Fit für die ISS – Astronautentraining am EAC in Köln
Wenn Astronauten wie Alexander Gerst oder am 3. Dezember seine Kollegen Oleg Kononenko aus Russland, die NASA-Astronautin Anne McClain und der Kanadier David Saint-Jacques zur Internationalen Raumstation aufbrechen, sind sie zuvor im Europäischen Astronautenzentrum (EAC) in Köln auf ihren Einsatz vorbereitet worden. Beim EAC trainieren sie, wie das europäische Columbus Modul auf der ISS und die wissenschaftlichen Experimente funktionieren. Auch das Bodenpersonal wird hier für sämtliche europäischen Komponenten geschult.
Nachbau auf der Erde
Die Bilder von Alexander Gerst, auf denen er in 400 Kilometer Höhe über der Erde vor dem Laptop schwebt oder an einem der Experimente im Columbus Modul der ISS arbeitet, wirken nahezu mühelos. Am Boden dagegen fühlt sich das Ganze weitaus enger und beschwerlicher an. „Knoten 2“ heißt das Modul, das in der großen Trainingshalle des Europäischen Astronautenzentrums (EAC) in Köln steht und im jeden Detail dem Original auf der Internationalen Raumstation entspricht. „Es ist aufgebaut wie ein Adapter“, sagt Rüdiger Seine und gibt eine kleine Führung: „Links befindet sich der japanische Teil der ISS, geradeaus docken Frachttransporter oder Kapseln an, rechts geht es in das Columbus Modul.“ Der Zugang zum Columbus Labor ist niedrig und für die Schwerelosigkeit konzipiert. Im Orbit schweben die Astronauten einfach hindurch, auf der Erde müssen Besucher den Kopf einziehen und hineinkrabbeln. Die weißen Wände des Moduls sind übersät mit einer Vielzahl an Knöpfen, Reglern, Kabeln, Tasten und Schaltern für den Aufbau der Experimente. Mehrere Laptops sind auf Schwenkarme montiert und unter dem Laborboden liegen Leitungen, Stromverteiler, Wasserpumpen und Klimaanlage. Alle europäischen Anteile der ISS, auch die Technik für die Experimente, sind in der Trainingshalle nachgebaut. „Die Astronauten lernen hier, wo sich alles befindet, wie es funktioniert und wie sie sich in Notfällen verhalten müssen“, erklärt Rüdiger Seine. Der 52-Jährige ist der Leiter der Astronauten-Ausbildung in Köln. Er sorgt dafür, dass alle Abläufe reibungslos von statten gehen.
Ausbildung und Betreuung
Das Europäische Astronautenzentrum (EAC) wurde 1990 in Köln-Wahn unweit des Flughafens gegründet. Das Team besteht aus rund 100 Mitarbeitern, darunter Personal der ESA, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der französischen und italienischen Weltraumagenturen CNES und ASI. Das Zentrum ist zuständig für die Schulung der europäischen und der internationalen Astronauten der Partner-Weltraumagenturen auf dem Columbus Modul und den europäischen Experimenten, den europäischen Komponenten der Internationalen Raumstation. Trainiert wird in Köln ebenso das Bodenpersonal und vor allem auch die Kommunikation und das Zusammenspiel zwischen der Raumstation und den Bodenkontrollteams der ISS-Partnerländer.
