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Solar Orbiter
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Die Hitze ist die größte Herausforderung

08/01/2020 1868 views 13 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Im Februar 2020 startet die ESA-Sonde „Solar Orbiter“ ins All und soll die Sonne aus nächster Nähe betrachten, zum ersten Mal hochauflösende Bilder der Sonnenpole aufnehmen und unser Verständnis der Auswirkungen der Sonnenaktivität auf die Erde verbessern. Derzeit laufen im Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt Trainingsphasen für das Flugkontrollteam des Orbiters.

Flugdirektor Andrea Accomazzo
Flugdirektor Andrea Accomazzo

Seit dem Morgen hat das Team von Flugdirektor Andrea Accomazzo ein Problem. Der Satellit sendet kein regelmäßiges Funksignal mehr. „Alle zwei Stunden haben wir eine Unterbrechung der Verbindung“, sagt der ESA-Ingenieur. In dieser Zeit gelangen keine Daten mehr ins Kontrollzentrum. Zusammen mit seiner rund 30-köpfigen Mannschaft, die an diesem Tag Dienst hat, muss der 49-Jährige die Ursache dafür aufspüren. Bei der Besprechung im Briefing-Raum des Satellitenkontrollzentrums der ESA in Darmstadt diskutieren die Ingenieure, Physiker, Flugdynamik- und Software-Experten woran es liegen könnte, dass Solar Orbiter in dieser Zeit keine Signale mehr von sich gibt. Schnell wird klar: Nur eine der zwei Antennen des Satelliten funktioniert. Die andere ist ausgeschaltet. Schuld ist ein mechanischer Schalter, der offenbar blockiert ist. Da der Orbiter im All rotiert und mit ihm auch die Antenne, fällt alle zwei Stunden die Funkverbindung aus. Spacecraft Operations Manager Sylvain Lodiot hält die Anregungen der Kollegen und Kolleginnen auf einem Whiteboard fest. Eine Lösung ist bald gefunden. „Wir stoppen die Rotation und nutzen nur die noch funktionstüchtige Antenne“, erklärt Andrea Accomazzo.  

Monatelange Testläufe für die Solar Orbiter-Mission zur Sonne

Das Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt
Das Satellitenkontrollzentrum der ESA in Darmstadt

Zum Glück handelt es sich bei diesem Szenario nur um einen Testlauf, doch solch ein Zwischenfall könnte jederzeit auftreten. „So ein Schalter kann tatsächlich blockieren“, berichtet Accomazzo, der als Flugdirektor für die Mission verantwortlich ist. Seit September laufen die Simulationen für Solar Orbiter und das Team im ESA- Kontrollzentrum spielt alle Fehler und Notfälle durch, die nach dem Start der Rakete und in den kritischen ersten Tagen der Mission passieren könnten. An diesem Morgen ist es der Schalter und der Verbindungsausfall zum Kontrollzentrum, den die Simulations-Officer, die das Training entwerfen, als Problemfall in den Ablauf eingebaut haben. Welche Fehler auftreten und wo es schief gehen könnte, das weiß das Kontroll-Team vorher nicht. „Alles soll möglichst realistisch sein, um auf einen tatsächlichen Zwischenfall vorbereitet zu sein“, sagt Andrea Accomazzo.   

Solar Orbiter: ESA-Mission mit starter NASA-Beteiligung

Im Februar soll der Solar Orbiter von Cape Canaveral in Florida/USA aus, mit einer Atlas V Rakete in den Weltraum abheben. Ziel: Die Sonne. Solar Orbiter ist eine europäische Mission mit starker Beteiligung der US-amerikanischen Raumfahrtagentur NASA. Der Satellit, gebaut von Airbus Defence and Space in Stevenage, England, wird Daten liefern, die auch der 2018 gestarteten NASA-Mission „Parker Solar Probe“ zu gute kommen sollen. Von den sich ergänzenden Missionen erhoffen sich die Wissenschaftler tiefergehende Erkenntnisse über die Sonne, die physikalischen Eigenschaften der Sonnenwinde sowie ihre Auswirkungen auf das Weltraumwetter.

