N° 33–2016: Auftrag ausgeführt – Rosettas Mission endet mit einem gewagten Kollisionsflug
30 September 2016
Die ESA-Sonde Rosetta hat ihre historische Mission nach mehr als zweijähriger Beobachtungstätigkeit mit einem kontrollierten Aufprall auf ihrem Kometen planmäßig abgeschlossen.
Der durch den Aufschlag bedingte Verlust des Rosetta-Signals wurde vom ESA-Bodenkontrollzentrum in Darmstadt um 13.19 Uhr MESZ festgestellt. Damit ist die Mission definitiv zu Ende.
Ihr letztes Manöver, mit dem sich die Sonde aus einer Höhe von 19 km auf Kollisionskurs mit dem Kometen begab, führte sie gestern Abend um 22.50 MESZ durch. Ziel war eine Ma’at genannte Region mit aktiven Trichtern auf dem kleineren „Kopfende“ des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko.
Während der Anflugphase hatte Rosetta noch einmal die Gelegenheit, die Gas-, Staub- und Plasmaumgebung des Kometen aus nächster Nähe zu seiner Oberfläche zu beobachten und Aufnahmen in sehr hoher Auflösung zu machen.
Die Kometentrichter sind von besonderem Interesse, da sie bei der Kometenaktivität eine wichtige Rolle spielen und einen einzigartigen Einblick in das Innere dieser Himmelskörper bieten.
Die während des Flugs zu dieser faszinierenden Region gesammelten Daten konnten vor Rosettas Aufprall zur Erde gesendet werden. Die Funkverbindung zur Sonde ist nun endgültig abgebrochen.
„Rosetta hat ein weiteres Mal Geschichte geschrieben“, erklärte ESA-Generaldirektor Johann-Dietrich Wörner. „Wir feiern heute die Erfolge einer revolutionären Mission, die unsere Erwartungen und Hoffnungen bei weitem übertroffen hat und die gleichzeitig in einer Reihe mit den vergangenen Pionierleistungen der ESA in der Kometenforschung steht.“
„Wir haben es enormen, jahrzehntelangen Anstrengungen auf internationaler Ebene zu verdanken, dass wir diese Mission mit einem wissenschaftlichen Labor von Weltklasse auf seine Reise zu einem Kometen schicken konnten, um dessen Entwicklung über einen längeren Zeitraum hin zu beobachten – etwas, was bisher bei keiner anderen Kometenmission versucht worden war, fügte Alvaro Giménez, ESA-Direktor für Wissenschaft hinzu. „Rosetta war bereits auf dem Reißbrett, bevor die erste interplanetare ESA-Sonde Giotto 1986 bei ihrem Vorbeiflug am Halleyschen Kometen die erste Aufnahme eines Kometenkerns machen konnte. Viele waren über ihre gesamte berufliche Laufbahn hin in diese Mission involviert und auch die mit ihr gesammelten Daten werden Wissenschaftlergenerationen die kommenden Jahrzehnte über beschäftigen.“
„Die großartige Reise von Rosetta und ihrem Landegerät Philae war nicht nur eine wissenschaftliche und technische Meisterleistung, sondern hat auch das Vorstellungsvermögen von Menschen auf der gesamten Welt weit über die Wissenschaftsszene hinaus beflügelt. Ich bin begeistert, dass so viele mitgemacht haben“, so Mark McCaughrean, leitender wissenschaftlicher Berater der ESA.
Rosetta hat seit ihrem Start 2004 sechsmal die Sonne umrundet und ist auf ihrer fast 8 Mrd. km langen Reise dreimal an der Erde, einmal am Mars und zweimal an Asteroiden vorbeigeflogen.
Während der sonnenfernsten Etappe wurde sie 31 Monate lang in einen Winterschlaf-Modus versetzt, bevor sie im Januar 2014 wieder geweckt wurde, um im August darauf endlich an ihrem Kometen anzukommen.
Nachdem Rosetta als erste Sonde in eine Umlaufbahn um einen Kometen eingebracht worden war und im November 2014 mit dem Aufsetzen des Landegeräts Philae eine weitere Premiere vollbracht hatte, widmete sie sich der Beobachtung der Veränderungen des Kometen, während dieser seinen sonnennächsten Punkt erreichte und sich anschließend wieder von der Sonne entfernte.