Das EAC ist ein Ankerpunkt in der europäischen bemannten Raumfahrt. „Egal ob Deutsche, Spanier, Franzosen oder Italiener - wir sind alle im europäischen Geist hier“, sagt Rüdiger Seine. In Köln werden die Männer und Frauen ausgewählt, die ESA-Astronauten werden wollen. Das EAC übernimmt die Ausbildung sowie Planung und Terminierung der Arbeiten und Einsätze der europäischen Raumfahrer. Das Team sorgt für ihre medizinische Betreuung sowie Überwachung und kümmert sich auch um die Angehörigen vor und während der Mission. Das EAC ist für Prof. Johann-Dietrich Wörner, den Generaldirektor der ESA, „der Ort in Europa, wo durch die Astronauten der verschiedenen Nationen die globale Kooperation auf der ISS sichtbar und auch erlebbar wird.“
Breites Basiswissen
2008 startet die ESA erstmals eine Ausschreibung für eine eigene Astronauten-Grundausbildung. „Vorher“, erzählt Rüdiger Seine, „erhielten unsere Raumfahrer das Grundlagentraining bei der NASA. Irgendwann haben wir uns aber gedacht: Das können wir selbst.“ 2009 begann der erste ESA-Jahrgang seine Grundausbildung. Wer in den Weltraum will, muss körperlich und geistig absolut fit sein, Stress aushalten können, ein naturwissenschaftliches, medizinisches oder technisches Studium abgeschlossen haben und mehrere Sprachen sprechen. In der Regel werden pro Ausschreibung, auf die sich tausende Bewerber melden, weniger als zehn Kandidaten angenommen. Wenigstens drei Jahre dauert das Training für den Weltraum. Die Ausbildung erfolgt in drei Phasen: Grundausbildung, Aufbauschulung und ein missionsspezifisches Training. „Wir vermitteln ein breites Basiswissen“, sagt Seine. Das reicht quer durch alle Bereiche der Natur-, Ingenieur- und Computerwissenschaften, damit die Astronauten-Schüler, die aus unterschiedlichen Berufsfeldern stammen, über das gleiche wissenschaftliche Wissen verfügen. Später kommen in Absprache mit den ISS-Partnern spezifische Raumfahrt- und ISS-Kenntnisse, astronautische Fähigkeiten und ein Sprachentraining dazu.
Russisch für den Notfall
„Englisch und Russisch-Kenntnisse sind Grundvoraussetzung“, sagt Rüdiger Seine. Ein halbes Jahr lang leben sechs Menschen auf der ISS auf engstem Raum zusammen. „Da ist es hilfreich, wenn man sich in der angeborenen Sprache verständigen kann. So lernt man auch die Lebens- und Denkweise besser kennen“, findet der 52-Jährige. Auf der ISS wird Englisch gesprochen, aber der Transport zur Raumstation erfolgt mit der russischen Sojus-Kapsel. „In Notfallsituationen läuft die Kommunikation mit der russischen Bodenkontrolle auf Russisch ab.“ Das haben unlängst der NASA-Astronaut Nick Hague und sein russischer Kollege Alexej Owtschinin erlebt, als sie nach einem Fehlstart der Sojus-Rakete mit der Rettungskapsel in der kasachischen Steppe notlanden mussten. „Ich bin sehr stolz auf das Notfallmanagement der russischen Kollegen“, sagt Seine. Dass so ein Unfall tödlich enden kann, hat er erleben müssen, als 2003 das Spaceshuttle „Columbia“ beim Wiedereintritt in die Atmosphäre wegen eines Lochs im Hitzeschild abstürzte und die sieben Astronauten ums Leben kamen. Seine, der studierter Biologe ist, hatte die Columbia-Kollegen damals für ein biologisches Experiment der ESA auf der ISS geschult. „Dass so eine Mission nicht ohne Risiko ist, wissen alle Astronauten. Wir versuchen aber, das Risiko zu minimieren“, sagt er. Ein Grund, warum die Raumfahrer im EAC immer wieder das Verhalten im Notfall trainieren.
Nach dem Fehlstart nur zu dritt auf der ISS
Der Fehlstart der Sojus-Rakete hatte Auswirkungen auf die Arbeit des EAC in Köln. „Wir mussten die Planung für die Arbeiten auf der ISS, aber auch für das Training der zukünftigen Besatzungen anpassen“, berichtet Rüdiger Seine. Am 3. Dezember brechen der Kanadier David Saint-Jacques, die NASA-Astronautin Anne McClain und der Kosmonaut Oleg Kononenko zur ISS auf. „Auf absehbare Zeit wird die ISS Besatzung nur aus drei Astronauten bestehen und somit können natürlich auch nur weniger Experimente durchgeführt werden als mit sechs Astronauten“, sagt er. Die Rückkehr von Alexander Gerst, dem derzeitigen deutschen Kommandanten auf der ISS, verzögert sich etwas. „Er wird aber nach gegenwärtiger Planung vor Weihnachten zuhause sein.“
Das Leben der Astronauten ist durchgeplant
Eine detaillierte Planung im All und auf der Erde ist überlebenswichtig. Rüdiger Seine zieht einen Ordner aus dem Regal, der die Ausbildung und Ausbildungsorte der Raumfahrer minutiös auflistet. Gelbe Balken stehen für den Aufenthalt in Russland, blaue für die Zeit in den USA, fliederfarbene bedeuten Japan, grüne markieren Europa und das EAC und der rote Balken den Start der Mission. Es gibt auch weiße Kästchen, die bedeuten Urlaub, aber das sind wenige. „Sobald feststehlt, wer auf welche Mission gehen wird, übernimmt das EAC die Lebensplanung des Astronauten“, sagt der 52-Jährige. Jeder Tag ist für die nächsten fast zwei Jahre durchgetaktet. An den jeweiligen Ausbildungsorten übernehmen die ISS-Partner das Training, doch das EAC leistet auch dort mit Büros oder Instruktoren vor Ort Hilfestellung. In Russland etwa werden die ESA-Astronauten für den Start mit der Sojus-Rakete im Sternenstädtchen „Swjosdny Gorodok“ geschult, wo sich das Juri-Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrum befindet. Dazu gehört auch ein Überlebenstraining in der Steppe. In den USA in Houston beispielsweise lernen sie in großen Tauchbecken den Außenbordeinsatz im Raumanzug.
