Proben bis ins kleinste Detail
Die Testläufe für die BepiColombo-Mission zum Merkur haben begonnen. Im Europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt probt das rund 80-köpfige Flugkontrollteam in wochenlangen Simulationen den Normal-, vor allem aber auch den Störfall in der Start- und Frühen Orbit-Phase (LEOP) der Sonde.
Alles auf dem Prüfstand
Seit genau 44 Stunden, 45 Minuten und 5 Sekunden befindet sich das Team in der Simulationsphase. Die Zahlen flimmern hellgrün auf einer Leuchtanzeige im Hauptkontrollraum des ESOC. 14 Männer und Frauen aus dem BepiColombo-Team haben an diesem Junimorgen ihre Schicht angetreten, sitzen konzentriert vor Tabellen und Grafiken auf ihren Bildschirmen und Laptops. Ein großes Display an der Wand zeigt den Kontrollstatus für Antenne, Tracking, Uplinks oder Data Handling des Satelliten an. Seit Ende Mai probt das Merkur-Missionsteam die ersten Tage vom Start bis zum Ende der Launch and Early Orbit Phase (LEOP), der Start- und Frühen Orbit-Phase des Satelliten. Jetzt wird es ernst: Am 19. Oktober soll die Rakete mit ihrer wertvollen Fracht vom Weltraumbahnhof Kourou abheben und sich auf die sieben Jahre lange Reise zum Merkur machen.
Elsa Montagnon ist die Anspannung anzusehen. Die Französin, die Maschinenbau in Paris und München studiert hat, ist die Leiterin des Flugkontrollteams und überwacht die angelaufenen Simulationen. Seit 1999 arbeitet sie im ESOC und war auch an der spektakulären Kometen-Mission Rosetta beteiligt. Bereits seit elf Jahren bereitet sie als Spacecraft Operations Manager (SOM) die BepiColombo-Mission mit vor. Die interplanetare Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA kostet über eine Milliarde Euro. „Da wollen wir sicher sein, dass alles unter Kontrolle ist“, begründet die ESOC-Expertin die Testläufe und die akribisch sorgfältige Vorbereitung.
Einmaliger Missionsverlauf
Die Reise zum Merkur ist weltweit eine der anspruchsvollsten interplanetaren Missionen, die die ESA und die japanische Raumfahrtagentur JAXA gemeinsam bewältigen. BepiColombo besteht aus dem europäischen Mercury Planetary Orbiter (MPO), der die Oberfläche des Planeten erkunden soll, und dem JAXA Mercury Magnetospheric Oribiter (MMO), der die Magnetosphäre des Planeten erforscht. Beide Satelliten legen die lange Reise zum kleinsten Planeten unseres Sonnensystems zunächst gemeinsam mit einem speziellen Ionenantrieb zurück. Erst in der Umlaufbahn trennen sich die beiden autonomen Satelliten vom Transfermodul und müssen auf verschiedenen Höhen auf Kurs um den Planeten gebracht werden – ein bisher in dieser Form einmaliger Missionsverlauf. Der Merkur ist der sonnennächste Planet unseres Sonnensystems, auf seiner Oberfläche und Umgebung herrschen Temperaturen von 350 bis 450 Grad. Für die BepiColombo-Mission wurde eigens eine neue Schutzummantelung entwickelt. Wissenschaftler haben eine weiße Keramikbeschichtung entworfen, die dicker ist als bisher bekannte Satellitenfolien. Die Sonde heißt deshalb auch der “Weiße Satellit”.