„Wir haben die Sonde 786 Tage lang in der unwirtlichen Umgebung des Kometen betrieben, mehrere gewagte nahe Vorbeiflüge an dessen Oberfläche durchgeführt, einige unerwartete Ausbrüche des Kometen überstanden und das Raumfahrzeug zweimal aus dem Notfallmodus wieder aktivieren können“, so der Rückblick von Missionsbetriebsleiter Sylvain Lodiot. „Unsere größte Herausforderung waren jedoch die Manöver in dieser Schlussphase, aber es ist ein durchaus passendes Finale, wenn Rosetta am Ende ihres faszinierenden Abenteuers dasselbe Schicksal ereilt wie Philae.“
Die Entscheidung, die Rosetta-Mission auf der Kometenoberfläche zu beenden, wurde deshalb getroffen, weil Sonde und Komet sich erneut über die Jupiter-Umlaufbahn hinaus begeben werden. In solchen von Rosetta bisher nicht erreichten Entfernungen von der Sonne könnte die Sonde kaum mehr die zum Missionsbetrieb nötige Energie erzeugen.
Ein weiteres Problem für die Missionsbetriebsingenieure war ein absehbarer monatelanger Zeitraum, in dem sich die Sonne nah an der Sichtlinie zwischen Erde und Rosetta befinden wird, so dass sich der Funkkontakt zum Raumfahrzeug immer schwieriger gestaltet hätte.
„Mit der Entscheidung zum Anflug auf die Kometenoberfläche – ein Manöver, was man wirklich nur einmal im Leben durchführt – haben wir den wissenschaftlichen Ertrag der Mission bis zum letzten auskosten können“, so Missionsleiter Patrick Martin. „Dieses Ende mag einen froh wie auch betrübt stimmen, aber letztendlich können wir nichts gegen die Himmelsmechanik unseres Sonnensystems ausrichten: Rosettas Schicksal ist bereits seit Langem besiegelt. Ihre herausragenden Errungenschaften aber werden für die Nachwelt erhalten bleiben und der kommenden Generation an jungen Wissenschaftlern und Ingenieuren überall auf der Welt zugutekommen.“
Heute ging lediglich die Betriebsphase der Mission zu Ende, ihre wissenschaftliche Auswertung hingegen wird sich noch über viele Jahre erstrecken.
Im Laufe der Mission wurden viele überraschende Entdeckungen gemacht, nicht zuletzt die seltsame Form des Kometen, die während der Anflugsphase von Rosetta im Juli und August 2014 zutage trat. Wissenschaftler sind heute der Ansicht, dass sich die beiden Gesteinskugeln des Kometen ursprünglich unabhängig voneinander gebildet und sich bei einer mit geringer Geschwindigkeit erfolgten Kollision in der Frühzeit des Sonnensystems miteinander verbunden haben.
Dank der längerfristigen Beobachtungen wurde auch die große Bedeutung der Form des Kometen erkannt, die dessen Jahreszeiten, die Staubbewegungen auf seiner Oberfläche und die Schwankungen der Dichte und Zusammensetzung seiner Koma, sozusagen der Atmosphäre, beeinflusst.
Die unerwartetsten und gleichzeitig wichtigsten Ergebnisse betreffen die dem Kometenkern entströmenden Gase, darunter die Entdeckung molekularen Sauerstoffs und Stickstoffs sowie von Wasser mit anderen Eigenschaften als das in unseren Ozeanen.
Insgesamt weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass sich der Komet in einer sehr kalten Region des protoplanetarischen Nebels gebildet haben muss, als sich das Sonnensystem vor 4,5 Mrd. Jahren noch in seiner Entstehungsphase befand.
