Ein Gigantenpaar holt Schwung
Mit einem Bilderbuchstart begann am 15. Oktober 1997 von Cape Canaveral aus die siebenjährige Reise des 5712 Kilogramm schweren Sondentandems Cassini/Huygens zum Gasplaneten Saturn. Es stellt mit 6,80 Meter Höhe und 4 Meter Durchmesser den größten interplanetaren Raumflugkörper dar, der je gebaut wurde. 18 wissenschaftliche Experimente befinden sich an Bord, davon sechs im Huygens-Lander. Dieser wird huckepack auf der Cassini-Sonde mitgeführt.
Zum Einsatz kam die damals leistungsfähigste US-Trägerraketenkombination Titan-IVB/Centaur. Für den mit Zusatzboostern verstärkten Träger war es die schwerste Last, die erfolgreich in den interplanetaren Raum gelangte. Dennoch reichte die Leistungsfähigkeit der Rakete nicht aus, um das LKW-große Sondenpaar auf direktem Weg zum 1,4 Milliarden Kilometer entfernt liegenden Ziel zu schicken. Hierfür wäre eine Fluchtgeschwindigkeit von weit über 10 km/s nötig gewesen.
Swingby-Technik: Das Unmögliche möglich machen
Hier waren die Bahnmechaniker gefordert. Um auf die notwendige Geschwindigkeit zu kommen, benötigten sie zusätzlichen Schwung. Dieser lässt sich mit spezifischen Vorbeiflügen an massereichen Körpern erzielen. Durch den zwischen dem Planeten und der Raumsonde erfolgten Impulsaustausch können sowohl die Geschwindigkeit als auch die Flugbahn des Raumflugkörpers beeinflusst werden.
Die als Swingby- bzw. Gravity-Assist-Technik bezeichnete Methode wird seit drei Jahrzehnten erfolgreich bei interplanetaren Raumflügen angewendet. Manchmal lassen sich bestimmte Missionen dadurch überhaupt erst durchführen. Es können aber auch Reisezeiten verändert sowie durch energetisch günstigere Routen höhere Nutzlasten mitgenommen werden. Kurzum: Dank der Swingby-Technik kann jede interplanetare Mission individuell optimiert werden.
Bei Cassini/Huygens tüftelten die Wissenschaftler eine komplizierte Flugbahn mit vier gezielten Vorbeiflügen an Venus, Erde und Jupiter aus, bei denen das Raumsondentandem dem jeweiligen Planeten Bewegungsenergie „abzapfen“ kann. Der eine Effekt ist kaum messbar – die Verlangsamung des Planeten – der andere dafür umso deutlicher. Bereits bei dem ersten und zweiten Venus-Swingby im April 1998 sowie im Juni 1999 erhielt das Späherpaar soviel Bewegungsenergie, dass sich seine Geschwindigkeit um jeweils 25 000 km/h (7 km/s) vergrößerte.
„Man kann den Swingby-Effekt auch als "Bahnmanöver" verstehen, ihn also mit einem Triebwerksmanöver vergleichen. Das Haupttriebwerk von Cassini hätte so lange arbeiten müssen, bis der Geschwindigkeitszuwachs von 7 km/s erreicht worden wäre. Mit anderen Worten: Durch ein Swingby-Manöver wird wertvoller Treibstoff eingespart“, erläutert Michael Khan, Missionsanalyst beim Europäischen Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt, die Situation. Das Raumsondentandem behält jedoch die bei einem derartigen Swingby erreichte Geschwindigkeit nicht bei, da die Körper des Sonnensystems – speziell unser Zentralgestirn Sonne – auch eine bremsende Wirkung auf die irdischen Botschafter ausüben. Somit können die bei den Swingbys aufsummierten Geschwindigkeitszuwächse nicht einfach mit der Geschwindigkeit von Cassini/Huygens gleichgesetzt werden.
Planeten als "Gratis-Tankstellen"
Doch es geht nicht nur um das Anfliegen von Gratis-Tankstellen im Sonnensystem. Die Schar hochkarätiger Bahnmechaniker hat eine raffinierte Variante ausgearbeitet, bei der die Flugzeit drastisch um zwei Mal zwei Jahre reduziert werden kann. Beim ersten Vorbeiflug an der Venus, am 26. April 1998, wurde Cassini/Huygens mit einer Geschwindigkeit von 11,8 km/s in nur 287 Kilometer Höhe um den Planeten herumgeschleudert und dann in Richtung Mars gelenkt. Nahe der Marsbahn erfolgte das erste Bahnkorrektur-Manöver. Das Haupttriebwerk wurde gezündet, um die metallenen Kundschafter um 0,4 km/s zu beschleunigen und sie wieder auf Venus-Kurs zu bringen.
Diese Korrektur erfolgte so präzise, dass Cassini/Huygens am 24. Juni 1999 exakt im vorausberechneten Korridor in 603 Kilometer Höhe über der Venus vorbei flog, diesmal aber schon mit einer Geschwindigkeit von 13,5 km/s. Die hochpräzise Venuspassage sowie der seinerzeit gewählte günstige Startzeitpunkt ermöglichten es dem Sondenpaar, nun gleich direkt zur Erde weiterzudüsen. Auf die zwischen dem zweiten und dritten Swingby-Manöver normalerweise folgende komplette Extrarunde um die Sonne konnte verzichtet werden. Das sparte fast zwei Jahre Flugzeit.
So steuerte das Roboterduo direkt die Erde an. Am 18. August 1999 erreichte es – in einer Rekordzeit von 54 Tagen und 8 Stunden – den blauen Heimatplaneten. Es überflog ihn 1171 Kilometer über dem Südpazifik. Die massereiche Erde beschleunigte die Weltraumkundschafter um weitere 20 000 km/h (5,5 km/s), so dass sich das Paar nun schon mit 16 km/s von der Erde entfernte. Genügend Schwung, um zum Jupiter gelangen zu können.