N° 42–2006: Erststufe für Vega in Kourou erfolgreich gezündet
30 November 2006
Auf Europas Raumflughafen in Kourou in Französisch-Guyana wurde heute um 11 Uhr 30 Ortszeit (16 Uhr 30 MEZ) der erste erfolgreiche Heißlauf der Vega-Antriebsstufe P80 durchgeführt. Es handelt sich hierbei um das größte je in Europa entwickelte Feststofftriebwerk mit einteiligem, in Faserwickeltechnik gebauten Gehäuse.
Die Antriebsstufe P80 bildet die Erststufe der künftigen ESA-Trägerrakete Vega. Ihr Triebwerk lieferte über mehr als 100 Sekunden einen durchschnittlichen Schub von etwa 190 Tonnen (das entspricht etwa einem Drittel einer der beiden Feststoffzusatzraketen der Ariane-5), für sieben Sekunden wurde sogar ein Maximalschub von 250 Tonnen erreicht.
„Unsere ersten Testdaten entsprechen ziemlich genau der Kurve, die wir für den Verbrennungsdruck vorhergesagt hatten“, so Antonio Fabrizi, ESA-Direktor für Raumfahr¬zeug¬trägerprogramme. „Die erste Versuchsreihe zur Entwicklung der Trägerrakete Vega ist hiermit abgeschlossen. 2006 war also ein sehr ereignis- und erfolgreiches Jahr für unser Programm. Dieses hervorragende Ergebnis ist ein weiterer wichtiger Vertrauensbonus für den neuen Träger, dessen Einsatz nun nach Unterzeichnung einer entsprechenden Zusatzvereinbarung mit der ESA im November von Arianespace vorbereitet wird.“
„Neben den Innovationen und technischen Errungenschaften des Programms P80 müssen aber auch die erheblichen Investitionen der Industrie hervorgehoben werden, deren Beiträge ohne die Zuversicht auf den Erfolg von Vega nicht denkbar gewesen wären“, so Fabrizi weiter.
Bei dem heutigen Heißlauf wurden Daten für über 600 Parameter gesammelt, um die Funktionstüchtigkeit der vielen neuen Technologien im Triebwerk genau zu überprüfen.
Die Feststoffantriebsstufe P80 baut auf den industriellen Kapazitäten auf, die bereits beim Bau der EAP, der dreiteiligen Feststoffbeschleunigungsstufe der Ariane-5, zum Tragen kamen. In dem Triebwerk, das von der Größe her etwa einem der unteren EAP-Segmente entspricht, kommen zahlreiche neue Technologien zum Einsatz, die später auch zur Verbesserung der Kapazitäten und des Preis-Leistungs-Verhältnisses von Europas Schwerlastträger Ariane-5 genutzt werden könnten.
Demonstration neuer Technologien
Das etwa 12 m hohe und im Durchmesser drei Meter breite Triebwerk ist mit 88 Tonnen Treibsatz gefüllt. Im Gegensatz zu früheren in Europa oder anderswo entwickelten gleich großen oder stärkeren Triebwerken besteht es nur aus einem einzigen Treibsatzsegment statt mehrerer gesondert beladener Segmente, die anschließend noch zusammengesetzt werden müssen.
Aufgrund der ähnlichen Abmessungen konnte die Treibsatzfüllung für P80 ebenfalls in der UPG, der Treibsatzfabrik Guayana in Kourou, vorgenommen werden, und zwar in demselben Gießschacht wie für die 100 Tonnen schweren unteren EAP-Segmente der Ariane-5. Im Gegensatz zum Edelstahlgehäuse der EAP verfügt P80 allerdings über ein Leichtbau-Verbundgehäuse in Faserwickeltechnik. Ein neuer, vereinfachter Entwurf wurde auch mit der Kohlefaserstruktur des Zünders umgesetzt.
Zur Senkung der Produktionskosten wurde außerdem eine neue lenkbare Düse in Verbundbauweise mit einer vereinfachten, aus weniger Bauteilen bestehenden Architektur entwickelt, darunter komplex geformte Metallgussteile und ein neuer Werkstoff für den Hitzeschutz. Die Aufhängung der Schubdüse wurde im Vergleich zu früheren Modellen flexibler konzipiert, um eine leichtere Schubvektorsteuerung über elektromechanische Stellglieder zu ermöglichen. Für Triebwerke dieser Größenordnung, die normalerweise mit komplexeren hydraulischen Systemen arbeiten, ist dies ein weiterer technologischer Fortschritt.
