10 Jahre ERS 2: Ein Oldie im besten Alter
1991 begann die ESA mit ERS 1 ein höchst erfolgreiches globales Erderkundungsprogramm, dem 1995 der weltbeste Ozonwächter ERS 2 folgte. 10 Jahre nach seinem Start ist ERS 2 noch immer ungebändigt aktiv. Mehr noch: Die Spezialisten am ESOC in Darmstadt haben Techniken entwickelt, mit denen sie seine Lebensdauer erneut um weitere 2 bis 3 Jahre bis etwa 2009 verlängern können.
Als am 21. April 1995 vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou eine Ariane-Trägerrakete den ESA-Fernerkundungssatelliten ERS 2 in eine Bahn um unseren blauen Planeten beförderte, ahnten wohl die Wenigsten, welche Fähigkeiten der Hightech-Späher im Zusammenwirken mit zahlreichen Fachleuten auf der Erde einmal entwickeln würde.
Mit der an Bord befindlichen Radartechnik ist eine Allwetterfernerkundung der Erde möglich. Seine Radaraufnahmen bilden die Erdoberfläche unabhängig von Wolkenbedeckung und Tageszeit ab. Damit ist nicht nur jede Aufnahme nutzbar, sie kann darüber hinaus mit neuerem Datenmaterial ständig ergänzt werden. Diese hervorragende Vergleichbarkeit der Aufnahmen bildet die entscheidende Voraussetzung für das Erkennen von Prozessabläufen auf der Erde.
ERS 2 kann jedoch noch viel mehr. Der Satellit erfasst die Wassertemperatur an der Oberfläche, misst sowohl den Wasserdampfgehalt der Luft, als auch Wellenhöhe und -richtung sowie Windrichtung und -geschwindigkeit. Auf den ersten Blick ist ERS 2 eine Kopie seines Vorgängers ERS 1, der bis 1999 einwandfrei funktionierte. ERS 2 ist jedoch mit einem zusätzlichen Gerät ausgerüstet, mit denen der Ozongehalt der Atmosphäre gemessen und das Wachstum der Vegetation besser verfolgt werden kann.
ERS 2: Der weltbeste Ozonerkunder
Mit ERS 2 wurde ein neues Kapitel der Ozonüberwachung aufgeschlagen. Das Zauberwort heißt GOME - "Global Ozone Monitoring Experiment". Mit GOME wurde erstmals alle drei Tage eine komplette Ozonweltkarte erstellt, die – aneinandergereiht – im Zeitrafferfilm das dramatische Ausmaß des jährlichen Ozonlochs eindrucksvoll visualisiert. Dank spezieller Messverfahren können auch noch andere Spurengase sowie in den unteren Atmosphärenschichten Luftverschmutzung durch Aerosole und Kleinstpartikel aufgespürt werden.
Was unterscheidet GOME von bisherigen Instrumenten auf amerikanischen und russischen Satelliten, die im Winter "blind" waren? Der Clou ist ein neues Verfahren, wodurch die Messungen von Schwankungen der Sonnenintensität und der Empfindlichkeit der Detektoren von GOME unabhängig werden. GOME liefert daher eine um den Faktor drei bis fünf höhere Genauigkeit. GOME hat noch einen weiteren Vorteil: Das Spektrometer deckt mit 240 - 790 nm alle drei relevanten Absorptionsbanden von Ozon ab. Erst dadurch sind Messungen während fast aller Jahreszeiten und bei allen Breitengraden möglich.
Weltweite Nutzung der ERS-Daten
Ein Erderkundungssystem ist so gut wie seine Verfügbarkeit: Bisher sind mehrere Millionen ERS-Radaraufnahmen im Datenarchiv abrufbereit. Jeder beliebige Ausschnitt der Erdoberfläche kann mit unterschiedlichen Aufnahmezeitpunkten abgefordert werden. Die Nutzung der Daten hat die Erwartungen der weltweiten Nutzergemeinde bei weitem übertroffen und ist mit jährlichen Steigerungsraten von bis zu 20% auch weiterhin im Wachsen begriffen.
Die Nutzer kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Neben Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen, die ihre Daten kostenlos erhalten, wächst die Zahl der kommerziellen Nutzer von kleinen Hightech-Firmen bis hin zu Großunternehmen mit Milliardenumsätzen.
Aber auch die Daten des Radaraltimeters sowie des Windscatterometers fanden zunehmend in operationellen Anwendungen Eingang. Wetterämter sowie -firmen gingen dazu über, ERS-2-Daten in ihre numerischen Modelle einzubauen, denn kundenspezifische Wettervorhersagen sind heute zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden.
InSAR: Zaubertechnik für Geländemodelle
Im Zusammenwirken mit ERS 1 konnten ab 1995 vollkommen neuartige dreidimensionale Geländemodelle (DGM) erzeugt werden, ein damals revolutionäres Verfahren.
Liefern zweidimensionale Aufnahmen schon eine Fülle an Informationen, erschließen DGMs zahlreiche neue Anwendungen. InSAR, Interferometrisches Synthetic Aperture Radar, heißt das Zauberwort für die Herstellung derartiger Modelle. Dabei wird der Phasenunterschied von zwei Radaraufnahmen ausgewertet, die von leicht unterschiedlichen Positionen aufgenommen wurden. Leistungsfähige Computer generieren daraus beeindruckende Modell-Bilder.
