N° 12–2005: Europäische Fracht für ATV und „Eneide“-Mission auf der ISS angekommen
3 March 2005
Die Vorbereitungen für die Ankunft des ersten europäischen Automatischen Transferfahrzeugs - des ATV „Jules Verne“ - sowie die Mission des ESA-Astronauten Roberto Vittori schreiten weiter voran: Gestern um 21.10 Uhr MEZ dockte das unbemannte russische Progress-Versorgungsfahrzeug M-52 an der Internationalen Raumstation (ISS) an. Das zwei Tage zuvor, am 28. Februar, um 20.09 MEZ vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan mit einer Sojus zur ISS-Mission 17P gestartete Versorgungsfahrzeug hatte unter anderem ein in Europa hergestelltes Kommunikationssystem an Bord, das 2006 beim Andocken des ATV an die Raumstation eingesetzt werden soll.
Das Kommunikationssystem für Nahbereichsmanöver mit dem Kürzel PCE (für „Proximity Communication Equipment“) wird auf den letzten 30 km vor dem Andocken die Datenübertragung zwischen ATV und ISS im S-Band gewährleisten. Es besteht aus zwei vollkommen redundant arbeitenden Übertragungsgeräten. Entwickelt und integriert wurde das System vom Industrieunternehmen EADS Astrium (Toulouse, Frankreich) im Auftrag der ESA.
Vor der Integration in das Progress-Versorgungsfahrzeug wurde das gesamte PCE vom 7. bis zum 11. Februar gemeinsam von russischen sowie aus der ESA und der Industrie stammenden Fachleuten im Startkomplex geprüft.
Den Einbau der Einrichtungen übernehmen die beiden Astronauten, die zur Zeit im russischen Labor- und Wohnmodul „Swesda“, an dem das ATV auch andocken soll, leben und arbeiten. Eine Borderprobung des gesamten Systems ist für Anfang April vorgesehen.
Das PCE wird dem ATV die von dem GPS-Gerät an Bord der ISS erhaltenen Daten übermitteln, so daß das ATV während der Anflugphase bis zu einer Entfernung von 500 m seine Position in bezug zur ISS bestimmen kann. Anschließend schaltet das ATV vom GPS- auf einen Lasernavigationsmodus um, wobei während der Endphase ein sogenannter Telegoniometer und ein Videometer eingesetzt werden, bis das ATV an den russischen Vorrichtungen andockt.
„Das ATV ist das bisher komplexeste und innovativste in Europa entwickelte und gebaute Raumfahrzeug“, versichert der ATV-Projektleiter der ESA, John Ellwood. „Das nach dem Vater der Science Fiction, dem französischen Schriftsteller Jules Verne, benannte erste ATV-Flugmodell durchläuft zur Zeit in den Einrichtungen der ESA im Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum, ESTEC, im niederländischen Noordwijk eine umfangreiche Testphase. Unter der Leitung des industriellen Hauptauftragnehmers, des Unternehmens EADS Space Transportation (Les Mureaux, France), wird es dort hinsichtlich seiner Kompatibilität mit dem elektromagnetischen, akustischen und thermischen Umfeld und den im Weltraum herrschenden Vakuumbedingungen, denen es bei seinem späteren Einsatz ausgesetzt sein wird, auf Herz und Nieren geprüft. Diese Phase wird auch zur Überprüfung und Durchführung bestimmter Betriebsabläufe genutzt, wie etwa der Zugang zur Fracht. Nach Abschluß der Testreihe wird das ATV nach Kourou in Französisch-Guayana verschifft, von wo aus es Anfang 2006 an Bord einer Ariane-5 gestartet werden soll.“
An Bord des russischen Progress-Fahrzeugs befand sich außerdem das wissenschaftliche Gerät für sieben Experimente (Agrospace, ASIA, ETD, Handhaltungsanalysen, LAZIO, Microspace und SPQR), die ESA-Astronaut Roberto Vittori auf seiner Mission an Bord der ISS vom 15. bis 24. April durchführen soll.
