Forschersicht schon mehr als gelohnt hat.
Der Blick in die Kinderstube des Universums
Das genügt den Astronomen und Astrophysikern aber noch nicht. Sie wollen es ganz genau wissen und mit ihren Beobachtungen möglichst weit bis zum Ursprung des Universums vordringen. Also nicht nur in die Kinderstube des Universums blicken, sondern nach Möglichkeit im Kreissaal bei der Geburt dabei sein.
Deshalb entwickelt die NASA in enger Zusammenarbeit mit der europäischen Weltraumorganisation ESA und der kanadischen Raumfahrtagentur CSA ein neues Forschungsinstrument, das James Webb Space Telescope (JWST). Es soll Ende 2011 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana mit einer Ariane 5 gestartet werden. Das JWST wird deutlich leistungsfähiger sein als Hubble. So verfügt das Teleskop mit seinen sechs Metern Durchmesser über einen mehr als doppelt so großen Spiegel und kann damit deutlich mehr Licht auffangen.
Das zunächst unter der Bezeichnung Next Generation Space Telescope (NGST) firmierende Projekt erhielt 2002 den Namen des zweiten Administrators der NASA - James Webb. Er stand der Behörde von 1961-68 vor und mit seinem Namen sind so erfolgreiche Unternehmen wie das Apollo-Programm verbunden.
Die wissenschaftlichen Instrumente an Bord des revolutionären Teleskops werten die eingefangene Strahlung vor allem in einem weiten Bereich des infraroten Lichts aus. Einer Strahlung, die wesentliche Informationen vom Beginn des Universums und seinen ersten Sternen sowie Galaxien liefert. Durch die Expansion des Weltalls wurde das Licht, das uns aus dieser frühen Zeit erreicht, inzwischen ins Infrarote verschoben. Außerdem sollen die bereits laufenden Untersuchungen extrasolarer Planeten sowie massereicher Schwarzer Löcher in neuer Qualität fortgesetzt werden.
Das Superauge: Herausforderung an die Ingenieure
James Webb könnte mit konventionellen Elementen weder realisiert noch finanziert werden. Seine Masse würde die Kapazitäten der stärksten Trägersysteme weit übertreffen. Deshalb sind für den Bau des neuen Superauges vollkommen neuartige Technologien erforderlich.
So wird der Hauptspiegel aus 18 hexagonalen Segmenten aus superleichtem sowie stabilem Beryllium bestehen, die erst nach dem Transport in den Weltraum entfaltet werden, um sich dann zusammen zu dem gewaltigen Spiegel zu formen. Dieses Spiegelsystem soll regelmäßig automatisch justiert und gewartet werden. Jedes Segment kann aber auch in einem automatischen Regelprozess oder von der Erde aus als Ganzes oder in Teilbereichen seiner Krümmung justiert werden. An entsprechenden zuverlässigen Verfahren wird gegenwärtig gearbeitet.
Ein weiteres Problem stellt die langfristige Kühlung der Infrarotinstrumente dar. Diese müssen nahe am absoluten Nullpunkt arbeiten, damit die aufgefangene kühle Infrarotstrahlung nicht durch das Rauschen der Wärmestrahlung überlagert wird. Da jedoch eine Lebensdauer von mindestens fünf Jahren erwartet wird (Zielstellung sind zehn Jahre), kann nicht mit flüssigem Helium oder einem anderen Kühlmedium gearbeitet werden, dass bereits nach ein bis zwei Jahren verbraucht ist. Die Ingenieure haben sich deshalb die so genannte passive Kühlung einfallen lassen. Sie umfasst zwei Elemente, einen riesigen Sonnenschirm und eine spezielle Flugbahn im Weltall.
Die Sonnenschutzfolie besteht aus einem hochisolierenden fünflagigem Material. Das 22 x 10 m große Gebilde wird ständig nach der Sonne ausgerichtet, so dass deren Strahlung sowie der Lichteinfall von Sonne und Mond vor dem empfindlichen Teleskop abgeschirmt werden. Die Isolation des Schirmes ist so effektiv, dass die Forschungsnutzlasten nur Temperaturen von 30 bis 50 Kelvin erreichen. Wie der Spiegel, so wird auch die Schutzfolie erst im Weltraum entfaltet.
Exotischer Standort im Universum
Zu einer geringeren Wärmebelastung trägt auch die ungewöhnliche Umlaufbahn um den so genannten Lagrange-Punkt L2 bei. Er befindet sich 1,5 Mill. Kilometer von der Erde entfernt außerhalb der Umlaufbahn der Erde um die Sonne. An diesem Punkt heben sich die Gravitationskräfte von Sonne und Erde annähernd auf, so dass ein Raumflugkörper in dessen Nähe mit wenigen Korrekturmanövern über lange Zeit eine stabile Flugbahn beibehält. Das James-Webb-Teleskop soll diesen „Punkt“ in einem sechsmonatigen kreisförmigen Orbit umrunden.
