Wissenschaft an Bord der ISS
Im Social-Media-Zeitalter gibt es einfach nichts mehr, was undokumentiert bleibt. Auf der Erde sind wir ständig am knipsen – von Urlauben und Wochenendausflügen, Veranstaltungen sowie Treffen mit Familie und Freunden. Und nun stellen Sie sich einmal vor, wie viele Fotos Sie machen würden, wenn Sie im Weltraum leben und arbeiten würden.
Die Beobachtungskuppel der Internationalen Raumstation ISS ist der absolute Lieblingsort aller Besatzungsmitglieder. Die Astronauten Anne McClain und David Saint-Jacques sowie der Kosmonaut Oleg Kononeko nutzen derzeit jede Gelegenheit, die fantastische Aussicht aus der Cupola zu genießen, da sie in knapp zwei Wochen (am 24. Juni) auf die Erde zurückkehren werden.
Die Bilder, die aus der Beobachtungskuppel geschossen werden, sind atemberaubend. Gleichzeitig liefern sie überaus wichtige Erkenntnisse über unseren Heimatplaneten. Und auch Sie können an dieser wissenschaftlichen Forschung teilnehmen – über das Bürgerprojekt Cities at Night. Das Ziel dieses europäischen Projektes ist es, die allererste bunte Karte der Erde bei Nacht zu erstellen. Eine Karte, in der die tatsächlichen Farben bei Nacht darstellt werden. Dabei kann jeder an der Klassifizierung, Lokalisierung und Georeferenzierung von Fotos mitwirken. Diese stammen nicht nur von Astronauten aus dem Weltall. Bislang haben schon über mehr als 17.000 Menschen Bilder eingereicht.
Doch nun ist es an der Zeit, die vergangenen zwei Wochen der wissenschaftlichen Forschung im Weltall näher zu beleuchten.
Von Lichtern lernen
In Großstädten ist es nachts alles andere als dunkel. Die künstliche Beleuchtung stört nicht nur nachtaktive Tiere, bei denen sie Orientierungslosigkeit sowie Verhaltens- und physiologische Veränderungen auslöst, sondern auch Menschen. Zu viel künstliches Licht vor dem Schlafengehen reduziert die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Dies kann negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben und unter anderem Brust- und Prostatakrebs verursachen. Dazu macht die für die Straßenbeleuchtung benötigte Energie einen Großteil des nationalen Stromverbrauchs aus.
Neben einigen Fotomontagen aus Aufnahmen des ESA-Satelliten Rosetta sind die Nachtbilder der Erde, die die Astronauten von der ISS aus aufnehmen, die einzigen öffentlich zugänglichen Fotos dieser Art. Die NASA stellt eine Datenbank mit über 1,3 Millionen Farbfotos, die seit 2003 von Astronauten geschossen worden sind, für alle Interessierten kostenfrei zur Verfügung. Forscher nutzen diese Nachtaufnahmen derzeit, um abzuschätzen, welche Auswirkungen künstliches Licht auf die Umwelt hat. Dazu nutzen sie die mathematische Technik der synthetischen Photometrie.
Die synthetische Photometrie ermöglicht es Wissenschaftlern, Lichtquellen in Nachtaufnahmen, die von Astronauten bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen sowie mit verschiedenen Kameraeinstellungen gemacht worden sind, zu identifizieren. Die Ergebnisse liefern präzise Informationen darüber, wie die Farbe und Helligkeit von Straßenlaternen die Melatoninproduktion stören und wie sie die Sichtbarkeit der Sterne verhindern.
Beobachtungsposten im Himmel
Ein weiterer Baustein der Erdobservation ist der Betrieb des Atmosphere-Space Interactions Monitor (ASIM), der diesen Monat ebenfalls weitergeht. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass die Inbetriebnahme-Aktivitäten für ASIM am 18. Juni 2018 abgeschlossen wurden. Das bedeutet, dass das Projekt nun in sein zweites Jahr und damit letztes Betriebsjahr geht.
ASIM befindet sich auf der externen Nutzlastplattform des europäischen Columbus-Moduls und trägt zur Erforschung von schweren Gewittern und deren Bedeutung für Erdatmosphäre und -klima bei. Die ASIM-Plattform besteht aus zwei Instrumenten – dem Modular Multi-Spectral Imaging Array (MMIA) und dem Modular X and Gamma Ray Sensor (MXGS). Diese vermessen die Atmosphäre in und über schweren Gewittern, beispielsweise elektrische Entladungen in großen Höhen (in Stratosphäre und Mesosphäre), Blitze innerhalb von Wolken in der Troposphäre, Gravitationswellen sowie die Entstehung von Wolken in großer Höhe. ASIM wird vom Boden aus betrieben und hat bereits beeindruckende Resultate geliefert. Hier erfahren Sie mehr darüber.
