N° 50–2002: Artemis ein Jahr nach dem Start
12 July 2002
Eine Mission, die gerettet wird, eine Weltpremiere im All und ein Beweis der Fähigkeit europäischer Ingenieure, Lösungen für unerwartete Situationen zu finden: Mit diesen Worten läßt sich der Stand von Artemis ein Jahr nach seinem Start treffend zusammenfassen.
Ja, Artemis lebt, und langsam aber sicher nähert er sich dank seiner hierfür eigentlich nicht ausgelegten Ionentriebwerke seiner geplanten geostationären Einsatzposition. Durch die erfolgreiche erstmalige Verwendung einer Laserverbindung im Weltraum wurde außerdem eine neue Möglichkeit der Datenübertragung zwischen Satelliten nachgewiesen. Damit bestehen beste Chancen, daß der anfangs verloren geglaubte Satellit seine bahnbrechende Telekommunikationsaufgabe doch noch erfüllen kann.
Vor genau einem Jahr hat die Ariane5 wegen eines Funktionsfehlers in ihrer Oberstufe den ESA-Nachrichtensatelliten Artemis in einer zu niedrigen elliptischen Umlaufbahn ausgesetzt: Das Apogäum (größte Entfernung von der Erde) lag lediglich bei 17 487 km und damit weit entfernt von dem der anvisierten geostationären Übergangsbahn, d.h. 35 853 km. Ein Team von Spezialisten der ESA und der Industrie reagierte unverzüglich mit einer Reihe innovativer Steuermanöver, um den Satelliten zu retten. Unter Verwendung fast seines gesamten chemischen Treibstoffs konnte Artemis bereits wenige Tage nach dem Start der Umlaufbahn, die ihn durch die tödlichen Van Allen-Gürtel führte, entfliehen und unversehrt eine kreisförmige Umlaufbahn in 31 000 km Höhe erreichen.
Ein weiter Weg bis zur geostationären Umlaufbahn
Seither gingen die Rettungsbemühungen unter Verwendung der in redundanten Paaren an dem Satelliten angebrachten vier Ionentriebwerke unvermindert weiter. Diese neuartigen Triebwerke funktionieren nicht mit herkömmlichem chemischem Treibstoff, sondern mit ionisiertem Xenongas. Ursprünglich sollten sie lediglich dazu dienen, mit Impulsen senkrecht zur Bahnebene die Neigung des Satelliten zu regeln. Das Rettungsverfahren erfordert jedoch Impulse parallel zur Bahnebene, um den Satelliten auf seine Endbahn zu hieven. Ermöglicht wurde dies dadurch, daß der Satellit in der Bahnebene um 90° gegenüber seiner normalen Lage gedreht wurde.
Unter optimaler Nutzung der Flugkonfiguration des Satelliten wurden neue Strategien entwickelt, um nicht nur die Bahnhöhe anzuheben, sondern auch der natürlichen Erhöhung der Bahnneigung entgegenzuwirken. Um diese neuen Strategien umzusetzen, waren neue Bahn- und Lageregelungsverfahren, ein neues Stationsnetzwerk und neue Flugkontrollverfahren notwendig.
Das neue Verfahren zur Steuerung der Ionentriebwerke schließt völlig neue Regelmethoden, die noch nie auf einem Nachrichtensatelliten verwendet wurden, sowie neue Nahtstellenfunktionen zur Verarbeitung von Fernsteuerungs-, Telemetrie- und anderen Daten ein. Insgesamt mußten rund 20 % der ursprünglichen Satellitenkontrollsoftware umgeschrieben werden. Dank des umprogrammierbaren Bordkontrollkonzepts konnten diese Änderungen in Form von Software-Paketen per Datenaufwärtsverbindung zum Satelliten gefunkt werden - insgesamt 15 000 Wörter und damit die umfangreichste Neuprogrammierung von Flugsoftware, die je bei einem Nachrichtensatelliten vorgenommen wurde.
Ende Dezember 2001 war die Arbeit an der neuen Software abgeschlossen; für ihre Validierung wurde der Simulator des Satelliten als Prüfstand genutzt. Mit der Charakterisierung der vier Ionentriebwerke waren sämtliche Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen, worauf am 19. Februar dieses Jahres die Bahnanhebungsmanöver mit dem Ionenantriebssystem eingeleitet wurden.
Seit Beginn der Manöver mußten die Satellitenkontrolleure auf zahlreiche unvorhergesehene Situationen reagieren, da ein realistischer Test der neuen Strategie nur am Satelliten selbst möglich war. Anders als bei herkömmlichen Abnahmeprüfungen steht für die detailgetreue Erprobung dieses Szenarios kein Prüfstand zur Verfügung.
Dank der hohen Flexibilität und Redundanz des Systementwurfs konnte die Bahnanhebung bisher stetig fortgesetzt werden, wenn auch langsamer als theoretisch möglich. Am ersten Jahrestag seines Starts hatte Artemis mit dem bescheidenen Schub von nur 15 Millinewton seiner Ionentriebwerke bereits über 1500 km an Höhe gewonnen, durchschnittlich 15 km pro Tag.
