ESA title
Die beste Karte der Milchstraße, von Gaia
Agency

Letztes Sternenlicht für das bahnbrechende Gaia Weltraumteleskop

15/01/2025 2526 views 4 likes
ESA / Space in Member States / Germany

Das ESA Weltraumteleskop zur Kartierung der Milchstraße, Gaia, hat seine Phase der Himmelsdurchmusterung abgeschlossen. Gaia hat in den letzten zehn Jahren mehr als drei Billionen Beobachtungen von etwa zwei Milliarden Sternen und anderen Objekten gemacht und damit unser Verständnis unserer Heimatgalaxie und kosmischen Nachbarschaft revolutioniert.

Mehr als zehn Jahre nach dem Start der Mission am 19. Dezember 2013 sind Gaias Treibstofftanks nun fast leer – die Raumsonde verbraucht nämlich etwa ein Dutzend Gramm Stickstoff pro Tag, um seine präzise Rotationsbewegung aufrechtzuerhalten. Doch damit ist die Mission noch lange nicht zu Ende. Für die kommenden Wochen sind Technologietests geplant, bevor Gaia auf ihre „Ruhestands“-Umlaufbahn gebracht wird. Danach sind zwei umfangreiche Datenveröffentlichungen für in etwa 2026, beziehungsweise das Ende dieses Jahrzehnts vorgesehen.

Infografik, die die Gaia-Mission der ESA während ihrer Himmelsscanning-Phase in Zahlen zeigt
Infografik, die die Gaia-Mission der ESA während ihrer Himmelsscanning-Phase in Zahlen zeigt

„Heute enden die wissenschaftlichen Beobachtungen und wir feiern diese unglaubliche Mission, die alle unsere Erwartungen übertroffen hat und fast das Doppelte der ursprünglich vorgesehenen Lebensdauer erreicht hat“, sagt ESAs Wissenschaftsdirektorin Carole Mundell.

Der von Gaia gesammelte Datenschatz hat uns einzigartige Einblicke in den Ursprung und die Entwicklung der Milchstraße gewährt und auch unser Verständnis des Sonnensystems und die Astrophysik in grundlegenden Weisen verändert. Gaia hat sich auf einzigartige europäische Exzellenz in der Astrometrie gestützt und wird ein wichtiges Vermächtnis für zukünftige Generationen hinterlassen.“

„Nach 11 Jahren im Weltraum, in denen Gaia Mikrometeoriteneinschläge und Sonnenstürme überstanden hat, ist das Sammeln wissenschaftlicher Daten abgeschlossen. Nun richten sich alle Augen auf die Vorbereitung der nächsten Datenveröffentlichungen”, sagt der Gaia-Projektwissenschaftler Johannes Sahlmann.

„Ich bin begeistert von den Leistungen dieser unglaublichen Mission und bin gespannt auf all die Entdeckungen, die uns noch erwarten.“

Gaia liefert die beste Karte der Milchstraße

Die beste Karte der Milchstraße, von Gaia (Künstlerische Darstellung)
Open Image

Gaia hat den gesamten Sternenhimmel mit seinen drei Instrumenten viele Male durchmustert und so die Positionen, Entfernungen, Bewegungen, Helligkeitsveränderungen, Zusammensetzung, sowie unzählige weitere Merkmale ihrer Zielsterne kartiert.

So hat Gaia ihr Hauptziel erreicht: die Erstellung der größten und präzisesten Karte der Milchstraße. Diese Karte zeigt uns unsere Heimatgalaxie, wie es keine andere Mission zuvor konnte.

Somit haben wir jetzt auch die beste Modellansicht unserer Galaxie davon, wie sie für einen Beobachter von außen aussehen könnte. In diese neue künstlerische Darstellung der Milchstraße sind Gaia-Daten aus einer Vielzahl von Arbeiten des letzten Jahrzehnts geflossen.

Die beste Milchstraßenkarte, von Gaia (Künstlerische Darstellung, hochkant)
Die beste Milchstraßenkarte, von Gaia (Künstlerische Darstellung, hochkant)

„Sie enthält wesentliche Änderungen gegenüber früheren Modellen, denn Gaia hat unser Bild der Milchstraße verändert. Selbst grundlegende Ideen wurden überarbeitet, wie die Rotation des zentralen Balkens unserer Galaxie, die Verformung der Scheibe, die detaillierte Struktur der Spiralarme und der interstellare Staub in der Nähe der Sonne“, sagt Stefan Payne-Wardenaar, wissenschaftlicher Datenvisualisierer am Max-Planck-Institut für Astronomie, in Deutschland.

