Schwerter zu Pflugscharen: Die Konversionsrakete Rockot
Die erfolgreiche Konversion der ehemaligen Interkontinentalrakete SS-19 für die zivile, kommerzielle Nutzung in der Raumfahrt ist ein technisches Kabinettstück. Durch die Erfüllung des START-Abkommens ist sie gleichzeitig von hoher politischer Bedeutung und – nicht zuletzt – ist sie auch ein Beispiel von unternehmerischer Risikobereitschaft in der Raumfahrt.
Die Gründung des deutsch-russischen Gemeinschaftsunternehmens Eurockot basiert auf dem russisch-amerikanischen START-Abkommen, das die Anzahl der Raketen und Atomsprengköpfe beider Seiten limitiert. Zu den zur Vernichtung bestimmten atomaren Mittelstreckenraketen gehören auf russischer Seite auch die Interkontinentalraketen des Typs UR-100NUTTCh. Sie sind besser unter dem NATO-Kürzel SS-19 bekannt. Alternativ zur Verschrottung wurde seinerzeit die Möglichkeit der zivilen oder kommerziellen Nutzung eingeräumt.
Da Verschrotten Geld kostet, das Verschießen der Raketen mit Satelliten-Nutzlasten hingegen Geld einspielen kann, lag die Alternative auf der Hand. So gründeten die damalige DaimlerChrysler Aerospace AG (Dasa) und das russische Raumfahrtunternehmen Chrunitschew 1995 die Eurockot Launch Services GmbH (Eurockot) mit Sitz in Bremen, um Startdienstleistungen mit der Rockot zu vermarkten.
Hinter der Rockot verbirgt sich die Nutzung der bewährten ersten und zweiten Antriebsstufe der Konversionsrakete SS-19, die mit einer erprobten russischen Oberstufe kombiniert wird. Die Oberstufe ist notwendig, um Satelliten in die gewünschte Umlaufbahn zu bringen. Die hohe Leistungsfähigkeit des Trägersystems von nahezu 2 Tonnen Nutzlast basiert wesentlich auf der von Chrunitschew entwickelten Oberstufe Breeze-KM, die mit einem mehrfach wiederzündbaren Haupttriebwerk ausgestattet ist. Die genaue Manövrierbarkeit erlaubt, Satelliten in unterschiedlichen Umlaufbahnen zu platzieren. Nach erfolgter Satellitentrennung wird die Breeze-KM gezielt zum Wiedereintritt in die Erdatmosphäre manövriert, um dort zu verglühen.
Mit dem kommerziellen Rockot-Trägersystem sollen Starts kleiner und mittlerer Satelliten in erdnahe Umlaufbahnen realisiert werden. Das Engagement der deutsch-russischen Industrie wurde seitens der jeweiligen Regierung als ein konkreter Beitrag zur Konversion und zur industriellen Zusammenarbeit beider Länder politisch unterstützt.
Nach gut zwei Jahren Verhandlungszeit stand im Jahre 1997 die Finanzierung für Eurockot mit dem industriellen Eigenengagement der damaligen Dasa in Höhe von zunächst 33 Mill. Dollar. Diese Mittel dienten primär der Modernisierung der Startrampe auf dem Areal 133 nebst der zugehörigen Infrastruktur. Das reichte jedoch nicht. Um den Anforderungen des Marktes zu genügen, mussten auch am Trägersystem selbst Weiterentwicklungen sowie Veränderungen vorgenommen werden.
Mit Eurockot und seinem Trägersystem Rockot setzt jedoch zugleich die Öffnung der geheimen und auch heute noch zum größten Teil für die Öffentlichkeit geschlossenen militärischen Raketenbasis ein.
Startrampe für Rockot
Die Startrampe, die Eurockot erhielt, hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Von 1967 bis 1977 erfolgten hier 90 Einsätze der Trägerrakete Kosmos 2. Danach wurde die Rakete außer Dienst gestellt und die Startrampe umgerüstet. Bis 1997 diente sie dann als Startkomplex für die Kosmos-3M.
Anfang 1998 begann ein erneuter Umbau, diesmal für die Trägerrakete Rockot. Diese Arbeiten wurden von der Eurockot finanziert und vom russischen Konstruktionsbüro für Transportmaschinenbau geleitet. Der erste Demonstrationsflug der Rockot von der rekonstruierten Startrampe auf dem Areal 133 erfolgte am 16. Mai 2000.
Zwei Jahre darauf, am 17. März 2002, begann mit einem Bilderbuchstart die kommerzielle Ära der Konversionsrakete Rockot. An diesem Tag brachte der Träger das deutsch-amerikanische Satellitenduo Grace erfolgreich in den Orbit.
Im Jahre 2003 entstand durch die Fusion von EADS Launch Vehicles und Astrium die EADS SPACE Transportation, die nunmehr 51 Prozent Anteile an Eurockot hält. Die restlichen 49 Prozent liegen unverändert bei Chrunitschew. Aus einem deutsch-russischen ist nunmehr ein europäisch-russisches Unternehmen geworden.
Eurockot hat die Startanlage weiter umgebaut und modernisiert. Sie steht nunmehr ausschließlich für Rockot-Starts zur Verfügung. Die Satelliten-Integrationshalle sowie das Flugkontrollzentrum wurden ebenfalls modernisiert und internationalen Standards angepasst. Für die Unterbringung von Gästen und Kunden wurde eigens ein Hotel in der nahe gelegenen Stadt Mirny errichtet. Das finanzielle Gesamtengagement von EADS SPACE Transportation dafür belief sich auf rund 40 Mill. Euro.
Bis 2007 liegen Eurockot insgesamt fünf Startverträge vor, davon vier mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA für die Umwelt- und Klimasatelliten Cryosat, GOCE, SMOS und Proba-2 sowie mit dem Koreanischen Luft- und Raumfahrtinstitut KARI für den Erdbeobachtungssatelliten KOMPSAT-2. Der internationale Kundenkreis umfasst Betreiber von Erdbeobachtungs- und Wissenschaftssatelliten sowie Betreiber von kleineren kommerziellen Konstellationen. Derzeit konzentrieren sich die Marketingaktivitäten von Eurockot auf die Vereinigten Staaten, Europa und Ostasien.
So steht die Konversionsrakete Rockot als Beispiel für eine erfolgreiche europäisch-russische Raumfahrt-Kooperation.