Nahrung, Flüssigkeiten und Antioxidantien
Zwei Wochen wissenschaftliche Forschung an Bord der ISS kurz zusammenzufassen, ist gar nicht so leicht, wenn sämtliche Aktivitäten berücksichtigt werden sollen. Wer die Wahl hat, hat die Qual – wir beschränken uns in dieser Ausgabe deshalb auf die Nennung dreier weiterer europäischer Experimente.
Fluidics
Anfang dieses Monats hat NASA-Astronautin Christina Koch mehrere Durchläufe im Rahmen des französischen Experiments Fluidics durchgeführt. In diesem Experiment geht es darum besser nachvollziehen zu können, wie sich Flüssigkeiten in schwereloser Umgebung verhalten. Die Ziele der Sitzungen waren das Anschalten und Testen des Fluidics-Systems, nachdem in einem vorherigen Durchlauf eine Unregelmäßigkeit aufgetreten war. Außerdem sollte beobachtet werden, wie sich die Flüssigkeiten in zwei neuen Tanks, in denen unterschiedliche Wellenbrechersysteme eingesetzt worden waren, verhalten.
Zu verstehen, welche physikalischen Gesetze der Bewegung von Flüssigkeiten im All zugrunde liegen, wird nicht nur den Treibstoffverbrauch von Raumschiffen optimieren, sondern auch unser Wissen über die Meeresströmungen auf der Erde und über unser Klima als Ganzes verbessern.
PhotoBioreactor-Experiment
Je weiter zukünftige Missionen in den Weltraum hineinreichen und je länger diese dauern, desto wichtiger wird die eigene, nachhaltige Produktion von Nahrung und Sauerstoff. Die Astronauten Anne McClain, David Saint-Jacques und Nick Hague haben diesen Monat beim PhotoBioreactor-Experiment des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) mitgewirkt. Dabei hat McClain die erste Algen-Stichprobenentnahme durchgeführt. Dies war Teil eines Experiments mit dem Ziel, Kohlendioxid in Sauerstoff und essbare Algen umzuwandeln.
Die Alge, die für dieses Experiment ausgewählt wurde, heißt Chlorella vulgaris. Sie ist einzellig und kugelförmig und kann in Leitungssystemen an Bord von Raumschiffen angebaut werden, wo sie aus Kohlendioxid und Wasser Sauerstoff sowie essbare Biomasse produzieren kann. Das Algenwachstum wird durch normale Nährstoffe sowie Licht unterstützt.
Zellstimulation
Ein weiteres aktuelles Highlight war der Transfer der Nano-Antioxidantien-Container an Bord des SpaceX-Raumschiffes Dragon CRS-17, das am 3. Juni auf die Erde zurückgekehrt ist. Mit diesem Experiment erforschen Wissenschaftler innovative Arten der Zellstimulation. Dies kann etwa im Kampf gegen Muskelschwund, Herzversagen, Diabetes oder die Parkinson-Krankheit von Nutzen sein. Unter Berücksichtigung der genetischen Faktoren hoffen die Forscher, maßgeschneiderte Lösungen zu finden, die die schädlichen Auswirkungen von Langzeitaufenthalten in Erdorbits sowie im fernen Weltraum stoppen können. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.
Ausblick in die Zukunft
Während ESA-Astronaut Luca Parmitano weiterhin auf der Erde für seine Mission trainiert, bereiten sich Anne McClain, David Saint-Jacques und Oleg Kononeko auf ihre Rückkehr vor. Der Dienst an der Wissenschaft steht dabei immer ganz oben auf der Agenda – ganz gleich, ob die Astronauten kurz vor ihrem Abflug ins All stehen oder ob sie gerade aus dem Weltraum zurückgekehrt sind. Weitere Informationen zum Thema, welche grundlegenden Daten von den Astronauten erhoben werden, finden Sie in Alexander Gersts Missions-Blog.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Der Weltraum spielt eine wichtige Rolle bei der städtischen Innovation und verbessert die Lebensqualität von Millionen und möglicherweise Milliarden von Menschen. Diese Woche werfen wir einen Blick darauf, was die ESA unternimmt, um den Stadtbewohnern zu helfen. Beteiligen Sie sich online mit dem Hashtag #SmartCities an der Diskussion.