ESA Euronews: Viel Weltraumschrott und viele Ideen
Zerstörte Satelliten, Raketenteile: Mit mehreren Zehntausend Stundenkilometern fliegt dieser Weltraumschrott über unseren Köpfen. Trifft auch nur ein kleines Schrott-Teilchen auf einen Satelliten, kann dieser zerstört werden, und auch für Astronauten und Menschen auf der Erde ist der Müll gefährlich.
In den Niederlanden haben sich 200 Experten von Satellitenbetreibern, nationalen Weltraumagenturen und Raketenherstellern getroffen, um über das Problem zu beraten. Inzwischen finden solche Konferenzen bei der europäischen Weltraumorganisation ESA jährlich statt.
„Wir müssen das Problem auf zwei Arten angehen. Die erste: Wir hören auf, den Weltraum vollzumüllen. Die zweite: Wir müssen den vorhandenen Schrott entfernen“, sagt Lisa Innocenti vom Clean Space Programm der ESA.
8.000 Tonnen Weltraumschrott fliegen schätzungsweise durchs All. Nur ein paar Tausend dieser Teile sind so groß, dass Experten sie von der Erde aus verfolgen können. Sie fliegen mit mehreren zehntausend Stundenkilometern um die Erde, das ist schneller als eine Gewehrkugel. Sie können Millionen Euro teure Satelliten zerstören. Das viel größere Problem aber ist, dass der getroffene Satellit ebenfalls in seine Einzelteile zerfällt. Es entstehen unzählige weitere Weltraumschrottobjekte. Kessler-Syndrom wird diese Kettenreaktion genannt.
Nachdem das Problem lange ignoriert wurde, forschen Wissenschaftler in aller Welt heute an Lösungen. Mit einem Gasstrahl oder mit Lasern wollen sie den Müll aus seiner Umlaufbahn befördern, es gibt aber auch weniger phantasievolle Lösungen, die erfolgversprechend klingen.
Gliedmaßen und Fische
Der ESA-Ingenieur Jesús Gil Fernández arbeitet an einem solchen System. Es ist ein Roboterarm, mit dem außer Kontrolle geratene Satelliten eingefangen werden sollen, damit sie keine Gefahr mehr darstellen. Derzeit testen die Ingenieure den Roboterarm an einem Satellitenmodell. Die unkontrollierten Bewegungen des Satelliten werden von einer Kamera verfolgt, erklärt Fernández: „Wenn wir uns wie der Satellit bewegen, etwa so, als würden wir mit ihm tanzen, aber ohne ihn zu berühren, kann der Roboterarm den Satelliten greifen. Schließlich können wir den Satelliten lenken. Wir können ihn zur Erde schicken, sodass er beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zerstört wird, oder er landet im Südpazifik.“
Im Südpazifik gibt es eine ausgewiesene Zone für Weltraumschrott. Das ist zwar nicht ideal und schafft ein neues Mülldepot auf der Erde. Aber der Weltraumschrott wäre zunächst einmal aus der Gefahrenzone herausgeschafft.
Die Wissenschaftler versuchen sich aber auch an beinahe altmodisch wirkenden Technologien, um Satelliten einzufangen. Die Professorin für Flugdynamik, Michèle Lavagna, demonstriert die Idee an einem kleinen Satellitenmodell. In ihren Händen hält sie ein weißes Netz, das sie über den Satelliten wirft.
„Wir machen nach, was die Fischer auf See machen“, erklärt sie, „wir haben ein sehr großes Netz, damit wir dem Weltraumschrott oder dem Satelliten, der unkontrolliert herumfliegt, nicht zu nahe kommen. Aus einiger Entfernung versuchen wir dann, das Netz um diesen Satelliten zu wickeln.
Die unkontrollierten Bewegungen des defekten Satelliten sollen dazu führen, dass sich dieser quasi von allein in dem Netz verfängt. Dann kann er, wie ein gefangener Fisch, abtransportiert werden.
Solange aber nur auf der Erde an dem Problem geforscht wird, müssen die Weltraumagenturen anders mit dem Müll umgehen. Die Teilchen sind eine Gefahr nicht nur für Satelliten, sondern auch für Astronauten. Die internationale Raumstation ISS weicht regelmäßig Weltraumschrott aus, der größer als zehn Zentimeter ist. Um Astronauten künftig besser zu schützen, haben Wissenschaftler ihnen einen Schutzschild gebaut. Es besteht aus mehreren Lagen und soll die anfliegenden Teile unschädlich machen.
Beim Aufprall auf die erste Lage wird diese durchschlagen. Das Weltraumschrottobjekt zerfalle dabei in viele kleine Bruchstücke, erklärt die Ingenieurin Lilith Grassi von Thales Alenia Space. Die Teilchen sollen dann von einer zweiten Lage aus Nextel und Kevlar absorbiert werden, ein Material, das auch für kugelsichere Westen verwendet wird.
Lösung des Problems?
Bisher werden Satelliten am Ende ihres Einsatzes einfach in einem Friedhofs-Orbit abgestellt, oder sie treten in die Atmosphäre ein und verglühen. Aber nicht alle Teile werden in der Hitze des Wiedereintritts unschädlich gemacht. Widerstandsfähige Komponenten aus Titan und Stahl können auf der Erde einschlagen.
Um das zu verhindern, forschen Wissenschaftler an Satelliten, die sich beim Wiedereintritt möglichst vollständig auflösen. „Ich glaube, wir können Satelliten bauen, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zerfallen“, prognostiziert der Materialwissenschaftler Benoit Bonvoisin. „Gerade stehen wir da noch am Anfang. Wir versuchen, zu verstehen, wie sich die Materialien verhalten, die derzeit verwendet werden. Später schauen wir uns an, wie wir diese Materialien verbessern können, wie wir das Design und die Konzeption der Satelliten verändern können, wie unterschiedliche Teile beim Zerfall im Verhältnis zueinander agieren.“
Damit soll verhindert werden, dass beispielsweise ein Hitzeschild oder ein Solarpanel zerfällt, währenddessen aber andere Teile noch so weit schützt, dass sie den Wiedereintritt überstehen und auf die Erde fallen.
Am Ende der Forschungen soll ein Satellit stehen, der an seinem Lebensende eine geringere Gefahr darstellt und möglichst wenig Müll auf der Erde hinterlässt, so Bonvoisin.
Weltraumschrott war lange kein Thema. Technischer Fortschritt, militärische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen standen im Vordergrund der Weltraumfahrt. Man schoss die Raketen hoch, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Das Programm E-Deorbit der ESA ist ambitioniert, damit die Technologien aber im Weltraum eingesetzt werden können, ist noch ein großes Problem zu lösen. Bisher fehlt die Finanzierung, um Satelliten als Müllabfuhr ins All zu schicken.
Wer soll also zahlen? Die Verursacher des Mülls, das wäre auf den ersten Blick die einfache Antwort. „Jeder hat Dreck gemacht“, so die ESA-Beauftragte Luisa Innocenti, „manche Länder mehr als andere, aber auch nur, weil sie mehr Raketen ins Weltall geschossen haben. Ich glaube nicht, dass wir jemanden als den Bösen oder den Guten ausmachen können. Wer mehr startet, verschmutzt eben mehr.“
Immerhin wird heute schon darauf geachtet, dass gar nicht erst so viel Müll ensteht. Für neue europäische Satelliten gibt es inzwischen Regeln, die sicherstellen, dass es einen Plan für die Zeit nach ihrem Lebensende gibt.