Die fünf wichtigsten Geheimnisse, die Euclid lüften kann
Die ESA-Mission Euclid blickt in das Universum jenseits unserer Galaxie und versucht, die Geheimnisse des kosmischen Netzes zu entwirren und herauszufinden, wie unsichtbare dunkle Materie und exotische dunkle Energie die Struktur und den Verlauf des Kosmos beeinflussen.
Mit Euclid werden zwei Kernthemen des ESA-Programms Cosmic Vision behandelt: „Was sind die grundlegenden physikalischen Gesetze des Universums?“ und „Wie ist das Universum entstanden und woraus besteht es?“
Welche konkreten Geheimnisse wird Euclid also lüften?
1. Wie sieht die Struktur und Geschichte des kosmischen Netzes aus?
Die Materie im Universum ist in einem enormen Netzwerk von Strukturen angeordnet, die einem „kosmischen Netz“ ähneln. Dieses Netz besteht aus riesigen Ansammlungen von Galaxien, die durch Stränge aus Gas und unsichtbarer dunkler Materie miteinander verbunden sind. Dazwischen liegen riesige leere Regionen, die kosmischen Leerräume. Die Erforschung des kosmischen Netzes erweist sich als schwierig, da es derart groß ist, dass die kosmischen Leerräume Hunderte Millionen Lichtjahre umfassen.
Euclid wird eine umfangreiche Durchmusterung von mehr als einem Drittel des Himmels durchführen und dabei Informationen über die Formen, Größen und Positionen von Milliarden Galaxien gewinnen. Die Mission wirft einen tiefen Blick in den Himmel und schaut dabei zehn Milliarden Jahre kosmischer Geschichte zurück. Je weiter ein Stern nämlich von uns entfernt ist, desto länger hat sein Licht gebraucht, um bei uns anzukommen.
Durch die präzise Kartierung der Form und Verteilung einer riesigen Anzahl von Galaxien wird Euclid die Struktur und Geschichte des kosmischen Netzes offenbaren. Zwar ist die dunkle Materie für uns unsichtbar, aber ihre Anwesenheit verzerrt das Licht entfernter Galaxien. Diese Erscheinung wird als Gravitationslinseneffekt bezeichnet und kann von Euclid beobachtet werden. Dadurch wird deutlich, wie die dunkle Materie im Universum verteilt ist.
2. Was ist das Wesen der dunklen Materie?
Wir wissen trotz jahrzehntelanger Forschung immer noch nicht, was die fehlende Masse im Universum ausmacht, die sogenannte dunkle Materie. Bisher haben Vergleiche verschiedener kosmologischer Modelle mit Messungen die Hypothese gestützt, dass das meiste Dunkle aus „kalten“ Teilchen besteht, d.h. dass sie schwer sind und sich relativ langsam bewegen. Es könnte allerdings durchaus möglich sein, dass ein Teil der dunklen Materie aus leichten Teilchen besteht, die sich nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen, so genannte „heiße“ dunkle Materie. Es stellt sich also die Frage, wie viel – wenn überhaupt – von der dunklen Materie heiß ist.
Die heiße dunkle Materie könnte aus Geisterteilchen, sogenannten Neutrinos, bestehen, die nur sehr schwach mit anderer Materie interagieren. Zwar wurde ursprünglich angenommen, dass Neutrinos masselos sind, aber inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass sie eine sehr geringe Masse haben könnten.
Wir können die präzisen Messungen von Euclid über die kosmische Struktur nutzen, um die Gesamtmasse der Neutrinos in unserem Universum zu ermitteln und damit auch, wie viel der dunklen Materie sie ausmachen können. Da Neutrinos trotz ihrer Anziehungskraft sehr schnell sind, verlangsamen sie die Entstehung von Strukturen und verwischen sie.
Die aufregendste Entdeckung wäre vielleicht etwas, das wir nicht erwarten. Die einzigartigen Beobachtungen von Euclid im extragalaktischen Universum könnten die Existenz neuer, sich schnell bewegender Teilchenspezies offenbaren. Der Detektiv des dunklen Universums arbeitet an diesem Fall!
3. Wie hat sich die Expansion des Universums im Laufe der Zeit verändert?
Im Laufe der 1990er Jahre machten Kosmolog*innen die überraschende Entdeckung, dass sich das Universum schneller ausdehnt als früher. Das Universum dehnt sich seit seiner Entstehung im Urknall aus. Doch bis vor kurzem gingen die Wissenschaftler*innen davon aus, dass sich die Geschwindigkeit, mit der es sich ausdehnt, mit der Zeit verlangsamen würde, da die Schwerkraft der gesamten Materie im Universum der Ausdehnung entgegenwirkt. Das Verständnis der beschleunigten Expansion bleibt eine der größten Herausforderungen der Kosmologie und der Grundlagenphysik.
