GeoFlow: Blick in das Innere der Erde
Was auf der Erde bislang unmöglich ist – die Erkundung ihres inneren Aufbaus – gelingt paradoxerweise auf der Raumstation. Eine nachempfundene Mini-Erde „GeoFlow“ dient Forschern auf der ISS als Medium, um die Strömungen und Bewegungen im tiefsten Erdinneren besser verstehen zu können. Das im europäischen Fluidlabor FSL arbeitende Geoflow-Experiment wird voraussichtlich im September 2012 abgeschlossen sein.
Das ist die zentrale Frage des internationalen Projektes „Geophysical Flow Simulation" – kurz Geoflow. Wenngleich der Rekord bei Tiefbohrungen bei beachtlichen 12262 Metern liegt: Sie sind nichts weiter als Kratzer an der Planetenkruste. Die einzige Möglichkeit, Prozesse nachzuvollziehen und Tiefenbereiche abzubilden, die direkt nicht zugänglich sind, stellen Erkundungen mit Hilfe seismischer Wellen sowie Laborexperimente dar. Das ist zugleich der Ansatz für das neuartige Experiment. Geoflow soll Simulationen überprüfen um festzustellen, wie genau die bisherigen numerischen Modelle die Realität widerspiegeln.
Jules Verne im Doppelpack
Bislang glückte es nur Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde in 6371 Kilometern Tiefe zu gelangen – im Sciencefiction-Roman. Nun will ein moderner „Jules Verne“ es auf andere Art tatsächlich realisieren: Prof. Christoph Egbers, Lehrstuhlinhaber für Aerodynamik und Strömungslehre an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus (BTU), unternimmt mit seinem Team eine Reise, die uns zum Mittelpunkt der Erde führt, aber in 360 Kilometern Höhe über der Erdoberfläche stattfindet.
Egbers hat mit GeoFlow ein Modell entwickelt, das Aufschlüsse über die vom Erdkern zum Erdmantel führenden Konvektionsströme und die daraus resultierende Kontinentaldrift geben soll. Seine Mini-Erde funktioniert allerdings nur, wenn kein echtes Schwerefeld das künstliche zentrale Kraftfeld verzerrt. Deshalb ist das Experiment nur in der Schwerelosigkeit durchführbar, das heißt im Weltall.
Die Mini-Erde im Weltraum
Die größte Herausforderung war, die nicht wenigen Randbedingungen in einem Mini-Erdmodell von der Größe eines Fußballs zu realisieren. Im Februar 2008 gelangte Geoflow mit der US-Raumfähre Atlantis (STS 122) zur Raumstation. Es kam als erstes deutsches Experiment im Fluid Science Laboratory des europäischen Columbus-Moduls zum Einsatz.
Das Erdinnere wird durch ein Kugelmodell simuliert: Zwischen einer inneren, massiven Kugel, die den Erdkern darstellt und einer äußeren Hohlkugel befindet sich eine Spezialflüssigkeit. Entsprechend der Temperaturverhältnisse im Erdinneren wird die innere Kugel geheizt und die äußere gekühlt. Im Kugelspalt wird dann durch das Anlegen einer elektrischen Spannung ein unverzerrtes, zentralsymmetrisches Kraftfeld erzeugt, das die auf der Erde herrschende Schwerkraft simuliert. Außerdem werden die Kugeln gedreht, um die Erdrotation darzustellen. Unter dem Einfluss von Rotation, Temperaturgefälle und simuliertem Schwerefeld beginnt das Fluid zwischen den Kugelschalen zu zirkulieren. Es verhält sich dabei analog zu der flüssigen Masse, die den festen Erdkern umströmt. Die entstehenden Strömungsbilder zeichnet eine Kamera auf. Die Daten werden dann zur Erde übermittelt.
Im Fokus von GeoFlow I: Der äußere Erdkern
Der Experimentablauf wird durch das eigens an der BTU in Cottbus eingerichtete Kontrollzentrum „User Home Base“ als letztes Glied der Betriebskette überwacht. Stoßen die Mitarbeiter auf etwas Interessantes, können sie direkt eingreifen. Am Experiment sind insgesamt zehn Forscherteams aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien beteiligt. Maßgeblich unterstützt wird Geoflow durch die ESA und das DLR.
Die erste Experimentserie von August 2008 bis Januar 2009 (Geoflow I) hatte ausschließlich den inneren Aufbau unseres Heimatplaneten und die Simulation der konvektiven Ströme im flüssigen äußeren Erdkern zum Ziel. Nach der Rückführung des Experimentcontainers mit der US-Raumfähre Discovery im März 2009 (STS 119) wurde die Apparatur bei Astrium in Friedrichshafen überarbeitet.
Im Fokus von GeoFlow II: Der Erdmantel
Die modifizierte Anlage gelangte mit dem europäischen Transportraumschiff ATV-2 im Februar 2011 erneut zur ISS. Im Fokus des Geoflow II-Experimentes stehen nunmehr die Konvektionsströme im Erdmantel. Seit März 2011 läuft die Versuchsreihe äußerst erfolgreich, so dass das Experiment nach Abschluss des Nominalprogramms um einige Monate bis September 2012 verlängert worden ist. Dies wiederum ermöglicht ein wissenschaftliches Zusatzprogramm Geoflow IIB.
Eine der zentralen Fragen bei GeoFlow II lautet: Wie bewegen sich die – oft pilzartig geformten – Magma-Strömungen im Erdmantel? Sie führen nicht nur zur Drift der Kontinentalplatten. Naturereignisse, wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis finden hier ebenso ihren Ursprung wie die Bildung von Rohstoffvorkommen.
Das Team um Christoph Egbers hofft aber auch, Ursachen für die Umkehrung des Erdmagnetfeldes zu finden. Die letzte gab es vor etwa 780 000 Jahren. Statistisch gesehen ist der nächste Polsprung schon überfällig. Er könnte zu gravierenden Auswirkungen für das Leben auf der Erde führen.
Erfolgsmodell Geoflow
Geoflow ist Grundlagenforschung. Die Erkenntnisse tragen wesentlich dazu bei, die im Erdinneren ablaufenden Prozesse transparenter zu machen. Das neue Wissen verhindert zwar keine Naturereignisse, doch es kann zur Vorhersage und damit zur Minimierung der Schäden beitragen.
Weitere Informationen:
Prof. Dr.-Ing. Christoph Egbers
Lehrstuhl für Aerodynamik und Strömungslehre
Brandenburgische Technische Universität Cottbus
Siemens-Halske-Ring 14
D – 03046 Cottbus
Fon: +49 (0) 355 / 69-4485 oder 69-5011
Fax: +49 (0) 355 / 69-4891
egbers @ tu-cottbus.de