Aus mehreren Gründen können zwei der vier Triebwerke (die auf dem Südpaneel) derzeit nicht benutzt werden. Das Manöver wird daher gegenwärtig mit einem einzigen Triebwerk auf dem Nordpaneel fortgesetzt. Unter zusätzlicher Drehung des Satelliten um seine Rollachse können jedoch weiterhin pro Tag rund 15 km an Höhe gewonnen werden. Bei einer Reststrecke von 3000 km wird es demnach noch etwa 200 Tage dauern, bis die geostationäre Umlaufbahn erreicht ist, was bedeutet, daß die Nutzlasten von Artemis Anfang 2003 ihren Betrieb aufnehmen können.
Nutzlasterprobung und Leistungsnachweis
Zwischen der Ankunft in der Parkbahn und dem Beginn der Bahnanhebungsmanöver vergingen mehrere Monate, die für Versuche mit den Nutzlasten zur Überprüfung ihrer Leistungen genutzt wurden.
Die Nutzlastversuche erstreckten sich über den Zeitraum November/Dezember 2001. Sie konnten nur alle fünf Tage durchgeführt werden, nämlich wenn der Strahl der für die Aufwärtsverbindung bestimmten Antenne auf Artemis die Teststation der ESA in Redu (Belgien) "ausleuchtete". Weitere Einschränkungen ergaben sich aus der Tatsache, daß einige Nutzlastfrequenzen nur benutzt werden können, wenn sich Artemis auf oder in der Nähe seiner nominalen Bahnposition befindet.
Dennoch wurden genügend Gelegenheiten gefunden, um den Nachweis zu erbringen, daß alle Nutzlasten (S-Band-, Ka-Band- und optische Datenrelaisnutzlast, Navigations- und L-Band-Mobilfunknutzlast) einwandfrei arbeiten und ihre Leistungen den Testergebnissen vor dem Start entsprechen, d.h. die Spezifikationen voll erfüllen.
Nachgewiesen wurde auch, daß das im geschlossenen Regelkreis arbeitende System zur Nachführung der Ka-Band-Antenne für Satellit-zu-Satellit-Verbindungen plangemäß funktioniert. Die Antenne erfaßte ein von der Station in Redu ausgesandtes Signal und hielt die Verbindung automatisch aufrecht, während Artemis langsam über den Himmel driftete.
Am spektakulärsten war die Demonstration des SILEX-Betriebs. Nach einer erfolgreichen anfänglichen Erprobung der Nutzlast unter Verwendung der optischen Bodenstation der ESA auf Teneriffa wurde die optische Verbindung zwischen Artemis und SPOT-4 hergestellt. Am 30. November 2001 gelang die Weltpremiere: Die Bilddaten eines niedrig fliegenden Satelliten wurden über einen Laserstrahl zu einem (fast) geostationären Satelliten übertragen und von diesem zum Datenverarbeitungszentrum in Toulouse weitergeleitet.
Insgesamt wurden 26 Versuche zum Aufbau der optischen Verbindung unternommen, die alle erfolgreich verliefen. In keinem Fall brach die Verbindung vor dem geplanten Zeitpunkt ab. Die Qualität der Verbindung war mit einer gemessenen Bitfehlerrate von 10-9 nahezu vollkommen: Diese Zahl bedeutet, daß von 1 000 000 000 übertragenen Bits höchstens 1 Bit fehlerhaft empfangen wird.
Ausblick
Der Anflug zur geostationären Position dauert länger als erwartet - aus mehreren Gründen, die oben erläutert wurden. Nach der jetzigen Planung soll Artemis Anfang 2003 seine Zielposition erreichen. Danach sollen seine Nutzlasten wie folgt eingesetzt werden:
·Eutelsat wird die L-Band-Nutzlast kommerziell nutzen;
·EGNOS, das Europäische Globale Navigations-Überlagerungssystem, wird die Navigationsnutzlast operationell einsetzen;
·Spotimage wird von der optischen SILEX-Nutzlast täglich bei mindestens fünf Durchgängen Gebrauch machen;
·Envisat wird die Ka-Band-Datenrelaisnutzlast täglich während mindestens 10 Umläufen in Anspruch nehmen.
Artemis hat sich bisher als sehr robuster Satellit erwiesen. Viele seiner Untersysteme mußten - und konnten - außerhalb ihres Auslegungsbereichs und sogar in Betriebsarten eingesetzt werden, an die vor dem Start niemand gedacht hatte. Dies war nur möglich dank des enormen Engagements der an der Rettung von Artemis beteiligten Industrieteams: Alenia Spazio als Hauptauftragnehmer, das Konsortium Altel (Alenia Spazio-Telespazio) als Betreiber des Satelliten und die Firma Astrium, die für den Betrieb des Ionenantriebssystems und die Bahn- und Lageregelung des Satelliten verantwortlich ist.
Nähere Auskunft erteilen:
Gotthard Oppenhäuser
Artemis-Projektleiter
ESA/ESTEC
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Fax: 00 31 71 565 4093
E-Mail: gotthard.oppenhauser@esa.int
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Gotthard Oppenhäuser, ESA, Artemis Projektleiter
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