Diese seltsamen Punkte wurden von dem Mathematiker Lagrange im 19. Jahrhundert entdeckt. Er berechnete, dass es im Umfeld zweier sich anziehender großer Körper an definierten Orten genau fünf Punkte L1 bis L5 gibt, in denen sich die Anziehungskräfte aufheben. Diese Punkte können demzufolge in unserem Sonnensystem an einigen Stellen gefunden werden, beispielsweise beim System Sonne-Erde oder Sonne-Mars. Auch bei der Konstellation Erde-Mond lassen sich die Punkte berechnen. Praktisch genutzt wurde bisher jedoch nur der Punkt L1 des Systems Sonne-Erde, der sich auf einer Linie zwischen Sonne und Erde befindet. Ihn umkreist die nach wie vor aktive ESA-Sonnensonde SOHO.
Den Vorteilen einer solchen Flugbahn stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Das Hauptproblem besteht in der großen Entfernung zur Erde. Bemannte Servicemissionen, wie sie mehrfach zu Hubble unternommen wurden, sind zu James Webb nicht möglich. Das muss im Vorfeld durch einen größeren Aufwand in Entwicklung, Fertigung und Test des Gerätes kompensiert werden.
Starke europäische Beteiligung
Kern des innovativen James-Webb-Teleskopes bilden drei wissenschaftliche Instrumente:
- eine empfindliche Infrarot-Kamera NIRCam für den Spektralbereich des nahen infraroten Lichtes, die unter Verantwortung der NASA entwickelt wird,
- ein im nahen Infrarotbereich empfindlicher Spektrograph NIRSpec sowie
- MIRI, eine Kamera für den mittleren Infrarotbereich.
Die europäische Weltraumorganisation ESA entwickelt und baut den Infrarot-Spektrographen NIRSpec und liefert wichtige Komponenten für das Mid Infrared Instrument (MIRI).
Das 200 kg schwere NIRSpec-Gerät erfasst die Strahlung der entferntesten Sterne sowie Galaxien. Es kann gleichzeitig mehr als 100 Objekte beobachten. Die Sensoren werden bei einer Temperatur von 35 K (-238 °C) arbeiten. In einer derartigen Kälte sind spezielle Bauelemente erforderlich, wie formstabile Spiegel aus Siliziumcarbid. Die europäische Industrie beherrscht den Fertigungsprozess mit diesem Material seit Jahren perfekt. Für andere Komponenten wurden die Erfahrungen von früheren Missionen genutzt. So basiert der Filter- und Gitterbeugungsmechanismus, mit dem die einfallende Strahlung in ihre spektralen Bestandteile zerlegt wird, auf dem des ESA-Satelliten ISO.
Ende Juli beauftragte die ESA den europäischen Raumfahrtkonzern EADS Astrium als industriellen Hauptauftragnehmer zur Entwicklung und Fertigung des kompletten Systems.
Mehrere europäische Staaten werden die optischen Schlüsselkomponenten für die im mittleren Infrarot zwischen 5 und 27 µm Wellenlänge arbeitende MIRI-Kamera (Mid Infrared Instrument) entwickeln. Eine entsprechende Vereinbarung hat die ESA im Juni mit den Weltraumagenturen oder Ministerien von sieben Ländern unterzeichnet und damit die Weichen für die Realisierung der komplizierten Systeme gestellt. Dazu gehört von deutscher Seite das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), das die deutschen Aktivitäten koordiniert. So werden vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg wichtige Teile der optischen Ausrüstung kommen, die die eingehende Strahlung auf drei identische Detektorarrays (1024 x 1024 Zeilen) und einen Spektrographen lenkt.
Unter Federführung der ESA beteiligen sich Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Niederlande, Schweden, Schweiz und Spanien am Webb-Weltraumteleskop. Die ESA stellt hierfür 300 Mill. Euro bereit, davon 70 Mill. Euro allein für MIRI.
Die wissenschaftlichen Instrumente müssen 2009 an die NASA übergeben werden, die sie dann in das Teleskop integriert. Die Stunde der Wahrheit schlägt dann 2011, wenn das James-Web-Weltraumteleskop seine Arbeit aufnimmt. Korrekturen, wie einst beim Hubble-Teleskop, sind nämlich nicht mehr möglich.