WAICO: Wie orientieren sich Pflanzen ohne Schwerkraft?
Diese Frage soll das Pflanzenwachstumsexperiment WAICO klären. Es ist von der ESA als erstes von vier Experimenten für das Biolab-Labor bestimmt worden. Samenkörner einer ausgewählten Pflanzenart werden zum Keimen gebracht. Anhand des Wachstums dieser Pflanzenkeimlinge lassen sich Rückschlüsse auf den Einfluss der Schwerkraft auf deren Orientierungsleistung ziehen. Es ist ein bislang ungelöstes Rätsel: Woher wissen die Pflanzen, in welche Richtung sie und ihre Wurzeln wachsen sollen? Sicher ist, dass in dem komplexen Wachstumsprozess neben dem Licht sowie dem Wasser- und Nährstoffangebot auch die Schwerkraft eine Rolle spielen muss.
Bekannt ist, dass die Pflanzen die Schwerkraft wahrnehmen und sie verarbeiten, indem ihre Organe in ganz bestimmte Richtungen wachsen: Die Wurzeln werden zum Erdmittelpunkt hin bewegt, die Sprosse vom Erdmittelpunkt weg. Die Wurzeln sind mit Zellen ausgestattet, die Gravitations-Rezeptoren enthalten, so genannte Statholiten. Wie verhalten sich diese Statholiten, wenn der Schwerkraft-Einfluss nachlässt, ja ganz aufhört? Eine Frage, die nur im Weltraum-Labor untersucht werden kann.
Wird die Schwerkraft über längere Zeiträume ganz oder teilweise eliminiert, lässt sich auch der Einfluss anderer Wachstumsfaktoren genauer untersuchen. Die Ergebnisse dieser Forschungen dienen der Züchtung neuer Pflanzensorten mit optimiertem Wachstum, könnten aber auch zur Entwicklung neuer Düngemittel führen. Darüber hinaus erbringen die Wachstumsexperimente im Erdorbit neue Erkenntnisse über den Anbau landwirtschaftlicher Kulturen im Weltraum, beispielsweise bei Langzeitreisen zu anderen Planeten.
Erstes Experiment im biologischen Forschungslabor Biolab
Fragestellungen zum Thema Gravitationsbiologie von Pflanzen werden im Biolab untersucht, dem biologischen Forschungslabor auf der ISS. Das in einem Geräteschrank untergebrachte Biolab enthält Einrichtungen für eine weitgehend automatisierte biologische Forschung mit Mikroorganismen, Gewebezellen, kleinen Pflanzen oder kleinen wirbellosen Tieren. Dazu gehören auch zwei Zentrifugen, mit denen Proben verschiedenen Schwerkrafteinflüssen ausgesetzt werden können. Sie reichen von der Mikrogravitation bis zur doppelten Erdanziehungskraft.
Den Auftakt biologischer Forschungsexperimente im Biolab bildet das aus Deutschland kommende Experiment WAICO. Wissenschaftler vom Institut Zierpflanzen- und Gehölzwissenschaften der Leibniz Universität Hannover wollen mit WAICO – Waving and Coiling Response of Arabidopsis Roots at Different g-levels – das Wachstumsverhalten der Wurzeln einer bestimmten Pflanze untersuchen.
Als Testobjekt wurde die kleinwüchsige Blütenpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) ausgewählt. Aufgrund ihrer Vorteile – eine einfache Anzucht auf begrenztem Raum sowie ein kurzer, ungefähr 6-wöchiger Lebenszyklus von der Aussaat bis zur Samenreife – wurde Arabidopsis zum Modellorganismus für Grundlagenforscher.
Ein Mini-Gewächshaus im All
WAICO funktioniert wie ein kleines Gewächshaus. Es wird rund um die Uhr von Kameras beobachtet, die ihre Bilder in Echtzeit zum Columbus-Kontrollzentrum nach Oberpfaffenhofen übertragen, von wo aus sie an die einzelnen Versuchsleiter verteilt werden. Die Forscher auf der Erde können in den Verlauf der Experimente im Biolab per Fernsteuerung eingreifen.
Entwicklung, Bau und Test der Hardware für das WAICO-Experiment, einschließlich des Lebenserhaltungssystems, hat das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB-System AG übernommen. Dabei waren zum Teil extreme Herausforderungen zu bewältigen: „Wir mussten Ventile und Pumpen aus der Mikrosystemtechnik einsetzen, um geringste Flüssigkeitsmengen für die Versuchscontainer genau dosieren zu können.“ berichtet Dr. Klaus Slenzka, Leiter des WAICO-Projekts bei OHB.
Mit WAICO „Karussell fahren“ im Weltraum
Am 29. Februar wurde WAICO durch den französischen ESA-Astronauten Léopold Eyharts in Betrieb genommen. Dabei beschränkte sich die Aufgabe des Astronauten im Wesentlichen darauf, die 16 mit Nährmedium gefüllten Experimentcontainer mit Samen der Ackerschmalwand-Pflanze zu bestücken und diese auf Zentrifugen im Biolab-Inkubator zu platzieren. Dieser stellt die atmosphärischen Lebensbedingungen mittels eines Lebenserhaltungssystems für die Organismen bereit. Dabei werden die Luftfeuchtigkeit und der Gehalt von Gasen wie Sauerstoff, Kohlendioxid oder Stickstoff in der Versuchsatmosphäre geregelt. Gleichzeitig wird das Äthylen, das die Pflanzen während ihres Wachstums bilden, abgesaugt.
Die bestückten Container finden auf den Zentrifugen Platz. Sie werden im Versuchsverlauf zwei Wochen lang immer wieder „Karussell fahren“. Dabei simulieren die Zentrifugen die unterschiedlichen Stufen der Schwerkraft – von der Schwerelosigkeit bis hin zur doppelten Erdschwere. Im Focus der Untersuchungen steht das Wurzelwachstum. Nach zwei Wochen stoppen die Experimentatoren künstlich das Pflanzenwachstum und konservieren die Proben für die Auswertung am Boden. Die Rückführung der Proben wird mit der Space-Shuttle-Mission STS 123 erfolgen.
Vergleichstests auf der Erde
Parallel zu den Versuchen im Weltraum wachsen in Köln unter irdischen Bedingungen Ackerschmalwand-Pflanzen zu Vergleichszwecken in absolut identischen Experimentcontainern. Die Arbeiten werden am Facility Responsible Center (FRC) für Biolab durchgeführt, das wiederum im Microgravity User Support Center (MUSC) Köln untergebracht ist.
MUSC ist das Nutzerunterstützungszentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Köln-Porz, das im Auftrag der ESA Forschungseinrichtungen und Firmen bei der Vorbereitung und Durchführung ihrer Arbeiten an Bord der ISS unterstützt. Es ist integriert in das Netzwerk europäischer „User Support and Payload Operations Centers“ für die ISS.
Das FRC in Köln trägt im Auftrag der ESA die Gesamtverantwortung für alle Anlagen des Biolab. Das biologische Forschungslaboratorium ist für eine Einsatzzeit von mindestens zehn Jahren konzipiert.
Ansprechpartner
Prof. Dr. Günther Scherer
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Institut für Zierpflanzen- und Gehölzwissenschaften
Abteilung Molekulare Ertragsphysiologie
E-Mail: scherer @ zier.uni-hannover.de
Tel: +49 (0) 511 / 762 – 3153