Weltraumhäuser auf der Erde
Ein von der ESA entworfenes Gebäude, in dem für die Raumfahrt entwickelte Technologien zum Einsatz kommen, könnte die Basis der neuen deutschen Polarstation Neumayer III werden. Die neue Station muss strengste Anforderungen erfüllen, die zum Schutz der antarktischen Umwelt gestellt wurden. Und hier kommt die Raumfahrttechnologie ins Spiel.
2001 wurde dem für Polar- und Meeresforschung zuständigen Alfred-Wegener Institut und der deutschen Polarstation ein erster Entwurf des SpaceHouse vorgeführt. Man beschloss daraufhin, gemeinsam mit der ESA ein konzeptuelles Design für ein Polargebäude auf Grundlage der im SpaceHouse verwendeten Technologien zu entwickeln. Das Ergebnis wurde letzten Monat bei der 28. Internationalen Antarktiskonferenz in Bremen vorgestellt.
SpaceHouse
Die Idee, ein SpaceHouse (also ein Weltraumhaus) für die Erde zu entwerfen, entstand vor fünf Jahren nach dem starken Erdbeben im türkischen Izmit 1999. “Wir fragten uns, ob bestimmte neue Technologien, die wir für den Einsatz im Weltraum entwickelt haben, nicht auch für vollkommen erdbebensichere Gebäude genutzt werden könnten", so Fritz Gampe, Senior Technology Transfer Officer des Technologietransfer-Programms (TTP) der ESA.
"Das ursprüngliche Ziel bestand darin, mit denselben ultraleichten kohlefaserverstärkten Plastikverbundstoffen, wie sie von der ESA an Bord ihrer Satelliten für große, selbsttragende Strukturen, Antennen und Solarpaneele zum Einsatz kommen, ein sich selbst tragendes, leichtgewichtiges, muschelartiges Gerüst zu konstruieren, das selbst schwersten Erdbeben standhält. Dieser Ansatz unterscheidet sich grundlegend von den vielen aktuellen Entwurfslösungen, bei welchen zum Schutz vor den einwirkenden Kräften auf immer größere Mengen von Stahl und Beton gesetzt wird."
Das Design, auf das sich die Techniker und Planer geeinigt haben, ist eine kugelförmige Struktur - eine der stabilsten, selbsttragenden Formen überhaupt. Das auf Stelzen stehende Haus ist von unter ihm stattfindenden Bewegungen isoliert. Es schwebt praktisch über der Erde. In seiner gegenwärtigen Form trotzt das SpaceHouse Schwingungen durch Erdbeben von bis zu 7 Grad auf der Richterskala, Windgeschwindigkeiten von bis zu 220 km/h und Überschwemmungen von bis zu 3 m. Dies sind Spezifikationen der Versicherungsindustrie für einen typisch europäischen Standort.
Das Gebäudedesign ist auf Autonomie ausgerichtet. Die Stromversorgung erfolgt über effiziente Sonnenenergie, das Wasser wird hausintern durch fortschrittliche Systeme gereinigt und wiederverwertet. Außerdem ist geplant, eine Anlage zum Abfangen von Krankheitserregern in einem Größenbereich von weniger als einem tausendstel Millimeter aus der Luft eingebaut werden. Eine Idee, die sich bisher noch auf dem Reißbrett befindet.
Dies sind die Faktoren, die das Konzept der ESA für die deutsche Polarstation interessant machen. Aus Umweltschutzgründen müssen Strukturen in der Antarktis nach dem Einsatz vollständig entfernt werden können und dürfen keine Umweltbelastung darstellen. Darüber hinaus müssen sie aber auch gegen die rauen klimatischen Bedingungen gefeit sein. Durch die Leichtbauweise wird das SpaceHouse selbst bei Niederschlagsmengen von 1 m Schnee pro Jahr nicht in das Eis absinken und kann nach Gebrauch relativ problemlos wieder beseitigt werden. Auch die übrigen Anforderungen an Gebäude in der Antarktis werden durch das SpaceHouse mehr als erfüllt.
Aus dem All in den Alltag
Die SpaceHouse-Technologie könnte sich auch für den europäischen Wohnungsbau als interessant erweisen.
"Der Bausektor ist einer der stärksten Wirtschaftsbereiche Europas. Er beschäftigt 28 % der Europäer und erbringt ein BIP-Volumen von nahezu 10 %. Es kann jedoch nicht behauptet werden, dass dieser Sektor zu den technisch innovativsten gehört, auch wenn in den letzten Jahren viele neue Werkstoffe und Verfahren eingesetzt wurden," so Fritz Gampe.
"Die Tatsache, dass das Leben in der feindseligen Umgebung von Weltraumhabitaten nur mithilfe von anspruchsvollsten Technologien möglich gemacht werden kann, bedeutet, dass sich hier auch eine wertvolle Quelle für Neuerungen des Bausektors auf der Erde auftut."
Man denke nur an Baustoffe wie ein für den Weltraum entwickeltes, hochwirksames Feuerschutzmaterial oder dünne Polymerlagen - eine metallbeschichtete Kunststofffolie, die sich zum Schutz vor Blitzeinschlag auf jeden Teil des SpaceHouse anwenden lässt.
Im Rahmen des Technologietransfer-Programms hat die Europäische Weltraumorganisation die für die Entwicklung eines ersten SpaceHouse-Konzepts und die für die Bereitstellung einer technologischen Grundlage erforderlichen Mittel investiert. Als Nächstes soll ein SpaceHouse-Prototyp zur Demonstration seines Nachhaltigkeitskonzeptes und des weiteren Marktpotentials hergestellt werden.
Pierre Brisson, Leiter des Technology Transfer and Promotion Office der ESA: “Viele unserer Raumfahrttechnologien haben bereits Anwendung als originelle Lösungen für Probleme auf der Erde gefunden. Neue Bedürfnisse im Bereich der nachhaltigen Entwicklung legen nahe, dass die Raumfahrttechnologien auch für den Bausektor interessante, rentable Lösungen hervorbringen könnten.”
Neumayer-III
Wenn alles nach Plan verläuft, wird Neumayer II bereits 2008 durch Neumayer III abgelöst. Im Juli kündigte Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn an, dass ihr Ministerium 26 Millionen Euro für den Bau der neuen deutschen Antarktisstation mit "modernsten umweltschonenden Werkstoffen, wie sie sonst nur in der Raumfahrttechnik eingesetzt werden" bereitstellt.
Jetzt, da die Mittel zur Verfügung stehen, wird eine unabhängige Gruppe ernannt, die für die Prüfung der Gebäudeanforderungen zuständig ist und entscheiden wird, ob das SpaceHouse-Konzept als Ausgangsbasis verwendet werden soll.