Europa auf dem Weg zum Mars: Flug und Ankunft
Nach dem Start hat die Rakete mit ihrer Oberstufe eine komplexe Flugsequenz durchgeführt, die bis zum Eintritt in eine Erdfluchtbahn mehr als elf Stunden dauerte. Nach der Trennung von der Oberstufe wurden die Solarzellenausleger von TGO für die Stromversorgung ausgefahren.
Anschließend schalteten die Missionskontrolleure am European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt nach einer exakt vorgegebenen Sequenz die Bordsysteme des Orbiters ein. Die Sonde sendete dann ihre Telemetriedaten zu den Bodenstationen auf der Erde und bestätigte damit, dass Europa wieder auf dem Weg zum Mars ist (siehe Abbildung 2).
Eine detailliert ausgearbeitete Kampagne zur Navigationskontrolle stellt sicher, dass die Ankunft beim Mars so exakt wie möglich erfolgt. Jeder winzige Fehler bei der Flugbahn sorgt für eine große Abweichung beim Landeplatz von Schiaparelli. Die Kontrolle der Flugbahn erfolgt mit Messwerten, die aus auf der Erde empfangenen Radiosignalen der Sonde errechnet werden. Kleine Schubmanöver mit dem Bordantrieb reichen aus, um die Raumsonde bei eventuellen Abweichungen zurück auf die gewünschte Bahn zu »schubsen«.
Im Endanflug: Am 16. Oktober 2016, drei Tage vor der Ankunft am Mars, gehen TGO und Schiaparelli getrennte Wege: Die Missionskontrolleure am ESOC werden mittels Funkbefehlen Sprengbolzen zünden, die das Sondenpaar bislang zusammenhielten. Ein vorgespannter Federmechanismus drückt dann Schiaparelli sanft weg und sorgt dabei für eine Rotation des Moduls um seine Achse. So wird sichergestellt, dass es seine Ausrichtung im Raum beibehält, nicht ins Taumeln gerät oder gar rückwärts in die Marsatmosphäre eintritt. Zwölf Stunden später führt TGO ein Bahnkorrekturmanöver durch, um einen Eintritt in die Marsatmosphäre zu vermeiden (siehe Abbildung 1).
Die Ankunft - Der hektischste Tag der Mission
Die Ankunft: Am 19. Oktober 2016 um 16:45 Uhr MESZ, an dem wohl aus Sicht der Kontrolleure hektischsten Tag der Mission, wird Schiaparelli mit einer Geschwindigkeit von 5,8 Kilometern pro Sekunde in die Marsatmosphäre eintreten – das entspricht rund der achtfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel. In den folgenden drei bis vier Minuten bremst die zunehmende Reibung in der Atmosphäre Schiaparelli ziemlich brutal ab. Dabei ist der vordere Hitzeschild der größten Wärmebelastung ausgesetzt. Er besteht aus dem Material Norcoat Liège, einer Mischung aus Kork und Phenolharzen. Sie schmilzt langsam auf, verdampft dabei und hält so die absorbierte Hitze vom Rest des Raumfahrzeugs fern.
Nachdem die Geschwindigkeit auf unter 500 Meter pro Sekunde gefallen ist – dies entspricht etwa der doppelten Schallgeschwindigkeit – wird in elf Kilometer Höhe über der Oberfläche ein Fallschirm ausgestoßen, dessen Kappe sich in weniger als einer Sekunde voll öffnen soll. 40 Sekunden später, nachdem die Schwingungen der Fallschirmöffnung abgeklungen sind, wird der vordere Teil des Hitzeschilds abgeworfen.
Der Fallschirm verzögert Schiaparelli bis auf eine Geschwindigkeit von 70 Metern pro Sekunde (rund 250 Kilometer pro Stunde). Dann wird der rückseitige Hitzeschild zusammen mit dem Fallschirm abgeworfen, der rasch hinter der nun völlig frei liegenden Raumsonde zurückbleibt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Hitzeschild das Landemodul vor den Bedingungen des Weltalls geschützt.
Nun aktiviert Schiaparelli seine neun in insgesamt drei Gruppen montierten, mit Hydrazin betriebenen Raketenmotoren, um seine Geschwindigkeit relativ zur Oberfläche zu kontrollieren. Mit Radar wird permanent der Abstand zur Oberfläche gemessen. In einer Höhe von nur zwei Metern tritt Schiaparelli für einen kurzen Moment in einen Schwebeflug ein. Dann schalten seine Raketenmotoren ab, so dass die Sonde im freien Fall die Oberfläche erreicht.
Im freien Fall auf die Marsoberfläche
Die Aufsetzgeschwindigkeit soll maximal etwa fünf Meter pro Sekunde (18 Kilometer pro Stunde) betragen. Dabei wird die Wucht des Aufpralls durch eine plastisch verformbare Struktur aufgefangen, die der Knautschzone eines Autos ähnelt. Sie befindet sich auf der Unterseite des Landers und verhindert somit Schäden im Rest des Landemoduls.
