Herschel und das Infrarot-Universum
Noch genießt das im April 1990 bei der Space Shuttle Mission STS 31 gestartete Hubble Space Telescope mit dem 2,4 Meter-Spiegel seine Stellung als Platzhirsch am Firmament. Doch seine Tage sind gezählt. Nach exakt 19 Jahren dürfte der Titel „größtes Weltraumteleskop“ an das mit einem 3,5 Meter Hauptspiegel ausgerüstete Herschel-Observatorium übergehen.
Genau genommen handelt es sich dabei jedoch um Teleskope, die in ihrer Einzigartigkeit nicht vergleichbar sind. Während Hubble den Weltraum überwiegend im sichtbaren Licht beobachtet, erfasst das nach dem Entdecker der Infrarotstrahlung, Wilhelm Herschel (1738 – 1822) benannte Teleskop Objekte im Infrarotbereich, die vom menschlichen Auge nicht wahrgenommen werden können. Sie sind also keine Konkurrenten zueinander, sondern ergänzen sich in geradezu idealer Weise. Vergleichen kann man nur innerhalb der gleichen Klasse. Und hier fällt der Sprung zugunsten der Europäer noch imposanter aus, denn das 2003 von der NASA gestartete bislang weltbeste Infrarot-Teleskop Spitzer verfügt „nur“ über einen 85-Zentimeter-Spiegel.
Mit Herschel kehren die Europäer in ihre führende Position zurück, denn ihr Newcomer tritt die Nachfolge des überaus erfolgreichen ESA-Astronomiesatelliten ISO (Infrared Space Observatory) an, der von 1995 bis 1998 eine Fülle wertvoller Daten lieferte. Herschel wird jedoch dank seines wesentlich größeren Teleskops mit den drei Hightech-Instrumenten erheblich leistungsfähiger sein. Dies sind ein hochauflösendes Spektrometer (HIFI), eine photometrische und spektroskopische Kamera (PACS) sowie eine weitere photometrische Kamera, die mit einem Spektrometer kombiniert wurde (SPIRE). Dahinter verbergen sich die größten Kameras für das ferne Infrarot. Hinzu kommt ein erweiterter Wellenlängenbereich im fernen Infrarot von 57 bis 670 Mikrometern, der Beobachtungen ermöglicht, die mit bisherigen Infrarot-Weltraumteleskopen nicht realisiert werden konnten. Aus diesem Grund erwarten die Astronomen eine Fülle neuer Entdeckungen.
Blick in die Kinderstube des Alls
Das noch junge Gebiet der Infrarotastronomie zeigt bereits eindrucksvoll, dass sich den Forschern im infraroten Spektralbereich ein gänzlich anderes Universum als im sichtbaren Licht eröffnet. Infrarotstrahlen durchdringen selbst Staub- und Gaswolken und bieten damit tiefe Einblicke in die Entstehungsprozesse von Sternen und ihren Planetensystemen, die sich ja im Innern riesiger Staubwolken vollziehen. Erst wenn ein junger Stern sich unter dem Einfluss der Schwerkraft so verdichtet, dass in seinem Innern Kernfusionsprozesse in Gang gesetzt werden, strahlt er auch sichtbares Licht aus. Bis dahin ist der Protostern jedoch noch sehr kalt und kann nur über seine Wärmestrahlung von wenigen Grad Kelvin wahrgenommen werden. Und für genau diese Strahlung interessieren sich die Astronomen, gibt sie doch detailliert Auskunft über das frühe Entwicklungsstadium und ermöglicht damit einen Blick in die Kinderstube der Sterne.
Ein weiteres Forschungsziel ist die Untersuchung von Galaxien aus dem jungen Universum, die sich Milliarden Lichtjahre von uns entfernt befinden. Sie sind nur kurze Zeit nach dem Urknall entstanden und sollen bis zu hundertmal mehr Sterne produziert haben als das in heutigen Galaxien der Fall ist. Diese Objekte sind nur im Bereich der Wärmestrahlung auszumachen, mit „normalen" Teleskopen bleiben sie unsichtbar. Neben den ersten Galaxien soll Herschel aber auch die extrem schwache Wärmestrahlung von kosmischem Staub in der Phase detektieren können, wenn dieser sich beginnt zu Sternen und Galaxien zu formen. Dass alle Beobachtungen eine bisher unerreichte Bildschärfe und spektrale Auflösung besitzen, versteht sich von selbst.
Herschel kann aber noch mehr. Mit hochauflösender Spektroskopie soll die Beschaffenheit von Kometen und Planetenatmosphären sowie von Oberflächen entfernter Planeten untersucht werden. Last but not least sei vermerkt, dass das ESA-Teleskop im Weltraum auch nach Wasser suchen wird, einem wesentlichen Element für die Entstehung von Leben.