„Dennoch basiert die Darstellung der weiter entfernten Teile der Milchstraße noch auf Vermutungen, die auf unvollständigen Daten beruhen. Mit der Veröffentlichung weiterer Gaia-Daten wird unser Bild der Milchstraße noch genauer werden.“

Die Entdeckungsmaschine des Jahrzehnts

Gaias wiederholte Messungen von Sternentfernungen, -bewegungen und -merkmalen sind der Schlüssel dazu um „galaktische Archäologie“ an unserer Milchstraße zu betreiben. Dadurch können noch fehlende Kapitel in der komplexen Geschichte unserer Galaxie aufgedeckt werden und wir können mehr über unsere Ursprünge erfahren. Von der Entdeckung der „Geister“ anderer Galaxien und mehrerer Ströme alter Sterne, die in der Frühzeit der Milchstraße mit ihr verschmolzen sind, bis hin zur Entdeckung von Beweisen für eine noch heute andauernde Kollision mit der Zwerggalaxie Sagittarius: Gaia schreibt die Geschichte der Milchstraße neu und trifft Vorhersagen über ihre Zukunft.

Play
$video.data_map.short_description.content
Die beste Milchstraßen-Animation, von Gaia
Access the video

Beim Abtasten der Sterne unserer eigenen Galaxie hat Gaia auch andere Objekte entdeckt: von Asteroiden im “Hinterhof” unseres Sonnensystems bis hin zu Galaxien und Quasaren - den hellen und aktiven Zentren von Galaxien, die von supermassiven schwarzen Löchern angetrieben werden – weit außerhalb unserer Milchstraße.

So hat Gaia beispielsweise die Umlaufbahnen von mehr als 150.000 Asteroiden ermittelt, sowie, dank der hochgenauen Messungen, um Hunderte von ihnen sogar mögliche Monde entdeckt. Die Raumsonde hat auch die größte dreidimensionale Karte von etwa 1,3 Millionen Quasaren erstellt, von denen die am weitesten entfernten schon hell strahlten als das Universum erst 1,5 Milliarden Jahre alt war.

Gaia hat auch eine neue Art von Schwarzen Löchern entdeckt, darunter eines mit einer fast 33-fachen Sonnenmasse, welches sich weniger als 2000 Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild Aquila versteckte. Dies war das erste Mal, dass man innerhalb der Milchstraße ein Schwarzes Loch stellaren Ursprungs dieser Größe entdeckte.

„Es ist beeindruckend, dass diese Entdeckungen nur auf den Daten der ersten Jahre von Gaia beruhen, und viele wurden allein im letzten Jahr publiziert. Gaia ist die Entdeckungsmaschine des Jahrzehnts“, sagt Anthony Brown, Vorsitzender des Gaia Data Processing and Analysis Consortium (DPAC) an der Universität Leiden in den Niederlanden.

Mehr bahnbrechende Wissenschaft wird folgen

Künstlerische Impression eines hellen Sterns mit einem Begleiter
Künstlerische Impression eines hellen Sterns mit einem Begleiter

Die wissenschaftlichen und technischen Teams arbeiten bereits auf Hochtouren an den Vorbereitungen für die Gaia “Data Release 4” (DR4) Datenveröffentlichung, die für das Jahr 2026 erwartet wird. Die Datenmenge und -qualität verbessert sich mit jeder Veröffentlichung, und Gaia DR4 mit voraussichtlich 550 TB an Datenprodukten stellt da keine Ausnahme dar. Diese Datenveröffentlichung wird die Beobachtungsdaten der ersten 5,5 Jahre der Mission umfassen, was ihrer ursprünglich vorgesehenen Gesamtdauer entspricht.

„Das ist die Veröffentlichung der Gaia-Resultate, auf die die Wissenschaftler weltweit gewartet haben, und dennoch deckt sie erst die Hälfte der gesammelten Daten ab“, sagt Antonella Vallenari, stellvertretende Vorsitzende des DPAC am Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF), Astronomisches Observatorium von Padua, Italien. „Auch wenn die Mission jetzt die Datenerfassung eingestellt hat, wird unsere Arbeit noch viele Jahre lang ganz normal weitergehen, während wir diese unglaublichen Datensätze zur wissenschaftlichen Nutzung vorbereiten.“

Gaia DR4 wird den Gaia-basierten Katalog von Doppelsternsystemen – den bisher größten Katalog seiner Art – nochmals erweitern. Gaia verfügt über die einzigartige Fähigkeit, die winzigen Bewegungen von umeinanderkreisenden Paaren von Himmelsobjekten zu messen und hat so bereits viele verborgene Begleiter um helle Sterne aufgespürt.

