Erdklima im Bann der Sonne?
Die Sonne scheint einen größeren Einfluss auf das irdische Wetter auszuüben, als die Meteorologen es bislang vermutet hatten. Offenbar hängen sowohl langfristige Klimaveränderungen als auch unser tägliches Wetter viel enger mit den Aktivitäten unseres Zentralgestirns zusammen. Wissenschaftler der Europäischen Raumfahrtagentur ESA arbeiten fieberhaft daran, diesen Zusammenhängen genauer auf die Spur zu kommen. Mit den Daten der ESA-Raumsonden SOHO, Cluster und Ulysses liegen nunmehr die langersehnten Informationen vor, um den Einfluss der Sonne auf das Erdklima aufdecken und die Phänomene erforschen zu können. Die ESA-Forschungsstudie ist zugleich ein erster Schritt zu einer neuen Art der Wettervorhersage – dem Weltraumwetter.
Neuer Forschungszweig: Das Weltraum-Wetter
Um das Wetter auf der Erde zu beeinflussen, muss sich das Verhalten unseres Zentralgestirns in bestimmten Bereichen verändern. Im Spektralbereich des sichtbaren Lichts erscheint die Sonne bemerkenswert stabil. Die Satellitendaten zeigen aber, dass sich in den für das menschliche Auge unsichtbaren Spektralbereichen teilweise dramatische Veränderungen sowie Schwankungen der Sonnenaktivität verbergen.
So emittiert beispielsweise unser Zentralgestirn den sogenannten Sonnenwind, einen beständigen Strom elektrisch geladener Teilchen, dessen Intensität variiert. Ebenso variiert die ultraviolette Strahlung.
Die Erfassung der Wechselwirkungen zwischen einer sich ändernden Sonnenaktivität und dem Magnetfeld unseres Heimatplaneten, untersucht die Wissenschaft unter dem Schlagwort „Weltraumwetter“.
Die solaren Schwankungen lassen sich durch permanente Veränderungen im Magnetfeld des Zentralgestirns erklären. Das magnetische Verhalten der Sonne unterliegt wiederkehrenden zyklischen Schwankungen. Ein derartiger Sonnenzyklus – zwischen einem Solarminimum und einem Solarmaximum – dauert etwa 11 Jahre.
Auf dem Zyklus-Höhepunkt, der im vergangenen Jahr erreicht worden ist, wird der Sonnenwind zu einem regelrechten Sonnensturm. Auf der Sonnenoberfläche ereignen sich dann gewaltige Eruptionen, die große Mengen energiereicher Partikel ins All schleudern. Die dabei freigesetzten Urgewalten entsprechen etwa einer Milliarde Megatonnen TNT (oder 66 Milliarden Hiroshima-Bomben). Durch diese Explosionen verändern sich auch die UV-Emissionen der Sonne.
ESA-Solarflotte auf Sonnenwacht
Die Sonnenarmada der ESA beobachtet diese Phänomene sehr sorgfältig und von verschiedenen Punkten im All aus. Als Dauerbegleiter unseres Gestirns überwacht das europäisch-amerikanische Sonnenobservatorium SOHO die Aktivitäten der Sonne. Im erdnahen Weltraum erfasst das ESA-Satellitenquartett Cluster dieses Zusammenspiel von Sonnenwind und Erdmagnetosphäre. Die Sonnensonde Ulysses schließlich patrouilliert auf einer polaren Umlaufbahn um unser Zentralgestirn. Diese Umlaufbahn, die fast senkrecht zur Äquatorebene der Sonne verläuft, erlaubt eine globalere Sichtweise in Natur und Eigenschaften des Sonnenwindes.
Das Datenmaterial der Sonnenwächter dient im Verbund mit meteorologischen und anderen Daten als unschätzbare Quelle an Informationen, um die Auswirkungen der Sonne auf unseren Heimatplaneten zu untersuchen.
„Die gesamten Daten werden archiviert und der Wissenschaft zugänglich gemacht“, so Alexi Glover, ein Mitarbeiter des Weltraumwetter-Teams im ESTEC, dem europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum der ESA in den Niederlanden.
Die am 2. Dezember 1995 gestartete Sonnensonde SOHO war eigentlich nur für einen dreijährigen Missionsbetrieb ausgelegt. „Wenn SOHO aber noch weitere vier bis fünf Jahre arbeitet, dann haben wir einen vollständigen Sonnenzyklus dokumentiert. Das wäre von unschätzbarem Wert.“
Kosmische Klimafaktoren
Im Wesentlichen erforschen die Wissenschaftler drei Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen Sonnenaktivität und der Wetter- und Klimaentwicklung auf der Erde erklären könnten.
Erstens haben die Intensitätsschwankungen der von der Sonne abgegebenen UV-Strahlung Folgen für die Ozonbildung in der Erdatmosphäre. Dies führt zu Veränderungen in der Ozonschicht und hat so Rückwirkungen für die globale Zirkulation der Luftmassen.
Zweitens verändern sich unter dem anbrandenden Sonnenwind die elektrischen Eigenschaften der äußeren Erdatmosphäre, was sich auch auf die unteren Schichten der Erdatmosphäre auswirkt.
Und Drittens ist die Erdatmosphäre während des Sonnenminimums verstärkt kosmischer Strahlung ausgesetzt. Die Teilchen des Sonnenwindes schirmen in solchen Phasen die Erde weniger gegen den Schauer der schwereren und äußerst energiereichen Partikel ab, die als kosmische Strahlung aus den interstellaren Tiefen auf unseren Planeten treffen.
Beeinflusst die Sonne das Erdklima?
Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieser vom Sonnenwind modulierte kosmische Partikelregen die Wolkenbildung in den untersten Schichten der Erdatmosphäre begünstigt. Noch weiß man kaum etwas über die Bedeutung, die den einzelnen Mechanismen jeweils zukommt. Auch ist nicht bekannt, ob es zwischen den Mechanismen Wechselwirkungen gibt. Aber jeder vorstellbare Zusammenhang soll genauestens unter die Lupe genommen werden.
Die ESA arbeitet derzeit an der Errichtung eines Netzes von Weltraumwetterdiensten, die Informationen zum Weltraumwetter bereitstellen sollen, um die herkömmlichen Wettervorhersagen zu ergänzen. Das vorgesehene Informationsangebot umfasst eine Weltraumwettervorhersage, eine Datenbank über Wetterereignisse im Weltraum sowie die rechnergestützte Modellierung relevanter physikalischer Prozesse.
„Wir haben soeben ein Announcement of Opportunity veröffentlicht, einen Aufruf an die wissenschaftliche Gemeinschaft, Vorschläge für einen solchen Weltraumwetterdienst einzureichen“, erklärt Glover. Möglicherweise kann die ESA eines Tages Wissenschaftlern, Industrie und Handel helfen, die Auswirkungen der Sonne auf unser tägliches Leben besser zu verstehen und sich diese zunutze machen zu können.