Auch wenn es so aussieht, als ob Kometen vom Typ Tschuri nicht in dem wie bisher gedachten Maß zu dem Wasser auf der Erde beigetragen haben, enttäuschte Rosetta nicht im Hinblick auf eine weitere, bereits im Missionsvorfeld mit Spannung gestellte Frage, nämlich ob Kometen die für die Entstehung von Leben unabdingbaren Bausteine beigesteuert haben könnten: Die Sonde stellte in der Tat die Aminosäure Glyzin, einen Proteinbaustein, sowie Phosphor, einen zentralen Bestandteil der DNA und von Zellmembranen, fest und es wurden noch zahlreiche weitere organische Verbindungen, sowohl von Rosetta aus ihrer Umlaufbahn als auch von Philae direkt auf der Oberfläche, entdeckt.
Zum jetzigen Stand lässt sich aus den Ergebnissen von Rosetta schließen, dass es sich bei Kometen um uralte Überreste aus der Frühzeit der Entstehung des Sonnensystems handelt und nicht um Trümmerteile aus später erfolgten Kollisionen größerer Himmelskörper, womit sie uns einen beispiellosen Einblick in die Bausteine der Planeten geben, so wie sie vor 4,6 Mrd. Jahren ausgesehen haben mögen.
„So wie der für die Mission namensgebende Stein von Rosetta den Schlüssel für die Entzifferung antiker Sprache und Geschichte darstellte, wird die mit dieser Mission gewonnene Fülle an Daten uns ein neues Bild von der Entstehung von Kometen und des Sonnensystems bescheren“, so die Prophezeiung von Projektwissenschaftler Matt Taylor. „Damit stehend wir quasi zwangsläufig vor neuen Rätseln. Der Komet hat noch nicht alle seine Geheimnisse preisgegeben und dieses unermessliche Datenarchiv wartet sicher noch mit vielen versteckten Überraschungen auf. Bleiben Sie also dran, es geht gerade erst los!“
Hinweise für die Redaktionen
Rosetta war eine Mission der ESA, an der sich ihre Mitgliedstaaten und die NASA beteiligt haben. Das Landegerät Philae wurde von einem Konsortium unter Leitung von DLR, MPS, CNES und ASI bereitgestellt. Rosetta war die erste Mission überhaupt, die einen Kometen aus nächster Nähe umkreist und diesen auf seinem Flug um die Sonne begleitet hat. Weitere Pionierleistungen waren die Absetzung eines Landegeräts auf der Oberfläche des Kometen sowie der kontrollierte Aufprall der Sonde am Ende der Mission.
Kometen sind wie Zeitkapseln, die ursprüngliche Materie aus dem Zeitalter der Entstehung der Sonne und ihrer Planeten enthalten. Mit der Untersuchung von Gas, Staub, Aufbau des Kerns und anderem organischem Material des Kometen aus der Ferne und an dessen Oberfläche stellt die Rosetta-Mission einen Schlüssel zur Enthüllung der Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems dar.
Über die ESA
Die Europäische Weltraumorganisation (ESA), Europas Tor zum Weltraum, ist eine 1975 gegründete zwischenstaatliche Organisation, deren Aufgabe darin besteht, europäische Raumfahrtkapazitäten zu entwickeln und sicherzustellen, dass die Investitionen in die Raumfahrt den Bürgern in Europa und anderswo zugutekommen.
Die ESA hat 22 Mitgliedstaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und das Vereinigte Königreich. Davon sind 20 auch Mitgliedstaaten der EU.
Die ESA arbeitet förmlich mit sieben anderen EU-Mitgliedstaaten zusammen. Auch Kanada nimmt im Rahmen eines Kooperationsabkommens an bestimmten ESA-Programmen teil.
Dank der Koordinierung der Finanzressourcen und Kompetenzen ihrer Mitgliedstaaten kann die ESA Programme und Tätigkeiten durchführen, die weit über die Möglichkeiten eines einzelnen europäischen Landes hinausgehen. Des Weiteren arbeitet sie eng mit der EU zusammen, um die Programme Galileo und Copernicus zu verwirklichen.
Die ESA entwickelt Raumfahrzeugträger, Satelliten und Bodenanlagen, um sicherzustellen, dass Europa bei Raumfahrtvorhaben weltweit an der Spitze bleibt.
Sie entwickelt und startet Erdbeobachtungs-, Navigations-, Telekommunikations- und Astronomiesatelliten, schickt Raumsonden in entlegene Regionen des Sonnensystems und beteiligt sich an der bemannten Exploration des Weltraums.
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