Die letzte gezielte Beobachtung von Gaia am 10. Januar galt übrigens dem berühmten Doppelsternpaar 61 Cygni. Diese Sterne weckten schon die Aufmerksamkeit der Astronomen des 19. Jahrhunderts und lieferten einige der ersten Eigenbewegungs- und Parallaxenmessungen: Techniken, die Gaia nun auf etwa zwei Milliarden Sterne und andere Quellen angewandt hat.

Mit den kommenden Gaia-Datensätzen werden auch neue Exoplaneten entdeckt werden, da es aufgrund des längeren Beobachtungszeitraums viel einfacher ist, „taumelnde“ Sterne zu entdecken, die von umkreisenden Planeten leicht in Bewegung gebracht werden.

„In den nächsten Monaten werden die Teams, die sich um die Datenverarbeitung kümmern, ihre Vorbereitungen für die fünfte und letzte große Datenfreigabe (Gaia DR5) am Ende dieses Jahrzehnts intensivieren. Gaia DR5 wird die gesamten 10,5 Jahre an Missionsdaten abdecken“, sagt Rocio Guerra, Koordinatorin für den wissenschaftlichen Betrieb von Gaia am Europäischen Zentrum für Astronomie (ESAC) der ESA in der Nähe von Madrid in Spanien.

„Dies wird dann der Abschluss einer unglaublichen Anstrengung hunderter Missionsexperten sein – hier im wissenschaftlichen Betriebszentrum am ESAC, dem Missionsteam am Europäischen Raumfahrtkontrollzentrum der ESA in Darmstadt (ESOC), und dem DPAC Konsortium von Datenverarbeitungsspezialisten. All diese Menschen haben gemeinsam den reibungslosen Ablauf dieser wunderbaren Mission über einen so langen Zeitraum sichergestellt.“

Gaias Pläne für den Ruhestand

Künstlerische Darstellung des Gaia-Raumschiffs vor einer echten Gaia-Aufnahme des Himmels
Künstlerische Darstellung des Gaia-Raumschiffs vor einer echten Gaia-Aufnahme des Himmels

Während der heutige Tag das Ende der wissenschaftlichen Beobachtungen mit sich bringt, beginnt nun eine kurze Phase der Technologietests. Das Ziel dieser Tests ist es, die Gaia-Kalibrierungen möglicherweise weiter zu verbessern, mehr über das Verhalten bestimmter Technologien nach zehn Jahren im Weltraum zu erfahren, und sogar bei der Planung künftiger Weltraummissionen zu helfen.

Nach diesen mehrwöchigen Tests wird Gaia seine derzeitige Umlaufbahn um den Lagrange-Punkt 2 - 1,5 Millionen km von der Erde entfernt - verlassen, um in seine endgültige heliozentrische Umlaufbahn, weit entfernt vom Einflussbereich der Erde gebracht zu werden. Die Raumsonde wird dann am 27. März 2025 endgültig abgeschaltet, um jegliche Beeinträchtigung anderer Missionen zu vermeiden.

Nimm Abschied von Gaia!

Während der Technologietests wird Gaias Lage im Weltraum kontrolliert verändert. Dadurch wird der Satellit vorübergehend um mehrere Größenordnungen heller, was es ermöglichen wird, ihn mit kleinen Teleskopen zu beobachten (mit bloßem Auge wird Gaia weiterhin nicht sichtbar sein). Eine Anleitung, wie man Gaia am Sternenhimmel finden kann, wurde hier eingerichtet. Amateurastronominnen und Amateurastronomen sind eingeladen, ihre Beobachtungen der Raumsonde zu teilen.

„Gaia wird uns zum Abschied dieses letzte Geschenk machen und vor ihrem wohlverdienten Ruhestand zwischen den Sternen leuchten“, sagt Uwe Lammers, Gaias Missionsmanager. „Es ist ein Moment, um diese bahnbrechende Raumsonde zu feiern und allen Teams zu danken für mehr als ein Jahrzehnt harter Arbeit beim Betrieb von Gaia, bei der Planung der Beobachtungen, und dafür, dass die wertvollen Beobachtungsdaten reibungslos ihren Weg zur Erde fanden.“

Hinweise für Redakteure:

  • Weitere Einzelheiten über die Einstellung des Betriebs von Gaia werden in den kommenden Wochen folgen.
  • Ausführlichere Informationen finden Sie hier.
  • Weitere Informationen zu den Technologietests finden Sie hier
  • Weitere Informationen zur Beobachtung von Gaia zwischen Ende Januar und Anfang Februar finden Sie hier
  • Gaia-Daten sind über das Gaia-Archiv der ESA frei verfügbar.
  • Weitere Informationen zu den kommenden Datenveröffentlichungen von Gaia finden Sie hier.

Related Articles