Ins Bett für die Weltraummedizin
Bettruhe ist in. Zumindest unter Weltraummedizinern. In Berlin laufen derzeit die letzten Vorbereitungen für die BedRest-Studie, die Mitte Februar beginnt. Und in Toulouse wurden jetzt erste Ergebnisse der längsten und komplexesten europäischen Bettruhestudie vorgelegt, die 2001 und 2002 stattfand. Die Studie wurde von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Zusammenarbeit mit den Agenturen Frankreichs (CNES) und Japans (NASDA) im französischen Institut für Weltraummedizin (MEDES) in Toulouse durchgeführt.
Wie wirkt sich – in Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer im Kosmos – Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus aus? Das ist die entscheidende Frage. Sie zu beantworten ist unter terrestrischen Gravitationsbedingungen nicht ganz leicht. Mit einer Ausnahme: Das Bettruhemodell ist bestens geeignet, um jene schleichenden Veränderungen zu beobachten, wie sich Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper auswirken kann. Mit anderen Worten: Bettruhestudien stellen ideale Möglichkeiten dar, um kosmische Langzeitaufenthalte in der Schwerelosigkeit unter terrestrischen Schwerebedingungen zu simulieren.
Der wochenlange Aufenthalt im Bett hat in vielerlei Hinsicht nahezu dieselben physiologischen Folgen wie ein langer Weltraumflug. Ganz besonders gilt dies für die Veränderungen in der Muskulatur und in den Knochen. Hier zeigt sich bei Astronauten auf Langzeitmissionen und bei bettlägerigen Patienten dasselbe Phänomen: Durch mangelnde Beanspruchung der Muskulatur kommt es zu Muskelschwund. Und die biomechanische Unterforderung des Skeletts führt dann zu Knochenschwund. Das Hauptziel der Langzeit-Bettruhestudie in der Raumfahrtklinik in Toulouse bestand daher zum einen darin, die typischen Veränderungen in Muskeln und Knochen zu ermitteln, die bei langen Raumflügen auftreten. Zum anderen sollten Methoden getestet werden, mit denen man diesen Veränderungen begegnen kann.
Ein Vierteljahr in der Horizontalen
725 Männer zwischen 25 und 45 hatten sich beworben, um in Toulouse für die Zukunft der Raumfahrt das Bett zu hüten. Nach intensiven psychologischen und medizinischen Check-ups wurden schließlich 25 Testpersonen ausgewählt. Die Studie, an der mehr als 60 europäische und japanische Wissenschaftler beteiligt waren, bestand aus zwei viermonatigen Versuchskampagnen. Die erste Kampagne mit 14 Probanden lief von August bis Dezember 2001, die zweite mit 11 Probanden von März bis Juli 2002.
Den Testpersonen wurde strikte Bettruhe verordnet: 90 Tage lang mussten sie – weitgehend isoliert von der Außenwelt – permanent das Bett hüten. Dabei lagen die Füße etwas höher als der Kopf. Mit dieser Kopftieflage von -6° können bestimmte Effekte der Schwerelosigkeit noch besser simuliert werden, beispielsweise die Flüssigkeitsverteilung im Körper.
Trotz Bettruhe volles Programm
Die Studienteilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe trainierte – selbstverständlich liegend – mit einem neuen Fitnessgerät, dem so genannten Flywheel, das im Auftrag der ESA entwickelt wurde. Eine weitere Gruppe erhielt Medikamente (Biphosphonate), die den Abbau von Knochensubstanz aufhalten. Und eine Kontrollgruppe schließlich hütete einfach nur das Bett. So konnten die Wissenschaftler Vergleiche zwischen den Gruppen anstellen und die Wirksamkeit der Maßnahmen beurteilen.
Daneben erwartete die Versuchspersonen ein anspruchsvoller Untersuchungsmarathon: Neben Belastungstests, Knochendichtemessungen mittels moderner Computertomographie und Magnetresonanzaufnahmen standen Muskelbiopsien und umfangreiche biochemische Analysen auf dem Programm.
Erste Ergebnisse
Wie die ersten Ergebnisse der Langzeit-Bettruhestudie belegen, haben die Testpersonen insgesamt an Muskel- und Knochenmasse verloren. Bei der medikamentös behandelten Gruppe war ein geringerer Knochenschwund zu beobachten. Mit dem Flywheel-Fitnessgerät wurden beim Muskeltraining bemerkenswerte Erfolge erzielt: Diejenigen, die nur zwei bis drei Mal wöchentlich wenige Minuten trainiert hatten, verfügten nach dreimonatiger Bettruhe noch über 90 Prozent ihrer Sprungkraft. Die Probanden der anderen beiden Gruppen hingegen hatten mehr als 70 Prozent ihrer Sprungkraft verloren. Einen Knochenabbau konnte aber auch das Flywheel-Training nicht unterbinden.
Ein Resultat hat die Wissenschaftler überrascht: Bei einigen Versuchspersonen war unabhängig von der Behandlungsmethode kein Knochenschwund zu beobachten. Offenbar ist Bettruhe nicht zwangsläufig mit Knochenabbau verbunden, ein Ergebnis, das auch mit Blick auf die Behandlung bettlägeriger Patienten auf der Erde interessant ist.
Fortsetzung folgt
Die anstehende Berliner BedRest-Studie soll nun unter anderem klären helfen, weshalb manche Menschen Knochenmasse verlieren und andere nicht. Außerdem soll ein neues Trainingsgerät auf seine Tauglichkeit für den Einsatz im Weltraum überprüft werden, das möglicherweise auch dem Knochenschwund besser entgegenwirkt. Die Studie wird im Auftrag der ESA vom Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) am Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin durchgeführt. Bereits am 14. Februar sollen dort die ersten „terrestrischen Astronauten“ ihren achtwöchigen Dienst in den Betten der Versuchsstation antreten.