Die kritischen ersten Stunden
Die ersten Stunden nach dem Start und die ersten drei Tage im All sind die kritischsten Momente einer Mission. Elsa Montagnon nennt das „die Schnittstelle zwischen Boden und Weltraum“. Da muss alles funktionieren. In Schichten von jeweils 12 Stunden übt das Team all diese Abläufe wie in Echtzeit - mit der gleichen Software wie sie auch auf dem Satelliten programmiert ist. „Wir durchlaufen alle Szenarien“, so die Französin. Die beginnen acht Stunden vor dem Start der Rakete, die den Satelliten ins All befördert, mit zahlreichen Datentests noch am Boden. Der Startvorgang selbst und die Trennung des Satelliten von der Trägerrakete werden simuliert, die Initialisierung der Sonde im All und die Kontaktaufnahme zum Kontrollraum. „40 Minuten nach dem Start müssen wir von der Sonde ein Signal erhalten“, erklärt Elsa Montagnon. Das Treibstoffsystem muss überprüft und es muss kontrolliert werden, ob sich die Sonnensegel richtig entfalten. „Diese Situation ist besonders heikel“, sagt sie. Erst wenn die Segel ausgebreitet und mit Hilfe eines kleinen Motors auch eingerastet sind, ist der Satellit autonom, stabil und sicher. Dann kann er sich selbst mit Solarenergie versorgen. Anschließend müssen die Sternenkameras zur selbstständigen Orientierung und die Schwungräder, die wichtig sind für die Steuerung, aktiviert werden.
„Nach acht Stunden sind wir dann im Normalmodus“, erklärt die Leiterin des Flugkontrollteams. Diese erste Schicht des Kontrollteams ist sehr dicht und konzentriert. Erst danach kann ein wenig aufgeatmet werden. Doch noch müssen auch die Antenne für die Kommunikation entfaltet sowie der Sicherheitsmodus für Notfälle und die Funktion der Satellitendüsen getestet werden. Nach drei Tagen ist die Start- und Frühe Orbit - Phase für BepiColombo abgeschlossen. Diese drei Tage übt das Kontrollteam bis ins letzte Detail - die Abläufe, die Entscheidungsprozesse und auch die Zusammenarbeit der Mannschaft, die aus bis zu 100 Experten in der Anfangszeit besteht. Alles muss sitzen.
Pannen proben
Die ersten Simulationen durchläuft das Team zunächst noch ohne Druck, doch dann heißt es: „Darmstadt, wir haben ein Problem“. Die Experten müssen mit Pleiten, Pech und Pannen fertig werden. „Wir sind aktuell in der Phase, wo nur noch Probleme in die Übungsläufe eingebaut werden“, berichtet Elsa Montagnon. Etwa Defekte an der Sonde, technische Pannen in den Bodenstationen oder der unverhoffte Ausfall von wichtigem Personal. „Es passiert alles, was man sich nur denken kann“, sagt sie. Es gibt sogar eigens einen Simulations-Officer, der sich all diese Schwierigkeiten für das Team und die Mission ausdenkt. Es geht darum, die Schwachstellen herauszufinden und zu analysieren, was das Team braucht. „Erst bei Pannen merkt man, was wichtig ist und was nicht“, so die Teamleiterin. Elsa Montagnons persönlicher Albtraum wäre, wenn die Sonnensegel nicht ausklappen. Solange die nicht funktionieren, läuft die Sonde auf Batterie und die hält nur rund zwei Stunden. „Da ist die Zeit sehr begrenzt.“ Aber dieses Schreckensszenario kann nicht durch eine einzelne Panne, sondern nur durch eine ganze Serie von Pannen ausgelöst werden. „Doch bis zu diesem Punkt der Anfangs-Phase werde ich nervös sein“, gibt sie zu.
Zeitdruck trainieren
Diesem zeitlichen, physischen und psychologischen Druck standzuhalten, auch das wird bei den Simulationen geübt. Das Training ist hart, „aber dadurch sind wir vorbereitet“, sagt die Leiterin des Flugkontrollteams. Dabei hilft auch das Ingenieurmodell, eine Kopie des Satelliten für Testzwecke, die seit März im ESOC aufgebaut wurde. Sie befindet sich in einem eigenen Reinraum im Kontrollzentrum in Darmstadt, der auf kühlen Temperaturen gehalten wird. Die Software, das Gehirn des Satelliten, ist auf Tischen und in Schränken ausgebreitet und verstaut. Hier werden auch realistische Bedingungen wie im All am Computer simuliert.
Bis August durchläuft die BepiColombo-Mission die Testläufe. Dann hat das Team erst einmal Sommerpause. „Das ist nötig“, sagt Elsa Montagnon, „das Tempo hält sonst keiner durch.“ Schließlich wollen alle topfit sein, wenn voraussichtlich am 19. Oktober der tatsächliche Countdown anläuft.