Der Nachweis für die sich ändernde Expansionsgeschwindigkeit basiert auf den Unterschieden in der beobachteten Helligkeit und Farbe von so genannten „Standardkerzen“ – dabei handelt es sich um astronomische Objekte mit einer bekannten und konstanten Leuchtkraft. Weiter entfernte Objekte wirken auf uns dunkler, während die Ausdehnung der Raumzeit die Wellenlänge des Lichts auf dem Weg zu uns verlängert – ein rötender Effekt, der Rotverschiebung genannt wird. Euclid wird auch die Rotverschiebung von Galaxien messen, die uns ihre Entfernung zu uns angibt.
Euclid wird mehr als ein Drittel des Himmels mit seinem Teleskop abtasten, das empfindlich genug ist, um Licht zu beobachten, das 10 Milliarden Jahre gebraucht hat, um zu uns zu gelangen. Dadurch wird gezeigt, wie sich die Expansionsgeschwindigkeit des Universums im Laufe der Zeit verändert hat.
Mit seiner Weitwinkelsicht wird Euclid auch untersuchen, ob die Expansion in alle Richtungen die gleiche ist. Sollte dies nicht der Fall sein, würde dies dem so genannten kosmologischen Prinzip widersprechen, das besagt, dass das Universum in einem ausreichend großen Maßstab in alle Richtungen (Isotropie) und von jedem Ort aus gleich aussieht (Homogenität). Diese Grundregel liegt fast allen in der Kosmologie verwendeten Modellen und Analysen zugrunde.
4. Was ist das Wesen der dunklen Energie?
Wir wollen zwar genau wissen, wie sich das Universum ausdehnt (und ausgedehnt hat), aber wir wollen auch wissen, was es antreibt. Kosmolog*innen haben diese unbekannte Komponente des Universums „dunkle Energie“ genannt. Niemand weiß, woraus sie besteht, oder ob sie überhaupt eine Form von Energie ist!
Die beste Arbeitshypothese wurde von Albert Einstein im Jahr 1917 aufgestellt. Er bezog die „kosmologische Konstante“ in seine Berechnungen ein, ein konstantes Energiefeld, das im gesamten Universum vorhanden ist. Sie ist eine spezifische Eigenschaft des Vakuums im Weltraum. Je größer also das Volumen des Weltraums ist, desto mehr „Vakuumenergie“ (dunkle Energie) ist vorhanden und desto größer sind ihre Auswirkungen.
Es gibt alternative Vorschläge. Die Beschleunigung könnte z.B. durch eine fünfte fundamentale Naturkraft erzeugt werden, die sich mit der Expansion des Universums weiterentwickelt. Anders als die kosmologische Konstante ist diese „Quintessenz“ dynamisch, zeitabhängig und nicht gleichmäßig im Raum verteilt.
Alle Erklärungen für die dunkle Energie beeinflussen geringfügig die Art und Weise, wie sich die Beschleunigung im Laufe der kosmischen Zeit verändert. Bisher konnte aber noch kein Experiment die Beschleunigung detailliert genug messen, um zwischen den möglichen Lösungen zu unterscheiden. Die extrem genauen und präzisen Messungen von Euclid werden dies jedoch ändern und hoffentlich die wahre Natur der dunklen Energie enthüllen.
5. Ist unser Verständnis der Schwerkraft vollständig?
Die Existenz der dunklen Materie und die beschleunigte Expansion des Universums lassen darauf schließen, dass wir etwas Wichtiges übersehen. Diese beiden überraschenden Entdeckungen haben eines gemeinsam: Sie haben mit der Schwerkraft zu tun. Die Schwerkraft hält Planeten, Sterne, Sonnensysteme und sogar Galaxien zusammen. Wir erleben sie täglich: Sie sorgt dafür, dass wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben und die Dinge eher nach unten als in eine andere Richtung fallen.
Die beste Theorie zur Beschreibung der Schwerkraft ist die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein. Sie besagt, dass die Schwerkraft keine Anziehungskraft im eigentlichen Sinne ist, sondern eher eine Folge der Krümmung der Raumzeit durch massive Objekte. Ein Objekt mit Masse verformt die Raumzeit ungefähr so, wie ein schwerer Ball eine Trampolinmatte nach unten drückt. Durch das Biegen der Trampolinmatte rollen leichtere Bälle, die auf dem Trampolin platziert werden, automatisch zur Mitte hin.
Die allgemeine Relativitätstheorie hat auch noch andere Folgen, z.B. die Existenz von schwarzen Löchern und Gravitationswellen, die Zeit vergeht für verschiedene Beobachter je nach ihrer relativen Geschwindigkeit und Beschleunigung sowie der Stärke der Anziehungskraft, die sie erfahren, schneller oder langsamer und auch die Wege des Lichts werden von der Gravitation beeinflusst.
Die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie haben sich immer wieder als richtig erwiesen. Aber die Relativitätstheorie wurde bisher noch nicht mit hoher Präzision über die großen Entfernungen und Zeiten getestet, die Euclid abdecken wird. So kann die Mission zeigen, ob die allgemeine Relativitätstheorie auf den größten Skalen scheitert. Sollte dies der Fall sein, müssen sich die Physiker*innen wieder an das Reißbrett setzen.