Bei Agrospace handelt es sich streng genommen um zwei Experimente: Zum einen wird das Keimen von Bohnen in der Schwerelosigkeit mit einer gleichartigen, zur selben Zeit von Schülern auf der Erde durchgeführten Versuchsreihe verglichen, zum anderen soll in einem zweiten Keimexperiment die Möglichkeit eines Anbaus von Pflanzenschößlingen im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung von Bordmannschaften ausgewertet werden.
Das Experiment ASIA dient der Prüfung der Widerstandsfähigkeit einer Hochleistungscomputerschaltung gegen die Weltraumstrahlung, um so deren mögliche Verwendung an Bord künftiger Satelliten zu bewerten.
Beim ETD wird mit Hilfe eines Gerätes zur Messung der Augenbewegungen die sogenannte Listingsche Ebene erfaßt, womit das Koordinatensystem zur Beschreibung der Augenbewegungen im Kopf gemeint ist. Auf der Erde scheinen diese Bewegungen von den Meldungen des Vestibularapparats im Innenohr abzuhängen, der Gleichgewicht, Ausrichtung und Haltung des Körpers steuert. Das Verständnis der Funktionsweise des Vestibularapparats unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit sowie des damit in Zusammenhang stehenden Auftretens von Übelkeit („Weltraumkrankheit“) ist für Wissenschaftler von großer Bedeutung.
Die Ergebnisse aus den Handhaltungsanalysen dürften zu neuen Wegen bei der Bekämpfung von Erschöpfungszuständen beitragen, die sich in der Schwerelosigkeit erheblich auf die Hände und Unterarme der Astronauten auswirken können. Auf der Erde fließen solche Erkenntnisse dann auch in die Behandlung von Patienten mit lokalen Traumata, Muskelschwund und Erkrankungen des Zentralnervensystems ein.
Das Kürzel des Experiments LAZIO steht - neben der italienischen Bezeichnung für die um Rom gelegene Region Latium - für „Ionisierendes Observatorium in niedrigen Höhenbereichen“. Mit ihm sollen die Weltraumstrahlung und das Magnetfeld in der Raumstation analysiert werden, insbesondere im Hinblick auf sogenannte „Lichtblitze“. Geprüft wird ferner die strahlungsabschirmende Wirkung verschiedener Werkstoffe. Darüber hinaus ist der erste Weltraumeinsatz eines Sensors zur präzisen Überwachung der kurzfristigen Stabilität der Van-Allen-Strahlungsgürtel geplant, um eventuell auf kurz bevorstehende Erdbeben hinweisende Phänomene zu erfassen - ein bereits vor zwei Jahrzehnten von russischen Wissenschaftlern formulierter Vorschlag.
Im Rahmen von Microspace werden verschiedene Mikrobenarten zur ISS gebracht, um die Auswirkungen der Umweltbedingungen in einem Raumfahrzeug wie Weltraumstrahlung und Schwerelosigkeit auf die Mikrobenkulturen zu analysieren. Das Experiment könnte zu einem besseren Verständnis grundlegender biologischer Vorgänge in Mikroorganismen beitragen.
SPQR, das seit mehr als 2000 Jahren den Senat und das Römische Volk bezeichnet („Senatus Populusque Romanus“), erhält nun im Rahmen der Mission „Eneide“ eine neue Bedeutung, nämlich „Specular Point-like Quick Reference“, zu deutsch reflektorbasierte punktartige Schnell-Erfassung - ein Experiment, das die Erprobung eines bodengestützten Abbildungssystems unter Verwendung spezieller Optik und Bildverarbeitung vorsieht, um die Möglichkeit der Erkennung äußerer Schäden an Raumfahrzeugen im All von der Erde aus zu bewerten. Grundlage des Experiments ist ein kubischer Winkelspiegel, der in der Nähe eines Fensters der Raumstation angebracht und einen von einer Bodenstation ausgesendeten Laserstrahl reflektieren wird.
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