ESA-Astronaut demnächst zu erstem europäischem Langzeiteinsatz auf der ISS
ESA PR 23-2005. Im Juli dieses Jahres wird der deutsche ESA-Astronaut Thomas Reiter als erster Europäer zu einer Langzeitmission in Richtung Internationale Raumstation (ISS) starten.
Der ESA-Direktor für Bemannte Raumfahrt, Schwerelosigkeitsforschung und Exploration, Daniel Sacotte, hat kürzlich mit dem Leiter der russischen Föderalen Raumfahrtagentur (Roskosmos), Anatolij Perminow, eine Vereinbarung über die Mission unterzeichnet. „Die Vereinbarung regelt den Flug des ESA-Astronauten auf einer Position, die ursprünglich für ein russisches Mannschaftsmitglied vorgesehen war“, erklärte Sacotte. „Er wird alle Aufgaben an Bord der ISS wahrnehmen, die der zweite russische Kosmonaut hätte wahrnehmen sollen, und darüber hinaus ein Versuchsprogramm der ESA durchführen.“
Die Vereinbarung ist Teil einer Reihe bilateraler Übereinkünfte zwischen Roskosmos und der NASA einerseits und der ESA und der NASA andererseits und ermöglicht die Durchführung der Mission.
Der für die Mission bestimmte Astronaut, Thomas Reiter, ist Mitglied des im Europäischen Astronautenzentrum (EAC) der ESA in Köln angesiedelten Europäischen Astronautenkorps. Ersatzmann wird sein französischer Teamkollege Léopold Eyharts sein.
Reiter soll auf dem gegenwärtig für Juli geplanten Raumtransporterflug STS-121 zur ISS fliegen und auf dem Flug STS-116 im Februar nächsten Jahres zur Erde zurückkehren. Damit wird er sich nach seinen sechs Monaten auf der russischen Station Mir vor zehn Jahren im Rahmen der ESA-Mission Euromir 1995 demnächst zum zweiten Mal über einen längeren Zeitraum in einer Raumstation aufhalten.
„Mit dem Jungfernflug des Automatischen Transferfahrzeugs (ATV) und dem Start des Columbus-Labors im kommenden Jahr leistet die ESA wichtige Beiträge zur ISS und ihren wissenschaftlichen Kapazitäten, weswegen wir eine bedeutende operationelle Verantwortung in diesem Programm wahrnehmen. Ich bin zuversichtlich, daß diese Mission Europa eine Menge operationeller Erfahrung und wissenschaftlicher Ergebnisse einbringen wird, die uns weiter auf eine spannende und anspruchsvolle Zukunft vorbereiten werden“, meinte Reiter.
„Darüber hinaus“, fügte Eyharts hinzu, „absolviere ich als Reserveastronaut für diese Mission dieselbe Ausbildung wie Thomas, was eine ausgezeichnete Vorbereitung auf meine Aufgaben als Hauptastronaut bei einer künftigen ESA-Mission zur ISS in Verbindung mit Columbus sein wird“.
Beide Astronauten durchlaufen bereits mit ihren russischen und amerikanischen Kollegen in den verschiedenen ISS-Ausbildungseinrichtungen in Houston, Moskau und Köln ihr Trainingsprogramm für diese Mission.
„Erstmals erfolgen, unter anderem als Test für spätere europäische Langzeitmissionen auf der ISS, die Vorbereitung, die Ausbildung, der Betrieb und die multilaterale Koordinierung im größtmöglichen Umfang über die multilateralen Beschlußfassungs- und Managementstrukturen für den Einsatz der ISS“, betonte ESA-Missionsleiter Aldo Petrivelli. „Dies wird eine hervorragende Gelegenheit zur Erprobung der Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen Bodenkontroll- und Unterstützungszentren wie den Missionskontrollzentren in Houston und Moskau, dem Columbus-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen bei München*, dem Europäischen Astronautenzentrum in Köln und den verschiedenen in die Mission einbezogenen Nutzerunterstützungs- und Betriebszentren in ganz Europa sein. Die operationellen Teams der ESA, der nationalen Raumfahrtagenturen, der Industrie und der Forschungseinrichtungen in Europa werden also wertvolle Betriebserfahrungen sammeln, und zwar auch für den künftigen Columbus-Betrieb auf System-, Untersystem- und Nutzlastebene.“
Anmerkungen für die Redakteure
1. Thomas Reiters Mission zur Internationalen Raumstation soll während des Aufenthalts der ISS-Mannschaften „Expedition 11“ und „Expedition 12“ stattfinden. Die Mannschaft der „Expedition 11“ flog am 15. April an Bord einer Sojus-TMA gemeinsam mit ESA-Astronaut Roberto Vittori zur ISS. Während Vittori jedoch bereits nach einem 10tägigen Aufenthalt mit der Mannschaft der „Expedition 10“ zur Erde zurückgekehrt ist, werden der russische Kosmonaut Sergej Krikaljow und der NASA-Astronaut John L. Phillips von der „Expedition 11“ nun 6 Monate an Bord der ISS verbringen – einen Teil davon zusammen mit Thomas Reiter, bis sie Ende September von der „Expedition 12“ abgelöst werden.