Tauchen für die Schwerelosigkeit
Ein solches Tauchbecken gibt es auch in Köln. Hier üben die Astronauten die Bewegung in der Schwerelosigkeit, es dient aber auch zur Vorbereitung auf ihren USA-Einsatz. Gleich am Beckenrand stehen ein ISS-Modul und ein Taucheranzug ähnlich dem Astronauten-Anzug für die Weltraumspaziergänge. Das Modul wird per Krahn ins Wasser gelassen. In zehn Metern Tiefe üben die Raumfahrer den Weg in und aus der Luftschleuse, wie man sich an der Außenhülle mit Leinen sichert, das Werkzeug einsetzt oder einen Kollegen rettet, der Probleme hat. Gleichzeitig darf die Aufmerksamkeit für mögliche Gefahren von außen, etwa durch vagabundierende Weltraummüllteile, nicht aus dem Blick geraten. Und das alles in einem Anzug, der Widerstand bei jeder Bewegung leistet. „Danach fühlt man sich wie nach einem Marathonlauf“, sagt Rüdiger Seine.
Caves-Programm
Um ihre Astronauten gründlich auf das monatelange Leben im All auf engstem Raum vorzubereiten, trainieren die Ausbilder jedoch nicht nur technische Fertigkeiten, sondern auch den Umgang mit den Tücken des menschlichen Zusammenlebens. Im so genannten Caves-Programm verbringen die Raumfahrer mit Betreuern zusammen mehrere Tage in einer Höhle auf Sardinien. Der Ort ist der ISS manchmal nicht unähnlich. „Es ist dunkel, ungemütlich, es gibt keine Privatsphäre und das Essen schmeckt vielleicht nicht. Da brechen alle menschlichen Facetten hervor“, weiß Seine. In dem Training geht es um Interaktion, Gruppendynamik, Beziehungsarbeit und vor allem um Konfliktlösung.
Arbeitsplatz mit Aussicht
Jedes einzelne Trainingsmodul ist ein Härtefall für sich. Doch am schwersten, weiß der Leiter der Astronautenausbildung, ist der lange Zeitraum. „Die Astronauten sind zwei Jahre lang am Stück im Einsatz, fremdbestimmt und ohne wirkliche Gelegenheit, mal abzuschalten. Aber der Lohn sind dann sechs Monate an einem unvergleichlichen Arbeitsplatz mit hervorragender Aussicht auf die Erde“, betont er.
Auf diesen Lohn hofft auch Matthias Maurer, der seit 2015 zum Europäischen Astronauten-Korps gehört. Als Kind hat er Ulf Merbold, den zweiten deutschen Astronauten im All, auf dem Spaceshuttle gesehen und gehofft, einmal selbst in den Weltraum zu fliegen. Der 48-Jährige spricht sieben Sprachen, hat mehrere Diplome in Materialwissenschaften und Werkstofftechnik. „Doch was es braucht und bedeutet, ein Astronaut zu sein, das lernt man erst hier in der Ausbildung“, sagt er. Maurer hat tausende Trainingsstunden für die ISS schon hinter sich und leitet derzeit am EAC den Aufbau der LUNA-Trainingsanlage für die kommende Mond-Mission der ESA. „Das Berufsbild des Astronauten ändert sich“, sagt er. Vom wilden Kampfpiloten zum Wissenschaftler und künftig vielleicht, wenn es eine ESA-Basis auf dem Mond geben sollte, mehr hin zum Geologen oder Techniker für Radioteleskope. Auch darauf ist das Ausbildungsteam am EAC vorbereitet.