„P80 hat wie erwartet dem hohen Verbrennungsdruck von über 80 Bar standgehalten“, sagte Stefano Bianchi, Vega-Programmleiter der ESA. „Trotz der harten Testbedingungen hat das Triebwerk offenbar einwandfrei funktioniert. Für eine umfassende Analyse der gewonnenen Daten werden wir allerdings noch etwas Zeit brauchen.“
Der Probelauf wurde wie frühere Heißläufe der Ariane-5-Booster auf dem BEAP, dem Prüfstand für Feststoffzusatzraketen in Kourou, durchgeführt. Das Triebwerk wird nun für weitere Untersuchungen wieder auseinander gebaut. Einige Bauteile, wie die Schubdüse, werden hierfür nach Europa zurückgesandt.
Ein weiterer Meilenstein für Vega
Zusätzlich zur Entwicklung der Erststufe für Vega dient P80 auch der Technologie¬demonstration. Beides findet im Rahmen eines eigenen ESA-Programms statt, für dessen Leitung ein von der französischen Raumfahrtagentur CNES geführtes integriertes Projektteam verantwortlich ist, dem ein französisch-italienisches Industrieteam unter der Leitung von Europropulsion, einem von Avio SpA (Italien) beauftragten Joint-Venture, zur Seite steht. Zu den wichtigsten am Bau von P80 beteiligten Unterauftragnehmern gehören die Industrieunternehmen SABCA (Belgien) für die Schubvektorsteuerung, Snecma Propulsion Solide (Frankreich) für die Schubdüse und APP (Niederlande) für den Zünder.
P80 wird noch einen zweiten Heißlauf absolvieren müssen, der voraussichtlich bis Mitte 2007 stattfinden wird. Auch die Triebwerke Zefiro 23 und Zefiro 9 für die Zweit- bzw. Drittstufe der Vega werden 2007 weitere Probeläufe absolvieren. Der heutige Test ist nicht nur ein wichtiger Schritt für das Vega-Programm, sondern auch für die europäischen Kapazitäten in der Feststoffantriebstechnik und bildet den Abschluss der in diesem Jahr für Vega geplanten Meilensteine. Diese sichtbaren Programmfortschritte ermöglichen darüber hinaus die endgültige Festlegung des Terminkalenders für die noch verbleibenden Tätigkeiten und machen somit den Weg für den Jungfernflug der Vega 2008 frei.
An der Entwicklung der für Kleinsatelliten gebauten Trägerrakete Vega sind sieben Mitgliedstaaten der ESA (Italien, Frankreich, Belgien, die Schweiz, Spanien, die Niederlande und Schweden) beteiligt. Das Trägersystem besteht aus drei reinen Feststoffstufen und einem Flüssigtreibstoffmodul für die Bahneinbringung. Die Verantwortung für die Entwicklung der Vega wurde der Gesellschaft ELV SpA, einem Joint-Venture von Avio und der italienischen Raumfahrtagentur, ASI, übertragen.
Die Vega ist dafür ausgelegt, Einzel- oder Mehrfachnutzlasten in bis zu 1 500 km hohe Umlaufbahnen zu befördern. Ihre Referenz-Nutzlastkapazität beträgt rund 1 500 kg in eine sonnensynchrone Kreisbahn in 700 km Höhe, sie kann jedoch Satelliten mit einem Gewicht von 300 kg bis 2 t transportieren und „huckepack“ Kleinstsatelliten mitnehmen. Diese breite Leistungspalette deckt die Anforderungen verschiedenster Anwendungen in den Bereichen Fernerkundung, Umweltüberwachung, Geowissenschaften, Weltraumwissenschaften, Grund¬lagenforschung, aber auch der Forschung und Technologie für künftige Weltraumanwendungen und -systeme ab. Nach ihrer Qualifizierung wird die Vega von Arianespace ergänzend zu den Trägern Ariane-5 und Sojus vom Raumfahrtzentrum Guayana aus kommerzialisiert und betrieben, um den Markt für kleine bis mittelgroße Satelliten zu bedienen.
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