An der Leine von Darmstadt
Gesteuert wird die GOCE-Mission vom Europäischen Satellitenkontrollzentrum der ESA, dem ESOC (European Satellite Operations Centre) in Darmstadt. Dabei stellt die ständige genaue Vermessung und Korrektur der Flugbahn für die Darmstädter Experten eine besondere technische und organisatorische Herausforderung dar. Sie müssen den Raumflugkörper gewissermaßen „an der kurzen Leine“ führen.
Normalerweise werden Satelliten zu Beginn ihrer Mission je nach Aufgabe auf eine vorbestimmte Umlaufbahn befördert, wo sie die Erde über Jahre umkreisen, ohne das diese korrigiert wird. Regelmäßige Bahnkorrekturen sind dabei bei Orbits in großer Nähe unseres Planeten, also in Flughöhen um die 200 bis 800 Kilometer, sowie längeren Missionsdauern nötig. Denn die obersten Ausläufer der Atmosphäre setzen den Raumflugkörpern einen geringen aber stetigen Luftwiderstand in Form von Reibung entgegen. Die Satelliten werden abgebremst und ihre Flugbahnhöhe verringert sich ohne Korrekturmaßnahmen, bis sie in den dichteren Atmosphärenschichten verglühen. Auch verändert das unregelmäßige Schwerefeld der Erde die Bahnparameter, es verdreht z.B. die Ebene, in der der Satellit die Erde umkreist.
Berg- und Talfahrt im All
Bei GOCE haben die Fachleute des ESOC eine kompliziertere Aufgabe zu lösen. Mittels der Erfassung geringster Bahnänderungen wollen die Wissenschaftler ja Gravitationsanomalien der Erde finden. Dazu müssen aber vorher andere Einflüsse auf die Bahnhöhe, wie der beschriebene Luftwiderstand erfasst und rechnerisch eliminiert werden. Außerdem ist die ständige und genaueste Vermessung der Umlaufbahn erforderlich. „Das geschieht mit Hilfe eines sehr genauen GPS-Empfängers an Bord des Satelliten sowie durch Laserentfernungsmessungen von der Erde aus. Einflüsse des Erdschwerefeldes auf die Bahn werden von einem Gradiometer an Bord gemessen und über einen Regelkreis mittels eines elektrischen Ionentriebwerkes ausgeglichen. Gleichzeitig werden die Regelgrößen zur Erde übertragen und dienen den irdischen Forschern als Rohdaten zur Auswertung,“ erläutert Dr. Uwe Feucht, Leiter der Flugdynamik-Abteilung des ESOC, die knifflige Arbeit an Bord von GOCE.
GOCE fliegt also nicht ruhig auf einer Ideallinie sondern wird ständig mal mehr, mal weniger von der Erde angezogen und durchläuft so eine regelrechte Berg- und Talfahrt.
Warum wurde nun eine Flugbahn in 250 bis 260 Kilometern Höhe gewählt und keine höhere, wo die Auswirkungen der Erdatmosphäre kaum noch zu spüren sind? „Da die Gravitation mit steigendem Abstand von der Erdoberfläche abnimmt, wurde GOCE für eine derart niedrige Umlaufbahn ausgelegt. Wünschenswert wäre eine noch geringere Höhe gewesen, aber wir hätten dann einen zu hohen Treibstoffbedarf für die Bahnkorrekturen gehabt,“ berichtet Uwe Feucht.
Datentausch bei Renntempo
Die von dem Gradiometer gesammelten Daten werden an Bord von GOCE gespeichert und beim Überflug über der ESA-Bodenstation Kiruna in Schweden zur Erde übertragen. Von dort erfolgt ihre unmittelbare Weiterleitung an das ESOC in Darmstadt, wo sie für die Satellitensteuerung genutzt werden. Außerdem werden die Rohdaten an das in Frascati bei Rom befindliche ESRIN übertragen. Dort erfolgen ihre Bearbeitung und die Generierung von Produkten, die den Wissenschaftlern für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig archivieren die Fachleute in Italien sowohl die Rohdaten als auch die die daraus erzeugten Datensätze für die Nutzer.
Für die Übertragung der Daten vom Satelliten zur Erde bleiben den Technikern in Kiruna lediglich sechs bis acht Minuten, in denen sich GOCE im Sichtfeld der Station befindet. Das erfordert eine genaue Bahnberechnung, um Eintrittsort und -zeit in die Sichtbarkeitszone vorherzusagen. Denn die Antenne der Bodenstation muss genau darauf ausgerichtet werden, um das Satellitensignal einzufangen. Nach dessen Erfassung wird die Antenne dem Raumflugköper nachgeführt, der über Kiruna aufgrund seiner geringen Bahnhöhe im Renntempo hinwegrast. Ein derartiger „fliegender“ Datentausch ist durchschnittlich sechs Mal am Tag möglich.
Den „Super-Gau“ vermeiden
GOCE ist also nicht ständig unter der Beobachtung des ESOC. Wenn in der Zeit zwischen zwei Passagen über der Kiruna-Bodenstation ein Problem an Bord eintritt, kann es zu einer kritischen Situation kommen. Der Satellit muss unter Umständen gesucht werden, um wieder Kontakt zu ihm aufnehmen zu können. Wenn spezielle Suchprozeduren der Antenne in Kiruna nicht zum Erfolg führen, stehen den Darmstädtern zwar weitere ESA-Bodenstationen zur Verfügung, doch die Zeit drängt. Denn wenn GOCE nach acht Tagen nicht wieder in den Normalbetrieb überführt werden konnte, ist es möglicherweise zu spät. Der Raumflugkörper, der ohne Korrektur über einen Kilometer pro Tag absinkt, kann dann soviel Bahnhöhe eingebüsst haben, dass eine Bahnkorrektur nicht mehr möglich ist.
Um dem „Super-Gau“ – dem Verlust von GOCE – vorzubeugen, hat das dafür verantwortliche Team am ESOC seit Monaten in Simulationen alle Problemsituationen durchgespielt sowie Gegenmaßnahmen entwickelt.