Solar Orbiter factsheet
Solar Orbiter factsheet

Ein weiteres Ziel von Solar Orbiter ist es, mehr über die Verbindung zwischen Sonne und Erde zu erfahren. Wir leben in einer riesigen, von der Sonne erzeugten Plasmablase, die das gesamte Sonnensystem umgibt. Darin erleben auch wir die Auswirkungen des Weltraumwetters. Solar Orbiter wird ein tieferes Verständnis dafür liefern, wie die Aktivität auf der Sonne mit den Sonnenstürmen verbunden ist, die elektrische Systeme, Satellitenkommunikation sowie Positionsbestimmungssysteme stören und höhere Strahlendosen für Polarflüge und Astronauten verursachen können.

"Solar Orbiter soll einige der grössten wissenschaftlichen Fragen über unseren Stern beantworten, und ihre Daten werden uns helfen, unseren Planeten besser vor den globalen Herausforderungen des Weltraumwetters zu schützen", betont Günther Hasinger, Direktor des ESA-Wissenschaftsprogramms.

Weltraumwetter-Effekte
Weltraumwetter-Effekte

Die schönen Seiten des Weltraumwetters kennt jeder: Polarlichter, die wie grünblaue Wellen über den Nachthimmel wogen. Physikalisch jedoch bedeuten sie, dass zuvor ein koronaler Massenauswurf stattgefunden hat. Das sind Sonneneruption, bei der Plasma in einer Größenordnung von mehreren zehn Milliarden Tonnen Masse in den Weltraum geschleudert wird. Diese hochaufgeladene Teilchenmischung wird wie ein Strom in den Weltraum geschleudert und lässt den sonst relativ konstant wehenden Sonnenwind zu regelrechten Stoßwellen anschwellen. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Magnetosphäre unseres Planeten und der Schutzschild der Erde wird dabei wie eine Seifenblase auseinandergezogen. Die elektrischen Teilchen, die dann in das Magnetfeld eintreten können, verändern die Ströme in der Magnetosphäre und Ionosphäre der Erde - es kann zu Blackouts, Schäden in Billionenhöhe und Satellitenausfällen kommen. Elektromagnetische Strahlung und magnetischen Stürme lassen Hochspannungsnetzwerke kollabieren, behindern die Bordelektronik in Flugzeugen, die Übertragung von TV- und Handyempfang, Telekommunikation und Navigationssysteme weltweit. 2003 legte ein magnetischer Sturm satellitengestützte GPS-Dienste in Deutschland lahm.

Der Solar Orbiter wird zwei Jahre lang unterwegs sein, um in seine operationelle Umlaufbahn um die Sonne zu gelangen. Der Satellit wird sich ihr auf bis zu 42 Millionen Kilometer Entfernung nähern. „Dort herrschen Temperaturen von über 500 Grad. Die Hitze ist die größte Herausforderung der Mission“, erklärt Andrea Accomazzo. Die Solarpaneele des Orbiters sind sehr empfindlich und auch die Instrumente – darunter Spektrometer und Magnetometer - müssen vor der enormen Wärme geschützt werden. Der Satellit ist deshalb mit einem Thermoschild ausgerüstet, hinter dem sich das fragile Innenleben verbirgt. Nur wenn die Instrumente aktiv sind, öffnen sich kleine Türen im Schutzschild. „Die richtige Ausrichtung des Satelliten ist daher extrem wichtig“, betont der ESA-Flugdirektor.

Die Simulationstrainings im ESOC dauern bis Januar 2020 an. Der Start in Cape Canaveral ist für den 8. Februar geplant. Solar Orbiter soll bis 2028 Daten sammeln.

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Solar Orbiter mit Blick auf die Sonne
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