N° 12–2004: Stern von riesigem Schwarzem Loch buchstäblich zerrissen
18 February 2004
Spektakuläre Beobachtung des ESA-Observatoriums XMM-Newton und des NASA-Röntgenteleskops Chandra: Ein supermassives Schwarzes Loch hat einen Stern zerrissen und sich einen Teil von ihm einverleibt. Die beiden Forschungssatelliten lieferten den bisher eindeutigsten Beweis dafür, daß diese bereits lange vermuteten Vorgänge tatsächlich stattfinden.
Die Astronomen gehen davon aus, daß ein Stern einem gigantischen Schwarzen Loch zu nahe gekommen ist, nachdem ihn eine Beinahe-Kollision mit einem anderen Stern aus seiner Bahn geworfen hatte. Als er sich nun der enormen Schwerkraft des Schwarzen Lochs näherte, wurde er von dessen Gezeitenkräften so stark verformt, daß es ihn zerriß. Diese Entdeckung vermittelt wichtige neue Erkenntnisse über das Wachstum von Schwarzen Löchern und ihren Einfluß auf die sie umgebenden Sterne und Gase.
„Geringe Verformungen können Sterne überleben, wenn sie sich in binären Sternensystemen befinden, aber dieser Stern wurde über seine Grenzen gestreckt“, sagt Dr. Stefanie Komossa vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Deutschland, die das internationale Forscherteam leitet. „Dieser unglückliche Stern hat sich einfach in die falsche Nachbarschaft begeben.“
Frühere Beobachtungen hatten bereits angedeutet, daß Sterne von Schwarzen Löchern zerstört werden (ein Ereignis, das als „Zerreißen von Sternen durch die Gezeitenkräfte Schwarzer Löcher“ bezeichnet wird). Die neuen Beobachtungen liefern den ersten handfesten Beweis für diese Vermutung.
Die Beobachtungen mit XMM-Newton und Chandra zeigten in Kombination mit früheren Beobachtungen des deutschen Röntgensatelliten ROSAT im Zentrum der Galaxie RXJ1242-11 einen der gewaltigsten je nachgewiesenen Gammastrahlenausbrüche. Verursacht wurde er vom Gas des zerrissenen Sterns, dessen Temperatur auf mehrere Millionen Grad anstieg, bevor er von dem Schwarzen Loch verschluckt wurde. Die bei diesem Vorgang freigesetzte Energie entspricht der einer Supernova. „Mit all den Daten, die uns nun zur Verfügung stehen, haben wir den eindeutigen Beweis, daß dieses spektakuläre Ereignis stattgefunden hat“, so Prof. Guenther Hasinger vom MPE.
Die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie RXJ1242-11 wird auf das Hundertmillionenfache der Masse der Sonne geschätzt, während die des zerrissenen Sterns vermutlich ungefähr der der Sonne entsprach - womit der Stern dem Schwarzen Loch in punkto Schwerkraft nicht viel entgegenzusetzen hatte. Hasinger spricht denn auch vom „Kampf Davids gegen Goliath, aber mit David als Verlierer.“
Die Astronomen gehen davon aus, daß das Schwarze Loch etwa ein Prozent der Masse des Sterns versch luckt - in der Fachsprache: akkretiert - hat. Diese geringe Menge würde die Voraussage stützen, daß durch den Schwung und die Energie des Akkretionsvorgangs der größte Teil des Gases des zerrissenen Sterns von dem Schwarzen Loch weggeschleudert wird.
Die Kräfte, die den Stern in der Galaxie RXJ1242-11 zerrissen haben, sind ein extremes Beispiel der durch Unterschiede in der Schwerkraft vor und hinter einem Objekt verursachten Gezeitenkräfte. Die Gezeitenkräfte des Mondes bewirken Ebbe und Flut auf der Erde, die des Jupiter haben den Kometen Shoemaker-Levy zerrissen, bevor er in dem Riesenplaneten verschwand.
Das Risiko, daß in einer typischen Galaxie ein Stern durch Gezeitenkräfte zerrissen wird, ist mit etwa eins zu zehntausend gering. Ein solches Ereignis im Zentrum der Milchstraße hätte eine Röngtenstrahlung zur Folge, die die stärkste Röntgenquelle in unserer Galaxie um das 50 000-fache an Energie übersteigen würde. Eine Gefahr für die Erde bestünde indes aufgrund der Entfernung von 25 000 Lichtjahren nicht.
Gewaltige sogenannte Flares wurden bereits früher in unterschiedlichen Galaxien beobachtet, aber nun wurde ein solches Ereignis erstmals mit der hohen Spektralauflösung von XMM-Newton und der hohen räumlichen Auflösung von Chandra unter die Lupe genommen. Beide Satelliten ermöglichten einen großen Schritt vorwärts: Chandra zeigte, daß der Vorgang im Zentrum der Galaxie stattfand, wo das Schwarze Loch lauert, während die mit XMM-Newton vorgenommene Spektralanalyse die typischen Merkmale der Umgebung eines Schwarzen Lochs nachwies und es somit gestattete, andere in Frage kommende astronomische Erklärungen auszuschließen.
Beweise für das Vorhandensein supermassiver Schwarzer Löcher gibt es in zahlreichen Galaxien. Das Aufspüren von Zerreißvorgängen durch Gezeitenkräfte stellt jedoch eine völlig eigene Methode für die Suche nach ihnen dar. Beobachtungen dieser Art sind zur Bestimmung der Wachstumsgeschwindigkeit von Schwarzen Löchern aufgrund des Verschlingens benachbarter Sterne von entscheidender Bedeutung.
Hinweise für die Redakteure:
Die Entdeckung wurde heute auf einer Pressekonferenz in der NASA-Hauptverwaltung in Washington D.C. bekanntgegeben. Ein Artikel von Stefanie Komossa und anderen, in dem die Ergebnisse beschrieben werden, wird demnächst in The Astrophysical Journal erscheinen.
Der ESA-Satellit XMM-Newton kann mehr Röntgenquellen aufspüren als alle früheren Satelliten. Er leistet einen wichtigen Beitrag zur Lüftung zahlreicher kosmischer Geheimnisse des stürmischen Universums, von Schwarzen Löchern bis zur Entstehung von Galaxien. XMM-Newton, der am 10. Dezember 1999 mit einer Ariane-5 von Französisch-Guayana aus gestartet wurde, soll zehn Jahre lang Daten liefern. Ausgestattet ist er mit über 170 hauchdünnen zylindrischen Spiegeln, verteilt über drei Teleskope. Seine Bahn verläuft bei knapp einem Drittel der Entfernung zum Mond, was zur Freude der Astronomen lange Beobachtungszeiträume ohne Unterbrechungen ermöglicht.
Für die Leitung des Chandra-Programms ist im Auftrag des Büros für Weltraumwissenschaft der NASA-Hauptverwaltung, Washington D.C., das Marshall-Raumflugzentrum der NASA in Huntsville, Alabama, zuständig. Hauptauftragnehmer für den Bau des Observatoriums war Northrop Grumman, Redondo Beach, Kalifornien, die ehemalige TRW Inc. Vom Zentrum für das Chandra-Röntgenobservatorium in Cambridge, Massachusetts, aus kontrolliert das Smithsonian Astrophysical Observatory den Wissenschafts- und Flugbetrieb.
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