Weltraummedizin: Lektionen auch für Erdbewohner
Schwerelos im Weltraum zu schweben mag sich nach einem Traum anhören, doch bringt er gesundheitliche Risiken für Raumfahrer mit sich.
Diesen Monat geht es bei "Space" um Gesundheit: Wie Forschung auf der Internationalen Raumstation ISS uns nicht nur hilft, mehr über den menschlichen Körper zu erfahren, sondern auch neue Lösungen bei alltäglichen Problemen wie Rückenschmerzen zu finden.
Astronauten sehen Sonnenauf- und Untergänge 16 Mal am Tag, und über die Wochen und Monate im Weltraum verändert sich auch ihr Körper. Sie verlieren Muskel- und Knochenmasse und auch andere Aspekte ihrer Gesundheit sind betroffen. Ihre Arbeit steht ganz im Dienst der Wissenschaft.
Astronauten haben eine höhere Körperkerntemperatur
"Wir machen das nicht für den Ausblick oder wegen der Schönheit. Wir sind keine Touristen. Wir machen das für die Wissenschaft, die Technologie und natürlich für die Instandhaltung der Raumstation", sagt ESA-Astronaut Luca Parmitano.
An der Berliner Charité werden einige der Studien zur Gesundheit der Raumfahrer durchgeführt. Wissenschaftler haben diese Kopfsensoren zur Überwachung der Körperkerntemperatur der Astronauten entwickelt.
Hanns-Christian Gunga arbeit an der Charité im Bereich Weltraummedizin, er erzählt: "Wir wollten die Temperatur im Gehirn messen, weil das Gehirn das wichtigste Organ ist - nicht nur für Astronauten, sondern für jeden."
Das überraschende Ergebnis ist, dass Astronauten, die täglich trainieren, im All eine höhere Körperkerntemperatur als auf der Erde aufweisen. Warum das so ist, weiß man nicht. Aber es könnte sie beeinflussen:
"Das Gehirn ist sehr sensibel bei Temperaturveränderungen. Die Zeit, die Sie brauchen, um Dinge zu erkennen oder um kognitive Entscheidungen zu treffen - Sie brauchen länger dafür, wenn Sie eine höhere Temperatur haben", so Gunga.
Professor Gunga möchte diese Temperatursensoren auch für Untersuchungen auf der Erde nutzen, wie beispielsweise bei frisch operierten Patienten in Aufwachräumen oder bei Feuerwehrleuten.
"Wir benötigen nicht-invasive Ausrüstung, die einfach zu handhaben ist, wenig wiegt, robust ist und mit Batterien funktioniert. All diese Dinge werden im Weltraum für Astronauten entwickelt."
Lösungen für Rückenprobleme
Schwerelos im Weltraum zu fliegen mag sich nach einem Traum anhören, doch er bringt auch Probleme mit sich. Mehr als die Hälfte der Raumfahrer leidet an Rückenschmerzen, genau wie die Erdbevölkerung.
"Ich habe gefühlt, dass sich meine Wirbelsäule gedehnt hat, denn meine Muskeln haben sich ständig verkürzt. Ich hatte große Schmerzen im Rücken. Wenn man zurückkehrt, ist es genau umgekehrt. Nur die Muskeln im Rücken, die feinen Muskeln um die Wirbelsäule sind nicht so stark, denn es ist sehr schwierig, sie zu trainieren", sagt ESA-Astronaut Luca Parmitano.
Hier an der Universität der Northumbria in Nordengland arbeiten die Wissenschaftler an Lösungen für Rückenprobleme. Sie glauben, dass sie einen Weg gefunden haben, den Muskelapparat der Wirbelsäule mit einem umgebauten Übungsgerät zu stimulieren. Mithilfe von Ultraschall überwachen sie die aktiven Muskeln.