2. Reiter wird im Juli mit einem US-Raumtransporter (Flug STS-121, ISS-Mission ULF 1.1) zu Krikaljow und Phillips stoßen. Sein Rückflug zur Erde ist derzeit für Februar 2006 (Flug STS-116, ISS-Mission 12A.1) geplant, und zwar gemeinsam mit dem schwedischen ESA-Astronauten und Mitglied der Mannschaft von Flug STS-116, Christer Fuglesang.
3. Je nach Startdatum der US-Raumfähren kann die Dauer zwischen Reiters Hin- und Rückflug bei 6 bis 7 Monaten liegen.
4. Mit dem Beginn von Reiters Mission wird die ISS erneut über eine ständige dreiköpfige Mannschaft verfügen, so daß auch wieder mehr Zeit für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung stehen wird.
Die von der ESA für diese Langzeitmission vorgesehenen Experimente werden anderer Natur sein als die auf früheren europäischen Sojus-Missionen, etwa der ISS-Mission „Eneide“ von Roberto Vittori, durchgeführten, speziell für eine kurze Aufenthaltsdauer zurechtgeschnittenen Versuche. Eine Langzeitmission dürfte für Europa als Vorläufer eines künftigen ISS-Einsatzes mit kontinuierlichem Versuchsprogramm fungieren und der ESA wertvolle Erfahrungen zur Planung der für das europäische Columbus-Labor vorgesehenen Versuchsreihen liefern.
5. Das auf der Langzeitmission durchzuführende Versuchsprogramm umfaßt interessante, von Fachwissenschaftlern überprüfte wissenschaftliche Experimente, es werden jedoch auch kommerzielle Versuche erwogen. Darüber hinaus sind während des Aufenthalts des ESA-Astronauten ein Bildungsprogramm sowie ein Technologieexperiment zur Erprobung weltraumgestützter E-Learning-Methoden geplant.
6. Durch die Anwesenheit eines europäischen Astronauten kommt der ESA auch bei der Einsatzerprobung dreier von ihr entwickelter Nutzlasten eine wichtige Rolle zu: beim Lungenfunktionssystem PFS, der europäischen Pflanzenzuchtvorrichtung für Schwerelosigkeitsforschung, EMCS, und MELFI, einer –80 °C erreichenden Gefriereinrichtung. Den Transport dieser Geräte übernimmt die NASA mit Flug STS-114, dem zur Zeit für Mai geplanten ersten Raumtransporterflug seit Wiederaufnahme der Shuttle-Flüge, sowie mit Flug STS-121, auf dem auch Thomas Reiter seine Reise in den Weltraum antreten wird. Diese Anstrengungen sind Teil eines grundsätzlicheren Vorhabens, nämlich der Demonstration der Beteiligung europäischer Astronauten an künftigen ISS-Routinearbeiten und insbesondere der Hervorhebung der Bedeutung des europäischen Beitrags zur wissenschaftlichen Ausrüstung der Raumstation. Hierdurch werden ferner eine reibungslose Einsatzerprobung im Weltraum sowie eine schnellere Betriebsbereitschaft dieser Einrichtungen für ESA-eigene ISS-Versuchsreihen gewährleistet; einige Experimente sollen bereits während dieser Langzeitmission auf den neuen Einrichtungen durchgeführt werden.
* Das für die ESA vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Hauptauftragnehmer entwickelte Columbus-Kontrollzentrum im bayrischen Oberpfaffenhofen wurde im Oktober 2004 eingeweiht. Über seine Kontrollräume ist es bereits an Missionsvorbereitung und -simulation beteiligt.
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Kommunikationsbüro ESA/EAC
Europäisches Astronautenzentrum, Köln
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