Weniger als sieben bis acht Minuten nach dem Eintritt in die Atmosphäre sollte sich Schiaparelli sicher auf der Oberfläche des Mars befinden. Der Landeplatz liegt in der Region Meridiani Planum bei sechs Grad westlicher Länge und einer Breite von zwei Grad Süd, nicht weit entfernt vom NASA-Rover Opportunity, der dort im Januar 2004 aufsetzte. Diese Region wurde ausgewählt, weil sie eine geringe topografische Höhe aufweist, so dass der Fallschirm eine längere Strecke durch die dichteren Bereiche der Marsatmosphäre zurücklegen kann, und weil sie weitgehend flach ist.
Ein Atmosphäreneintritt und eine Landung sind immer mit hohem Risiko behaftet. Dabei kann es zu zahlreichen Problemen kommen (englisch als single-point failures bezeichnet), durch welche die Mission jederzeit scheitern kann. Durch die Signallaufzeit zur Erde und zurück – sie beträgt zu dieser Zeit rund 9,5 Minuten in jede Richtung – ist keine unmittelbare Kontrolle der Landung durch die Bodenstation möglich. Die Abstiegs- und Landesequenzen müssen daher völlig autonom ablaufen.
Eintritt in die Marsumlaufbahn: Während dieser dramatischen Ereignisse schwenkt die Muttersonde TGO in eine elliptische Umlaufbahn um den Mars ein. Sie benötigt für einen Umlauf vier Sol, also vier Marstage mit einer Dauer von 24 Stunden und 37 Minuten. Bei der dichtesten Annäherung trennen TGO rund 250 Kilometer von der Oberfläche des Planeten; der größte Abstand wird dagegen annähernd 100 000 Kilometer betragen.
Das Abbremsmanöver von TGO hatte schon eine geraume Zeit vor dem Eintritt von Schiaparelli in die Atmosphäre begonnen. Dadurch wird die Sonde über den äquatornahen Landeplatz von Schiaparelli hinwegziehen, während dieser aufsetzt.
TGO - Eintritt in die Marsumlaufbahn
Der Orbiter soll dabei den vom Landemodul gesendeten Datenstrom auffangen. Dann wird TGO mit noch immer aktivem Bordantrieb hinter dem Horizont von Schiaparelli verschwinden, wodurch der Funkkontakt abbricht.
Schiaparelli kann seine Daten nicht direkt zur Erde funken, und es stehen auch keine anderen Raumsonden zur Verfügung, um die während des Abstiegs gesendeten Daten aufzufangen. Erdgebundene Radioteleskope und die ESA-Sonde Mars Express werden zwar nach Schiaparellis Funksignalen Ausschau halten, aber sie sind zu weit entfernt, um daraus Daten extrahieren zu können. Dies ähnelt einer Stimme in der Ferne, deren Worte man nicht versteht.
Messdaten, aus denen die Raumfahrtingenieure ableiten können, wie sich die Systeme von Schiaparelli während seiner Landung geschlagen haben, können somit nur von TGO während des Landevorgangs empfangen werden. Sollte die Landung erfolgreich und Schiaparelli auf der Oberfläche weiterhin aktiv sein, so können andere, später über den Landeplatz hinwegziehende Raumsonden weitere Daten auffangen und zur Erde übermitteln. Falls aber etwas schiefgeht, haben wir nur die Daten vom TGO, um mehr über das Schicksal von Schiaparelli zu erfahren. Läuft jedoch alles nach Plan, dann kann Europa bald seine erste erfolgreiche Landung auf der Marsoberfläche feiern.
Dabei ist festzuhalten, dass Schiaparelli vor allem Technologien erproben soll, die für eine Landung benötigt werden. Daher ist das Modul nicht für einen langen wissenschaftlichen Betrieb ausgelegt. Es wird somit nur einige Tage auf der Oberfläche überleben und die begrenzten Energievorräte seiner Batterien aufzehren. Jedoch wird eine Gruppe von wissenschaftlichen Sensoren die lokalen Bedingungen während des Abstiegs und nach der Landung analysieren (siehe Abbildung 3).
DREAMS - Sensoren zur Erforschung der Marsoberfläche
Darunter werden Messungen der elektrischen Aufladung von Partikeln in der Marsatmosphäre sein, mit deren Hilfe man verstehen möchte, wie es auf dem Mars zu globalen Staubstürmen kommt.
Die Sensorengruppe trägt die Bezeichnung DREAMS, dies steht für »Dust Characterisation, Risk Assessment, and Environmental Analyser on the Martian Surface«, auf Deutsch ungefähr: »Staubanalyse, Risikobestimmung und Analyse der Umweltbedingungen auf der Marsoberfläche«.
DREAMS soll die lokalen Windgeschwindigkeiten und -richtungen bestimmen, die Feuchtigkeit, Druck und Atmosphärentemperatur nahe der Oberfläche ermitteln, die Transparenz der Atmosphäre charakterisieren sowie atmosphärische elektrische Felder registrieren. Während des Abstiegs nimmt eine Schwarz-Weiß-Kamera eine Anzahl von Bildern auf; sie ist jedoch nicht dazu geeignet, nach der Landung Bilder von der Oberfläche zu übermitteln.
Weitere Teile des Specials:
1.) ExoMars - Auf der Suche nach Leben auf dem Roten Planeten
2.) Die komplizierte Vorgeschichte von ExoMars
3.) Europa auf dem Weg zum Mars - Flug und Ankunft