"Im Moment haben wir unsere Teilnehmerin Kirsty, sie trainiert mit unserem adaptierten Gerät. Damit soll die tieferliegende Muskulatur des Rückens gestärkt werden", sagt Andrew Winnard, Hochschullehrer für Biomechanik der Northumberland University.
Diese einfach erscheinende Bewegung von Hüfte, Beinen und Füßen ist tatsächlich sehr schwierig zu meistern, weil der Widerstandsmechanismus aus der Maschine genommen wurde.
Nick Caplan ist Professor für Raumfahrtmedizin und Rehabilitation an der Universität Northumbria, er erklärt: "Da es keinen Widerstand gegen die Bewegung gibt, die man auf einem normalen Crosstrainer hat, muss Kirsty tatsächlich gegen ihren eigenen Widerstand arbeiten ihn in den Beinen aufbauen. Während das vordere Bein wegen der Schwerkraft nach unten drückt, muss das hintere Bein der Bewegung des vorderen Beins Widerstand leisten."
Die Forscher wollen nun den ISS Astronauten eine ähnliche Maschine zum Testen zur Verfügung stellen: "All die Arbeit, die wir hier auf dem Gerät machen wird hoffentlich die Genesung von Patienten mit Schmerzen im unteren Rücken, die durch beispielsweise eine schlechte Haltung im Sitzen entstanden sind, ´beschleunigen."
"Telemedizin": Gesundheitsvorsorge auf Distanz
Seit zwei Jahrzehnten bietet die ISS den Astronauten ein zu Hause im Weltall. Innovationen folgten, darunter auch die sogenannte "Telemedizin": Gesundheitsvorsorge auf Distanz. Hier im technischen ESA-Zentrum in den Niederlanden zeigt Ingenieur Arnaud Runge einen Telemedizin-Prototyp, der es einem Arzt ermöglicht, das Ultraschallgerät der Raumstation von der Erde aus zu steuern.
Arnaud Runge ist Ingenieur für Biomedizin bei der ESA: "Die Idee ist, dass ein Astronaut dieses Werkzeug irgendwo auf seinem Körper setzt, auf eine Stelle, von der sie ein Bild wollen. Und der Arzt auf der Erde nutzt seinen Joystick um die Bewegung des Ultraschallgeräts zu kontrollieren und an die richtige Stelle zu bringen."
Die gesundheitsbezogene Forschung im All deckt eine Vielzahl von Bereichen ab, die von Kognitionsübungen bis hin zu neuen Arzneimitteln reichen. Die Astronauten sind dabei gleichzeitig freiwillige Patienten und wissenschaftliche Assistenten.
"Wir wissen, was sie essen, welche Übungen sie machen, wir kennen ihren Schlafrhythmus. Das heißt, wir haben eine kontrollierte Population ohne die verzerrenden Faktoren, die man üblicherweise auf der Erde findet", erklärt Nick Caplan.
Natürlich gibt es im Weltraum Besonderheiten - die gleichen, die auch die Knochen und Muskeln der Astronauten schwächen - sie sind ebenfalls verantwortlich für Veränderungen an ihren Zellen und Organen. Und sie sorgen für aufschlussreiche Experimente.
"Es gibt eine Sache, die man auf der Erde nie eliminieren kann. Das ist die Beschleunigung hin zur Erdmitte, die Schwerkraft. Im All können wir Wissenschaft machen, die diese spezielle Beschleunigung eliminiert. Auch wenn es diesselbe Forschung ist, die Ergebnisse werden immer anders ausfallen", sagt ESA-Astronaut Luca Parmitano.
Diese Ergebnisse geben uns Lektionen zur menschlichen Physiologie, Lektionen, die auch bei uns auf der Erde ankommen sollten.
"Die Technologien, die Astronauten bei Missionen zum Mars gesund erhalten, sind die Technologien, die unsere Kinder und Enkel nutzen können."
Menschen sind nicht für das Leben im Orbit geschaffen, aber dort leben zu lernen hilft uns, mehr über das Gesundbleiben auf der Erde zu erfahren.