Zunächst wurden derartige Geländemodelle aus zeitversetzten Aufnahmen von ERS 1 und ERS 2 gewonnen. Die Bahnmechaniker des Europäischen Satellitenkontrollzentrums ESA/ESOC in Darmstadt hatten nämlich die Flugbahnen der beiden Satelliten so ausgewählt, dass sie zeitversetzt dieselben Abschnitte der Erdoberfläche überflogen. Nach der Abschaltung von ERS 1 erzeugen Experten die beeindruckenden Aufnahmen aus der Kombination von Archivdaten mit aktuellen Bildern des Geburtstagskindes.
Solche Modelle sind nicht nur für die Forschung wichtig, sie haben auch sehr praktische Bedeutung. Aus ihnen können Fachleute beispielsweise seismische Bewegungen von Landmassen oder die Veränderungen an aktiven Vulkanen erkennen. Gerade diese Datensätze sind bei den Wissenschaftlern heiß begehrt. Ginge es nach ihnen, dann müsste ERS 2 noch jahrzehntelang zur Verfügung stehen.
ESOC-Spezialisten: Kreative lebensverlängernde Maßnahmen
Dass der Satellit heute noch so erfolgreich arbeitet, ist dem Erfindungsreichtum und Improvisationsvermögen von Spezialisten des ESOC und des europäischen Raumfahrtkonzerns EADS Astrium zu verdanken. Im Januar 2001 war nämlich auch das letzte der zur Stabilisierung des Satelliten notwendigen Kreiselgeräte ausgefallen.
Ein dreiachsenstabilisierter Raumflugkörper ist – in der Regel – mit drei Kreiseln ausgestattet. Die Kreisel, auch Gyroskope genannt, dienen als Referenzlagegeber und ermitteln so für jede Achse Lageveränderungen des Satelliten. Die Änderungen werden dann durch kleine Antriebe, Magnetspulen oder Schwungräder ausgeglichen. Gerade bei Satelliten, die präzise Aufnahmen von der Erdoberfläche gewinnen sollen, ist eine stabile Lage im Raum wichtig. Ohne funktionierende Kreisel wäre die Mission von ERS 2 deshalb eigentlich beendet.
Die Darmstädter Spezialisten haben zusammen mit Ingenieuren der Industrie fieberhaft nach einem Ausweg gesucht. Ihre Lösung: Mit Hilfe einer neuen Software und dem Erdhorizontsensor DES (Digital Earth Sensor) an Bord von ERS konnten sie die geforderte Genauigkeit von kleiner +/- 1 Grad pro Achse wieder gewährleisten.
DES ist eigentlich nur kurz nach dem Start von Nutzen, um über die Suche des Erdhorizonts den Satelliten in die richtige Anfangsposition bringen zu können. Am ESOC wurden die Daten von DES aber über die gesamte Betriebszeit von ERS 2 weiter verfolgt und so wussten die Experten, dass diese für wesentlich präzisere Aufgaben genutzt werden können. Damit war die Lageerfassung für zwei Achsen abgedeckt.
Blieb noch die Regelung der dritten, der Kippachse. Dazu war das Signal des SAR-Radars von Nutzen. Durch Dopplermessungen konnte die zentimetergenaue Entfernung zwischen der Radarantenne und der Bodenstation bzw. deren Veränderung ermittelt werden. Mittels einer speziell dafür geschriebenen Software liefern die beschriebenen Verfahren seitdem zuverlässige Messwerte. Die Erfolgsstory von ERS 2 kann somit weitergehen.
Für die Zukunft gerüstet
Im Juni 2003 erhielten die Techniker eine neue Hiobsbotschaft von ERS 2. Ein Datenrekorder war ausgefallen. Er sammelte die Informationen der Instrumente und übertrug sie zum Boden, wenn sich der Satellit in Funksichtweite einer ESA-Bodenstation befand.
Wieder war die Kreativität des ERS-Teams am ESOC gefragt. Ihre Lösung: Wenn man die Daten nicht speichern kann, müssen sie eben ständig zur Erde übertragen werden. Dafür sind zusätzliche Bodenstationen nötig. Und diese konnten unter der Flugbahn des Satelliten gefunden werden. So übernehmen jetzt Stationen in der Antarktis (NASA-McMurdo Ground Station), in Peking, Singapur, Kourou oder Miami den Empfang und die Weiterleitung nach Europa.
„ERS 2 ist noch lange nicht am Ende. Alle Instrumente arbeiten normal“, berichtet Projektmanager Wolfgang Langert und ergänzt begeistert: „An Bord befinden sich noch 200 kg Treibstoff. Daraus könnten noch einige Jahre Forschungsarbeit werden. Wir sind auf jeden Fall für die Zukunft gerüstet.“
Die ESA-Verantwortlichen sehen das auch so und planen den Weiterbetrieb von ERS 2 bis voraussichtlich 2008/09.